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Gerechte Bildung während Corona: Was für arme Kinder wichtiger war, als Lernrückstände aufzuholen

Ein Ferienprogramm für Kinder aus einkommensschwachen Familien hat in den Pandemiejahren alles daran gesetzt, weitermachen zu können. Was brauchte es, damit Spaß am Lernen möglich und sicher war? Und welche Forderungen für die Zukunft der Bildung sind daraus abzuleiten?

Bild: Gemeinnützige Climb GmbH

Von Luisa Rösch

 

Ein Ferienprogramm für Kinder aus einkommensschwachen Familien hat in den Pandemiejahren alles daran gesetzt, weitermachen zu können. Denn die Coronakrise hat Probleme offengelegt, an denen das gemeinnützige Sozialunternehmen climb mit seinen Lernferien schon seit Jahren arbeitet. Was brauchte es, damit Spaß am Lernen möglich und sicher war? Und welche Forderungen für die Zukunft der Bildung sind daraus abzuleiten?

Gerechte Bildungschancen: Jetzt erst recht!

Aleyna hat ihr erstes Schuljahr zu großen Teilen im Lockdown verbracht. Als ihre Mutter sie zu den Lernferien des gemeinnützigen Sozialunternehmens climb anmeldet, die während der Sommerferien an ihrer Grundschule stattfinden, beherrscht sie kaum das Alphabet. Die Hoffnung der Mutter ist, dass Aleyna in den nächsten zwei Wochen das Lesen trainieren kann. Das tut Aleyna auch. Beinahe selbstständig arbeitet sie sich von A bis Z. Außerdem bastelt sie etwas aus einem altem Schuhkarton, geht mit ihren Klassenkamerad_innen auf Schatzsuche und darf ihr eigenes T-Shirt bedrucken. Am letzten Tag antwortet sie auf die Frage, was sie gelernt habe, nicht etwa, dass sie nun alle Buchstaben kenne, sondern: “Ich kann durchhalten.”

 

Genau das ist eines der Ziele von climb. Seit 2012 veranstaltet das Hamburger Sozialunternehmen Ferienprogramme. Inzwischen gibt es die Lernferien deutschlandweit an Grundschulen in Stadtteilen mit hoher Armutsbelastung. Im Rahmen der Programme finden Lernzeiten in den Fächern Deutsch und Mathematik statt, insbesondere sind die teilnehmenden Kinder aber eingeladen, an Ausflügen teilzunehmen, Spaß in sportlichen und kreativen Projekten zu haben und dabei das Selbstbewusstsein zu entwickeln, um die eigenen Stärken zu entdecken und zu benennen.

 

climb möchte den Kindern Zukunftskompetenzen vermitteln - also die überfachlichen Fähigkeiten, die sie brauchen, um ihren Bildungs- und Lebensweg selbstbestimmt zu gestalten: Fähigkeiten, die in der Schule oftmals zu kurz kommen, obwohl sie so wichtig für den schulischen Erfolg sind, wie zum Beispiel Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen, Teamfähigkeit. Es sind Fähigkeiten, die Kinder aus privilegierteren Familien in der Musikschule oder im Sportverein trainieren können - Fähigkeiten, die auch unglaublich wichtig sind, um eine gesellschaftliche Krisensituation wie die Corona-Pandemie zu überstehen.

 

Als im Frühjahr 2020 Schulen geschlossen wurden, Menschen in Kurzarbeit gingen und sie ihre Kontakte auf ein Minimum beschränkten, war dem Team bei climb klar, dass Kinder noch nie so dringend Programme gebraucht haben, die soziale Kontakte, schöne Erlebnisse, Stärkung psychosozialer Resilienzfaktoren und betreutes Lernen bieten, das vor allem Spaß macht. Eine digitale Alternative wurde deshalb schnell verworfen. Die Lernferien wurden so angepasst, dass ein Präsenzprogramm möglich war. Die Gruppen wurden kleiner, Mittagessen gab es am eigenen Tisch, die Hofpausen gab es in mehreren Schichten. Wenn Ausflüge in den Kletterpark nicht möglich waren, gab es Schnitzeljagd im Wald.

