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Was haben ein veganer Koch, ein Popmusiker und ein ehemaliger Journalist des rbb gemeinsam? Was wie der Anfang eines schlechten Witzes klingt, ist die traurige Gewissheit, dass Verschwörungserzählungen in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt sind.
Bild: Till Herold von privat
Was haben ein veganer Koch, ein Popmusiker und ein ehemaliger Journalist des rbb gemeinsam? Was wie der Anfang eines schlechten Witzes klingt, ist die traurige Gewissheit, dass Verschwörungserzählungen in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt sind. Die drei Erwähnten glauben allesamt: Die Türme des World Trade Centers sind am 11. September 2001 durch die USA selbst gesprengt worden. Man fragt sich: Warum in aller Welt sollten die Vereinigten Staaten mehr als 2500 Menschen umbringen? Und welchen Nutzen hätte dies? Und genau das tun Verschwörungsideolog_innen wie Naidoo, Hildmann und Jebsen. Sie fragen immer nach dem Nutzen – also nach dem cui bono? Darin liegt die Stärke von Verschwörungserzählungen. Sie geben den Gläubigen einen Erklärungsansatz, einen Sinn – für die Welt, für das eigene Elend und für Unvorstellbares. In erster Linie nutzen Verschwörungsideologien den Verschwörungsideolog_innen selbst, ihrer individuellen Selbsterhöhung sowie ihrer kollektiven Abgrenzung gegen alles, was sie hassen.
Auch Schule, Unterricht und (politische) Bildung haben das Ziel, Zusammenhänge, Ursachen, Sinndeutungen und Erklärungen zu liefern. Während Verschwörungsnarrative unterkomplex, wissenschaftsfern, menschenfeindlich sind und oft indoktrinierenden Charakter haben, verfolgt konkret die politische Bildung als Querschnittsaufgabe von Schule und Unterricht Mündigkeit und Autonomie. Indem diese auf wissenschaftlicher Komplexität, Anerkennung von gesellschaftlicher Diversität und emanzipatorischen Kompetenzen basiert, wird die politische Bildung zur Gegenspielerin von Verschwörungserzählungen.
Teil dieser angestrebten Mündigkeit ist es auch, im Kleinen auszuhalten, was andere denken und wollen, oder im Großen, dass Umstände unerklärlich oder schlicht grausam sein können oder dass man selbst in der Welt keinen besonderen Platz hat. Verschwörungsideologien setzen genau dort an. Sie diskreditieren andere Meinungen, erklären das Unbegreifliche und stiften damit Sinn und Identität. Deshalb sind sie so verführerisch – sie liefern die Ideologien und Logik zur kollektiven und subjektiven Selbsterhöhung. So glauben ihre Anhänger_innen, dass sie die Wissenden, die Auserwählten, die Reinen oder die Wahrgläubigen seien. Eine strikte Orthodoxie durchzieht die verschiedenen Verschwörungsideologien, welche die ganze Welt in Gut und Böse scheiden. In ihrem Denken ist es nur möglich, zu den bereits Erleuchteten (und nicht mehr zu den treudummen Schafen) oder den bösartigen Intrigant_innen zu gehören. Im Kern begeben sich die Gläubigen in mehr oder weniger selbstverschuldete Unmündigkeit. Ist man erstmal in diesen Strudel aus Zirkelschlüssen und Selbstüberhöhungen geraten, fällt es schwer wieder herauszufinden, denn jede Form der Intervention bedeutet auch ein Stück selbst gezimmerter Identität, den Platz in der Community (welche sich fast ausschließlich über das Internet konstituiert) und einen großen Teil des Sinns zu verlieren, den man sich selbst und der Welt gegeben hat. Dies bedeutet einen schmerzhaften Prozess der Abkoppelung von sichergeglaubten Tatsachen. Nicht zuletzt scheinen Interventionen, die erklären und dekonstruieren wollen, gerade auch die Verschwörungsnarrative zu bestätigen; sie werden einfach als feindliche Propaganda in das Narrativ eingeflochten und die Theorie weiter hermeneutisch gegen Kritik abgedichtet.
