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Gibt es eine Verkehrs- bzw. Mobilitätspolitik, die sich aufgrund ihrer sozialen Ausrichtung von anderen politischen Ansätzen unterscheidet? Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialdemokratie hat in ihrer Publikation den Versuch gemacht, eine „Sozialdemokratische Verkehrspolitik“ zu definieren. Der Bundestagsabgeordnete und Mitautor des WISO direkt, Mathias Stein, bezieht Stellung auch zur Frage, welche Rolle Kommunen bei der Gestaltung von Verkehrspolitik spielen sollten.
Bild: Mathias Stein Foto Olaf Bathke 1 von Olaf Blathke
FES: Verkehrspolitik ist nicht rein pragmatisch, das zeigen aktuelle Reizthemen wie die Diskussion um ein Tempolimit oder Fahrverbote. In Diskussionen zeigt sich aber auch, wie schwierig es sein kann, Mobilitätsthemen ideologisch anzugehen ohne sich dem Vorwurf der Engstirnigkeit und Dogmatik ausgeliefert zu sehen. Warum ist es überhaupt notwendig, das Thema Verkehrspolitik auch aus weltanschaulicher Sicht zu bearbeiten?
Die Grundwerte der Sozialdemokratie sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Hierauf sollte auch unsere Verkehrspolitik beruhen. Soziale Verkehrspolitik gibt den Schwächsten eine Stimme und achtet auf den sozialen Ausgleich. Eine Verkehrspolitik für die große Mehrheit der Gesellschaft ist das Ziel. Derzeit beobachten wir, dass bestimmte Mobilitätsbedürfnisse nur mit sehr viel Geld abgedeckt werden können. Dabei wird immer auf öffentliche Güter zugegriffen – diese sind begrenzt. Die, die bereits ohnehin über viel Geld verfügen, beanspruchen dabei meist mehr öffentliche Ressourcen als wirtschaftlich schlechter gestellte Menschen. Davon sind die Grundwerte der Sozialdemokratie direkt berührt. Nehmen wir aktuell nur mal die Diskussion um Flugtaxis: Wenn es solche Fluggeräte im urbanen Raum erst mal gibt, werden sie sehr teuer sein und nur in begrenztem Maße Menschen zur Verfügung stehen. Auch hier gilt, dass wir nur begrenzt Möglichkeiten und Räume zur Verfügung haben. Wenn das viele beanspruchen, bedeutet das natürlich auch Einschränkungen für andere Bürger*innen.
FES: Wenden wir uns also der Sozialdemokratie zu. Können Sie in drei Stichpunkten zusammenfassen, welche Merkmale zentral für die Ausgestaltung sozialer Verkehrspolitik sind?
Wesentlich für eine soziale Verkehrspolitik sind folgende drei Elemente: Teilhabe, Lebensqualität und Sicherheit für die Bürger*innen. Ich finde insbesondere den Ansatz zentral, maximale Teilhabe zu ermöglichen: Unabhängig davon, ob ein Mensch über wenig oder viel Geld verfügt, ob er körperlich eingeschränkt ist, ob er alt ist oder jung, hat er ein Recht, an den gesellschaftlichen Aktivitäten teilzuhaben. Dafür müssen wir die Erreichbarkeit dieser Aktivitäten gewährleisten. Soziale Mobilitätspolitik heißt zudem, allen Menschen unabhängig von Einkommen und sozialem Status eine hohe Lebensqualität ohne gesundheitsgefährdende Abgase und Lärm zu ermöglichen.
FES: Sind das nicht auch Merkmale, die sich bei den Grünen eins zu eins wiederfinden?
Sicherlich gibt es hier Schnittmengen mit den Vorstellungen der Grünen. Aber ich denke, ein Unterschied ist zentral: Für die Grünen ist der Schutz der Umwelt prioritär. Oft hat man den Eindruck, dem Naturschutz müsse sich alles unterordnen. Da können Zielbestimmungen wie maximale Teilhabe schon mal „unter die Räder“ kommen – im Notfall müssten Mobilitätsbedürfnisse eben eingestellt werden. Das ist nicht der sozialdemokratische Weg. Wir stellen den Menschen und seine Lebensqualität in den Vordergrund – wie ausgeführt gehört hierzu auch eine saubere Umwelt. Insofern sind unsere Anliegen denen der Grünen oft vielleicht sehr ähnlich, aber die Prioritätensetzung ist eine andere.
FES: Welche Handschrift trägt die derzeitige Verkehrspolitik und woran wird das deutlich? Wo liegt der zentrale Unterschied zur Sozialdemokratie?