 

Dass dies die richtige Entscheidung war, zeigte sich bereits im März 2020. Am letzten Tag der Hamburger Frühjahrslernferien wurde bekanntgegeben, dass am darauffolgenden Montag die Schulen geschlossen bleiben würden. Sowohl Kinder als auch Eltern fragten uns dann, ob die Lernferien an ihrer Schule nicht noch verlängert werden könnten. „Ihr habt doch den Schlüssel zum Schulgebäude. Ihr könnt doch einfach weitermachen, oder?“

 

Die Kinder waren dankbar. Auf die Frage, was ihnen am besten bei den Lernferien gefällt, kamen am häufigsten Antworten wie “Spielen”, “Freunde” und “Fußballpause”. Natürlich gehörten die Lernzeiten auch dazu, aber ohne den Anspruch, das Lernen mit Spaß, Bewegung und Teamspirit zu verbinden, hätten die Kinder in dieser Zeit wohl deutlich weniger aus dem Unterricht mitgenommen.

 

Spaß am Lernen priorisieren - auch nach der Pandemie

Kinder wie Aleyna und ihren Eltern machten in dieser Zeit deutlich, was diese nach den Schulschließungen besonders brauchten: schöne Erlebnisse, Bewegung, soziale Kontakte und Zeit außerhalb der engen Wohnung. So ging es bestimmt fast allen Kindern, aber ganz besonders die Kinder aus einkommensschwachen Familien sind auf Angebote angewiesen, die Lernen so aktivierend wie möglich gestalten. Das bedeutete, dass bei den Lernferien vieles auf den Schulhof verlagert wurde, auch weil jede Stunde, die die Kinder draußen verbringen konnten, ein mögliches Infektionsrisiko gesenkt hat. Aleyna hat sich gerne an ihren Tisch zurückgezogen, um das Alphabet zu üben, aber sie hat auch draußen während einer Schnitzeljagd mithilfe anderer Kinder die ersten zusammenhängenden Sätze gelesen.

 

Das Thema Bildungsgerechtigkeit war lange nicht mehr so präsent in den Medien wie 2020. Das hat enorme Kräfte gebündelt. Schulen waren dankbar, viele Kommunen waren endlich offen für Pilotprojekte und es gab viele junge Erwachsene, die sich engagieren wollten und nun auch endlich die Zeit dazu hatten.

 

Bemühungen für Chancengleichheit benötigen aber Nachhaltigkeit – auch über Krisen hinaus. Sie dürfen nicht dabei aufhören, eine Maßnahme einmalig anzubieten. Kinder, die in der Krise durchs System gerutscht sind, müssen akut und schnell aufgefangen werden. Corona war nicht die Ursache der Bildungsungerechtigkeit in Deutschland. Die Pandemie hat zugrundeliegende ungerechte Strukturen nur verschärft und sie damit offensichtlicher gemacht. Die Artikel und Berichte zum Thema Bildungsgerechtigkeit sind inzwischen wieder rarer geworden. Den Familien wird auch in der vierten und fünften Welle noch sehr viel abverlangt und im Schulalltag herrscht immer noch viel Unsicherheit und hohe Belastung.

 

Die Pandemie hat gezeigt, dass wir Änderungen am Status Quo vornehmen können, wenn wir nur wollen. Das heißt, jetzt müssen wir nur wollen und weiterhin gemeinsam daran arbeiten. Damit wir nicht in der nächsten Krise schon wieder diejenigen im Stich lassen, die in der Zeit vorher unsichtbar waren.

 

Fast die Hälfte von Aleynas Grundschulzeit ist bereits rum. Die Pandemie ist noch da. Was sie jetzt braucht ist ein Blick auf und mehr Zeit für ihre Bedürfnisse, die Aussicht auf sicheres und schönes Lernen und eine Schule mit mehr Ressourcen. Statt eines Lernumfelds, in dem die entstandenen Defizite problematisiert werden, braucht sie eines, in dem sie auf ihren zahlreichen Stärken aufbauen kann.

 

Aleyna hat bei den Lernferien gelernt, durchzuhalten, wenn etwas schwierig war. Sie wird diese Fähigkeit hoffentlich nicht nur beim Deutschlernen nutzen, sondern auch bei allen Widrigkeiten, die ihr auf ihrem Bildungs- und Lebensweg begegnen werden. Wenn alles beim Alten bleibt, wird es davon leider viele geben, die vermeidbar wären.

 

 

Luisa Rösch ist Referentin für Kommunikation & Kooperation beim gemeinnützigen Sozialunternehmen climb. climb wurde unter anderem mit dem Sonderpreis der
Bundeskanzlerin und dem TalentAward Ruhr ausgezeichnet. Mehr Informationen unter www.climb-lernferien.de



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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