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Süddeutsche Eigentore: Zur Diskussion um den Nationalen Bildungsrat

Es ist wieder einmal soweit: Donnerstag und Freitag tagen die Kultusminister der Länder. Die Tagesordnung, vollgepackt wie immer, lässt eine intensive Beratung aller Besprechungspunkte kaum zu, aber auch das ist nicht neu.

Bild: von Joakim Honkasalo on Unsplash

Es ist wieder einmal soweit: Donnerstag und Freitag tagen die Kultusminister der Länder. Die Tagesordnung, vollgepackt wie immer, lässt eine intensive Beratung aller Besprechungspunkte kaum zu, aber auch das ist nicht neu. Spannung verspricht allerdings die Debatte zu Tagesordnungspunkt 19: Vorgesehen ist eine Beratung unter dem Titel „Konsequenzen aus dem Koalitionsvertrag: Nationaler Bildungsrat“. Der aktuelle Stand der Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung solle, wie es im eher uninspirierten Amtsdeutsch der KMK heißt, von den Minister_innen „zur Kenntnis“ genommen werden, insbesondere der Streit über die Stimmenverhältnisse im Bildungsrat. Wie viele Stimmen erhalten die Länder, wie viele die Kommunen, wie viele der Bund? Doch die politische Wirklichkeit hat die KMK-Planungen offensichtlich längst überholt. Inzwischen geht es um mehr als um die Frage, wer wen wann wie überstimmen darf. Inzwischen geht es um das Projekt in Gänze. Der Nationale Bildungsrat steht vor dem Aus.

 

Der Nationale Bildungsrat: Eigentlich eine gute Idee

Dabei hätte es so schön sein können. Was in nur wenigen Zeilen des Koalitionsvertrages formuliert wird, ist doch eigentlich eine gute Idee. Ein Nationaler Bildungsrat solle etabliert werden; er solle empirisch gesicherte Vorschläge für „mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen“; er solle Empfehlungen aussprechen, welche zukünftigen bildungspolitische Ziele wie erreicht werden können. Um jedwede Befürchtungen der Länder gleich im Keim zu ersticken, wurde im Koalitionsvertrag festgelegt, was in unserer Verfassung ja längst geregelt ist: dass die Kultushoheit Kompetenz der Länder bleibe. Am Bildungsföderalismus rütteln, so die Botschaft, das wolle niemand.

Für die Länder also kein Grund für Aufregung, könnte man meinen. Im Gegenteil: Ein Nationaler Bildungsrat müsste eigentlich in ihrem Interesse sein, böte er ihnen doch eine institutionalisierte Politikberatung quasi als Service-Leistung. Endlich könnten bildungspolitische Grundsatzfragen losgelöst vom meist hektischen Tagesgeschäft differenziert erörtert, endlich können Lösungsvorschläge evidenzbasiert entwickelt werden.

 

Bayern, Baden-Württemberg: Nationaler Bildungsrat überflüssig

So einfach, so schön könnte das sein. Doch nun das: Bayern, so Ministerpräsident Markus Söder, will aus dem – übrigens noch nicht einmal endgültig konzipierten, geschweige denn gegründeten – Nationalen Bildungsrat aussteigen. Man wolle kein Gremium, das von Berlin aus in die Klassenzimmer hineinregiert, man wolle keine Abiturvorgaben durch den Bund, erst recht kein Berliner Zentralabitur. Kraftstrotzend argumentiert er aus einer Position vermeintlicher bildungspolitischer Stärke.  Also werde man den eigenen – den bayerischen - (Sonder-)Weg weitergehen, nicht nur beim Abitur, sondern auch bei den Ferienzeiten. Dass ein Nationaler Bildungsrat nur Empfehlungen aussprechen und der Bund im föderalen System weder Abiturvorgaben beschließen noch Prüfungsklausuren erstellen kann, das weiß auch Herr Söder. Seine eigentliche Botschaft hört man sehr wohl: Wir wollen so weitermachen wie bisher. Verantwortung übernehmen, das wollen wir, das werden wir, ja, aber nur für uns selbst, nicht für das deutsche Schulsystem insgesamt. Und bevor unliebsame Empfehlungen eines Nationalen Bildungsrates politisch Gegenwind erzeugen, bevor also in diesem Sinne „hineinregiert“ wird – nicht jedoch, wie behauptet, in die Klassenzimmer, sondern in die eigene Bildungspolitik – möchte man lieber gleich auf fundierte Beratung verzichten, auch darum geht es ihm. Abschottung aus der Sorge, andere könnten sich in die eigenen Zuständigkeiten einmischen, das ist sein Motiv, und auch das weiterer CDU-regierter Länder. 