Im Moment ist die Verkehrspolitik auf Bundesebene sehr stark interessengeleitet und insbesondere geprägt durch zehn Jahre CSU-Verkehrsminister. Diese legen sehr viel Wert auf den Verkehrsträger Straße – das sieht man ganz aktuell bei der Diskussion ums Tempolimit. Für uns Sozialdemokrat*innen steht fest: Gerade der Schienenverkehr muss in Deutschland massiv ausgeweitet werden, damit für möglichst viele Menschen Mobilität bezahlbar sein kann. Dies ist für uns der entscheidende Punkt bei der Verkehrspolitik und hier haben wir in der aktuellen Politik auch schon einiges durchgesetzt. Dies ist auch wichtig, damit wir im Bereich Verkehr die Klimaziele einhalten, in dieser Hinsicht müssen wir den Koalitionspartner immer noch bearbeiten. Effektiver Klimaschutz bedeutet auch, dass man die Verkehrs- und die Energiewende miteinander vernetzt. Das heißt, dass wir Antriebsformen brauchen, die ihre Ressourcen in erster Linie aus erneuerbaren Energien speisen – das geht über Batterien, Wasserstoff und über synthetische Kraftstoffe. In diesem Bereich muss mit aller Kraft geforscht und gefördert werden, um möglichst vielen Menschen umweltfreundliche Mobilität zu ermöglichen.
FES: In ihrem Paper sprechen Sie von der „Sozialen-Takt-Mobilität“ und meinen damit ein Stufensystem aus Bundestakt, Ländertakt, Regional- und Kommunaltakt, das die einzelnen staatlichen Ebenen hinsichtlich ihrer jeweiligen Verkehrsträgersysteme zusammenführt. Wenn ich sie richtig verstehe, geht es also um die effiziente infrastrukturelle Verknüpfung und Verwebung der Verkehrsträger auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen. Stichwort Verwaltung: Ist die föderative Beschaffenheit der Bundesrepublik nicht ein zentrales Hindernis für die praktische Umsetzung ihrer Idee?
Ich glaube tatsächlich, dass das föderale System hier an seine Grenzen kommt. Wir haben sehr reiche Regionen, in denen es der öffentlichen Hand und den Gemeinden sehr gut geht, und wir haben andere Regionen, die unter einer hohen Verschuldung leiden. Menschen, die in verschuldeten Gemeinden wohnen, steht häufig ein schlechterer öffentlicher Nahverkehr zur Verfügung als in den Kommunen, die finanzielle Überschüsse haben. Das trifft auch auf Ballungsräume zu. Wenn das so bleibt, dann ist eine „Soziale-Takt-Mobilität“ nicht möglich. Für die soziale Taktung müssen wir den Föderalismus, der im Moment sehr stark auf die eigenen Interessen ausgerichtet ist, überwinden und sollten versuchen, besser zu kooperieren. Ich persönlich stelle mir auch die Frage, ob es besonders klug ist, wenn man den Schienennahverkehr getrennt nach Bundesländern organisiert. Wir sollten überprüfen, ob eine zentralstaatliche Regelung da notwendig ist. Wenn wir es nicht schaffen, zu mehr Kooperation zu kommen und die Verteilung der finanziellen Last vernünftig zu organisieren, werden wir das Ziel einer sozialen Taktung nicht erreichen.
FES: Das Mobilitätskonzept „Soziale-Takt-Mobilität“ nimmt vier Zieldimensionen in den Blick: maximale Teilhabe, maximale Lebensqualität, maximale gesellschaftliche Effizienz und maximale Sicherheit. Lassen Sie uns mit ersterer beginnen. Zur Erreichung einer sozial gerechteren Verkehrspolitik sind die Bahn und der ÖPNV gleichermaßen wichtig, weil sie für „sinnvolle Verkehrsträger“ befunden werden. Was meinen Sie genau damit?
Bahn und ÖPNV sind deshalb sinnvolle Verkehrsträger, weil sie vielen Menschen zu relativ geringen Kosten Mobilität ermöglichen. Ein Bus kann bis zu 60 Menschen mitnehmen, ein Zug mehrere hundert. Das ist natürlich bezogen auf den Energieeinsatz deutlich günstiger und verbraucht wesentlich weniger CO2 als wenn jeder Einzelne mit seinem Auto unterwegs ist. Außerdem wird weniger Infrastruktur in Anspruch genommen. Ein SUV ist zum Teil zwei Tonnen schwer und verbraucht oft 200 Gramm CO2 pro Kilometer. Wenn man damit auch noch allein durch die Gegend fährt, ist das weder gesellschaftlich effizient noch besonders gerecht.