Viele der großen Verschwörungsideologien, wie die der New World Order, Bilderberger oder eines satanistischen internationalen Rings von Pädosexuellen (sic!), weisen strukturelle und ideologische Gemeinsamkeiten mit Antisemitismus aus. Ihren narrativen Ursprung haben sie oftmals in der größten antisemitischen Verschwörungserzählung der Moderne – den sogenannten Protokollen der Weisen von Zion. In diesem antisemitischen Machwerk wird von der Errichtung einer jüdischen Weltordnung gesprochen, welche unter anderem die Erlangung von Medien- und Wirtschaftskontrolle (heutzutage die Mainstreammedien) und die Entfesselung der Weltkriege beinhalten soll. Seit über hundert Jahren sind die Protokolle in nahezu alle Sprachen übersetzt und verbreitet worden und versorgen die Welt so mit der Lehre über die angebliche Boshaftigkeit der Jüd_innen. Hieran knüpfen die Verschwörungsideologien an. Sie benutzen Codewörter wie Zionist_innen oder Ostküste, Finanzoligarchie oder graue Eminenzen, um das tabuisierte Reden von Jüd_innen zu umgehen. Doch im Kern führen sie nur antisemitische Erzählungen von boshaften Strippenzieher_innen fort, die entweder den Volkstod (so Björn Höcke, AfD, in seinem Buch „Nie zweimal in den selben Fluß (sic!)) oder eine Umvolkung wollen (so Tino Chrupalla, AfD-Bundessprecher, siehe saechsische.de), das Blut von unschuldigen Kindern vergießen wollen (Hildmann und die Boykottkampagne gegen den Staat Israel BDS), oder die Bevölkerung für die Errichtung einer neuen Weltordnung unmündig halten wollen (Jebsen und Co.). Hieran zeigt sich auch die ideologische Klammer, welche Islamist_innen, antisemitische Linke und Rechtsextreme über den inhärenten Antisemitismus – das gemeinsame Feindbild – verbindet. Diese Querfront macht Verschwörungsideologien für vielen gesellschaftliche Gruppen anschlussfähig, da von den primär antisemitischen Rechtsextremen bis zu den Kapitalismuskritiker_innen alle ihren Platz in der Ideologie finden können.
Schule, Unterricht und außerschulische Bildung müssen starke Antworten auf diese Ideologien parat haben, insbesondere da sie sich zunehmender „Attraktivität“ erfreuen. So haben die immer stärker verbreiteten Fake News, also intentional in die Welt gesetzte Falschnachrichten oder Unwahrheiten zur Förderung meist neurechter Narrative und Agenden, die Schar der Verschwörungsgläubigen anwachsen lassen, was sich auch in Bildungszusammenhängen beobachten lässt. So müssen die Bildungsträger_innen den Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre Fragen an die Welt zu stellen und diese einzuordnen. D.h. aber auch immer, dass Lehrkräfte und Pädagog_innen dies selbst gelernt haben. Oft stehen sie dem selbst ratlos gegenüber. Politische Bildung und Demokratiebildung als Querschnittsaufgabe, d.h. auch für Lehrkräfte der Natur-, Sprachwissenschaften, Sport und der künstlerischen Fächer, hat mindestens zwei Jahrzehnte in der Ausbildung ein Schattendasein gefristet. Hier muss viel nachgeholt werden, wenn dem Trend der alternativen Fakten bildungspolitisch etwas entgegengestellt werden soll. So ist es unabdingbar, dass die Lehrenden grobe Zusammenhänge, Deutungsmuster und Codes (wie z. B. Zionist_innen für Juden) von gängigen Verschwörungsideologien – in jedem Unterrichtsfach oder auf dem Schulhof – erkennen und dekonstruieren können. Sie sind in der Verantwortung, als Bildende und Erziehende, die Jugendlichen mit pädagogischem Einfühlungsvermögen darin zu unterstützen, die Komplexität von Welt erfass- und aushaltbar werden zu lassen. Verschwörungsideologien unterminieren die Grundlage von demokratischen Gemeinschaften, indem sie Zirkelschlüsse und einfachste Welterklärungen als rationales Denken verkaufen und damit das Vertrauen in Wissenschaft, Forschung und Medien mit Feuereifer zu beseitigen versuchen. Sie nützen lediglich den vorher benannten narzisstischen Irrläufer_innen zur subjektiven Selbstüberhöhung und in letzter Konsequenz den Faschist_innen und Antidemokrat_innen, denen sie den Weg bereiten.
Deswegen ist es untrennbarer Auftrag von Schule und politischer Bildung, Jugendliche als Träger_innen der Demokratie von morgen in der Fähigkeit zu abstraktem rationalen Denken zu fördern und sie darin zu unterstützen, scheinbar Gegebenes zu hinterfragen und verschwörungsideologische Erklärungsversuche zu dechiffrieren. Gleichsam bedeutet Autonomie und Mündigkeit auch die Herausbildung von Herrschaftskritik, welche sich im ständigen Hinterfragen, persönlicher, gesellschaftlicher und globaler Zusammenhänge ausdrücken muss. So kann politische Bildung Schüler_innen dazu verhelfen, sich gewissermaßen gegen die Verlockungen der subjektiven und kollektiven Selbsterhöhung zu immunisieren und ihnen die Stärke geben, die eigene Position in der Welt zu verstehen und zu hinterfragen. Dann ist die Antwort auf die Frage „Cui bono?“: Schule und (politische) Bildung nützen dem gesellschaftlichen Fortschritt und der Reifung politisch mündiger Subjekte. Sie nutzen eben nicht nur der Selbsterhaltung des Bestehenden.
Till Herold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Politische Bildung und Politikdidaktik des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus(-prävention), Umgang mit Menschenfeindlichkeiten in der Schule und theoretische Konzeption von Mündigkeit und politscher Bildung.
Lesen Sie zu dem Thema Verschwörungsmythen sehr gerne auch folgende Kurzexpertise von Pia Lamberty für die Friedrich-Ebert-Stiftung.
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