 

Bildungsstaatsvertrag lässt auf sich warten…

Baden-Württembergs Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU) schloss sich umgehend der Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten an. Hatte sie bisher unermüdlich auf ihre föderalen Rechte gepocht und die Verhandlungen über einen Nationalen Bildungsrat gezielt eher ausgebremst als vorangetrieben, so kann sie nun dazu zu beitragen, das so ungeliebte Projekt vorzeitig zu beerdigen. Überflüssig sei ein Nationaler Bildungsrat, denn für mehr Vergleichbarkeit im deutschen Bildungswesen sorgen, das, so Frau Eisenmann vollmundig, könnten die Länder allemal allein.

Doch genau da sind Zweifel angebracht. Denn die Erfahrung lehrt anderes. Wer in einem Land ein Einser-Abitur erreicht, wäre in einem anderen möglicherweise zur Abiturprüfung noch nicht einmal zugelassen worden. Wer hier das Gymnasium besuchen darf, dem wird das dort möglicherweise verwehrt. Stehen in den einem Land allen Kindern und Jugendlichen die Türen zu inklusiven Schulen offen, bleiben sie anderswo für die meisten geschlossen. Unterschiedliche Schulgesetze, unterschiedliche Rahmenbedingungen, unterschiedliche Anforderungen an Schülerleistungen führen zu fehlender Vergleichbarkeit.

Das hat auch das Bundesverfassungsgericht auf den Plan gerufen. In seinem Urteil zur Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin vom 19. Dezember 2017 fordert es eine bessere länderübergreifende Vergleichbarkeit der Abiturnoten.

Bildungschancen - mehr noch: Lebenschancen - sind in Deutschland ungleich verteilt.

Neu ist diese Erkenntnis nicht, ein Bildungsstaatsvertrag, der ein unverzichtbares Minimum an Einheitlichkeit sichert, längst überfällig. Die KMK arbeitet schon lange daran, sehr lange, bislang jedoch ohne Ergebnis. Überraschen kann das nicht. Voraussetzung für eine bessere Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Schulsysteme ist ja, dass sich die Länder aufeinander zu bewegen, dass sie ernsthaft bereit sind zu Änderungen. Die Aussagen des bayerischen Ministerpräsidenten sprechen eher nicht dafür. Mehr Vergleichbarkeit herzustellen, fällt den Ländern wohl doch nicht so leicht wie Frau Eisenmann behauptet.

 

Einen Nationalen Bildungsrat als Chance nutzen

Die Kultusminister sind gut beraten, noch einmal in sich zu gehen. Die Idee eines Nationalen Bildungsrates kurzerhand aufzugeben, ist bildungspolitisch ein Eigentor. Denn alle Länder, also auch Bayern und Baden-Württemberg, brauchen dringend kreative Konzepte für die Gestaltung ihres zukunftsfähigen Bildungssystems, und sie brauchen kluge Strategien für deren Realisierung. Das gilt für unser Bildungssystem insgesamt.  Wie wollen wir in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung „Bildung“ definieren? Wie wollen wir sie inhaltlich ausgestalten? Wie können wir die Qualität unserer Schulen verbessern? Wie lassen sich Integration und Inklusion realisieren? Wie wollen wir mit der demographischen Entwicklung umgehen? Wie können wir mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, Bildungsbenachteiligung kompensieren? Wie können wir jene Einheitlichkeit herstellen, ohne die auch ein föderales Bildungssystem nicht auskommt?

Das sind bildungspolitische Grundsatzfragen. Sie verlangen gut durchdachte, mittel- und langfristig angelegte Konzeptionen. Hierzu könnte ein Nationaler Bildungsrat wichtige Hinweise geben. Für die Politik könnte er sogar eine breitere Legitimierung eigener Entscheidungen bedeuten.     

 

Föderalismus ohne Verantwortungsübernahme für das Gesamtsystem wird scheitern

Und schließlich: Ein funktionierender Föderalismus setzt Verantwortungsübernahme nicht nur für das eigene Land voraus, sondern für das deutsche Bildungssystem insgesamt. Wer einen Nationalen Bildungsrat kategorisch ablehnt, gerät in Verdacht, das nicht wahrhaben zu wollen. Und der darf sich dann nicht wundern, wenn der Bildungsföderalismus in weiten Teilen der Gesellschaft kaum Akzeptanz besitzt. Der darf sich auch nicht wundern, wenn irgendwann Schüler_innen, Lehrer_innen, Eltern und viele, die sich für Bildung interessieren, aus Sorge um die Zukunft junger Menschen ihrem Unmut Luft machen, sich zusammenschließen und ein deutschlandweit einheitliches Schulsystem fordern. Dass solche Bewegungen Wirkung zeigen können, erleben wir zurzeit ja sehr eindrucksvoll.       

Ein gut angelegter Föderalismus bietet die Chance zu Vielfalt und Wettbewerb. Von anderen lernen, um noch besser zu werden – darum geht es. Sind die Verhältnisse jedoch nicht vergleichbar, haben Vielfalt und Wettbewerb keinen Sinn. Mögen die Kultusminister der Länder genau das beherzigen.

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Burkhard Jungkamp ist Moderator des Netzwerks Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Von 2005 bis 2014 war er Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg.



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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