FES: Dass gerade sozial Schwächere stärker auf den ÖPNV angewiesen sind, belegen zahlreiche Studien. Fragt man die wohlhabenderen Privat-PKW-Nutzer_Innen, warum sie nicht auf die Öffentlichen umsteigen, sind die Gründe häufig gleichlautend: zu unpünktlich, zu voll, zu ungemütlich. Ich will sagen, selbst wenn die Einsicht vorhanden ist, scheint der Wille spätestens bei der Aussicht auf eine überfüllte Bahn ohne Sitzmöglichkeit, dafür aber mit regelmäßig ausfallenden Klimaanlagen, wieder gebrochen zu werden. Ein Investitionsprogramm jagt derzeit das andere, um diesen Missständen entgegenzuwirken. Kommen wir so einer „Sozialen-Takt-Mobilität“ näher?
Wir haben den Fehler gemacht, dass wir über einige Jahrzehnte versucht haben, unsere Schuldenbremse einzuhalten, indem wir Investitionen eingespart haben. Jetzt müssen wir das mühsam mit Investitionsprogrammen aufholen. Von komfortablen Zügen sind wir weit entfernt, da muss aus meiner Sicht mehr geforscht und probiert werden. Ich glaube aber schon, dass das Angebot deutlich attraktiver werden kann. Wir müssen dabei auch gucken, wie wir es schaffen, dass man am Verkehrssystem Spaß hat und Mobilität zu einem positiven Erlebnis wird. Hinzu kommt, dass wir bei der Barrierefreiheit deutlich besser werden müssen. Es wird sicherlich noch ein ganzes Jahrzehnt dauern, bis wir entsprechend komfortablen öffentlich Nahverkehr und Schienennahverkehr haben.
FES: Damit die Teilhabe am öffentlichen Verkehr sozial ausgeglichener gestaltet werden kann, fordern Sie mehr Rechte für die Kommunen. Welche Lenkungswirkung versprechen Sie sich hiervon und wo genau müsste nachjustiert werden?
Insbesondere bei der Frage, wie wir den Verkehrsraum gestalten und welche Angebote im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs gesetzt werden, müssen die Kommunen mehr Möglichkeiten bekommen. Zudem müssen wir Städte in den Blick nehmen, die von vielen Einpendlern betroffen sind, ohne dass das finanziell kompensiert wird. Die skandinavischen Länder arbeiten zum Teil mit einer City-Maut und nutzen die Einnahmen um ihren ÖPNV zu finanzieren und ihn günstiger, attraktiver, schneller zu machen. Die Option müssen wir in unsere Überlegungen einbeziehen. Zudem geht es um die Frage, wie man mit einem engen, verdichteten, öffentlichen Raum umgeht. Oft stehen Parkplätze kostenfrei zur Verfügung – auch für wirtschaftlich stark aufgestellte Menschen, die mehr als einen PKW pro Haushalt haben. Damit werden diese Menschen bevorteilt, denn hier wird nicht kostengerecht umverteilt. Kommunen haben derzeit allerdings nur einen begrenzten Spielraum, um Parkgebühren zu erheben. Diesen Spielraum müssen wir deutlich erhöhen.
FES: Die zweite Zieldimension, an der Sie sich ausrichten, ist die Unabhängigkeit der Lebensqualität vom sozialen Status. Die Krux ist, gerade die Bürger_innen, die kaum Verkehrsemissionen verursachen, sind am stärksten von ihnen betroffen: damit ist weniger der Ausstoß von CO2 gemeint, sondern vielmehr die allgemeine Luft- und Lärmverschmutzung. Kurzum: Die Hauptverkehrsstraßen, Einflugschneisen oder durch Schienenlärm verschmutzte Gegenden werden der dort günstigeren Mieten zumeist von sozial Schwächeren bewohnt. Welche auf sozialen Ausgleich bedachten Ideen gibt es, um dem entgegenzuwirken?
Städte- und Mobilitätsplanung müssten sehr viel mehr miteinander verzahnt werden. Wohnbebauung, die sehr dicht an Bundesstraßen liegt, muss anders geplant werden. Außerdem kann man hier nach Möglichkeiten suchen, wie man Straßen beispielsweise unterirdisch führt, Tunnelanalgen oder Ähnliches baut. Ein weiteres Problem ist, dass wir es auf Hauptverkehrsstraßen mit stark ansteigendem Verkehrsaufkommen zu tun haben und Menschen damit plötzlich an sehr belasteten Straßen wohnen. Hier muss ein Ausgleich gefunden werden. Dazu gehört, dass wir versuchen, die Emissionen im Bereich Individualverkehr möglichst auf Null zu senken. Dies geht durch alternative Antriebsformen, die deutlich leiser und mit weniger Umweltverschmutzung verbunden sind. Dasselbe gilt für den Schienenverkehr. Wir brauchen insbesondere deutlich leisere Güterzüge und müssen zudem durch kreative Lärmschutzmaßnahmen dafür sorgen, dass diejenigen, die von starkem Verkehr betroffen sind, einen Ausgleich erhalten.
FES: Dort, wo das ÖPNV-Angebot gut ausgebaut ist, schlagen Sie vor, Einschränkungen für den Individualverkehr vorzunehmen: keine Parkplätze, hohe Park- aber Mautgebühren. Wenn ich Sie richtig verstehe, versprechen Sie sich hiervon einen Zuwachs an Heterogenität der ÖPNV-Nutzergruppe und damit auch einen Zuwachs an gesellschaftlicher Anerkennung dieser gemeinschaftlichen Verkehrsträger. Apropos Anerkennung: Welche Rolle spielt die psychologische Komponente? Ist das Auto nicht nach wie vor das Statussymbol schlechthin?
Das Auto als Statussymbol spielt bei der Wahl des Verkehrsmittels für viele Menschen immer noch eine entscheidende Rolle und ich gehe davon aus, dass sich das so schnell auch nicht ändern wird. Man muss aber sehen, dass es mittlerweile auch den Trend gibt, dass gerade in der jungen Generation in größeren Städten das eigene Auto nicht mehr so sehr im Vordergrund steht, sondern die Frage der Mobilität: Wie schnell bin ich an einem Ort und welches Mobilitätserlebnis habe ich dabei? Hier lässt sich das gleiche Ergebnis statt mit eigenem Auto auch mit Carsharing erreichen. Hinzu kommt, dass Städte, in denen sehr viele Menschen wohnen und arbeiten, die große Chance haben, einen sehr attraktiven Nahverkehr anzubieten und das Auto somit für viele Menschen ganz objektiv überflüssig zu machen. Was ich sagen möchte: Vieles ist im Wandel, aber nicht alles geht von heute auf morgen.
FES: Berufspendler sind eine besonders belastete Gruppe, wenn es um Mobilität geht. Welche praktischen Ansätze gibt es, gerade diese Personengruppe hinsichtlich ihres Mobilitätsverhaltens anzusprechen?
Berufspendler machen das nicht zum Spaß, sondern wollen an ihren Arbeitsplatz kommen. Man muss den Menschen aber bewusst machen, dass jeder Einzelne mit seinem Auto Emissionen freisetzt. Und der Pendlerverkehr hat ja zugenommen. Hier brauchen wir eine integrierte Verkehrsplanung, die dafür sorgt, dass Menschen, die mit dem öffentlichen Nahverkehr kommen, schneller und komfortabler an ihren Arbeitsplätzen sind. Ich glaube zudem, dass wir etwas dafür tun müssen, Arbeiten und Wohnen wieder dichter aneinander zu bekommen. So kann man Pendelverkehre vermeiden. Man muss leider sagen, dass politische Entscheidungen hier auch ihren Beitrag geleistet haben, indem man viele Behörden und öffentliche Einrichtungen zentralisiert hat, was natürlich zu mehr Pendlerverkehr führt. Hier kann man umsteuern, indem man wieder regionale Angebote macht oder auf moderne IT-Angebote zurückgreift. Auch Heimarbeit – die Arbeit im Homeoffice – kann eine wichtige Rolle spielen.
FES: Gesellschaftliche Effizienz beschreibt das, was unter Einbeziehung der „Kostenwahrheiten“ unterschiedlicher Verkehrsträger unter dem Strich übrig bleibt. Welche politischen Ansätze zeigt soziale Verkehrspolitik auf, um diese Kostenwahrheiten sichtbar zu machen?
Einfach wird es nicht, die genauen Kosten offen zu legen. Unterschiedliche Menschen werden unterschiedliche Berechnungen anstellen und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Aber die Tendenz ist klar: Auch wenn wir über den PKW-Verkehr sehr hohe Steuereinnahmen erzielen, sagen die Experten, dass dies trotzdem nicht verursachungsgerecht ist. Insbesondere der Straßenunterhalt ist sehr teuer und die Umweltschäden, die wir damit anrichten sind immens. Dies sieht man auch, wenn man die Parkgebühren im öffentlichen Raum betrachtet und sich mal ansieht, wie die sich in den vergangenen Jahren geändert haben im Vergleich zu den Wohnkosten. Während die Mieten gerade in den Großstädten oft schlagartig nach oben gegangen sind, wurden Parkgebühren zum Teil gar nicht erhöht. Wir beobachten auch unterschiedliche Kostensteigerungen bei den Verkehrsmitteln: Während die Fahrkarten im öffentlichen Nah- und Fernverkehr vielerorts teurer geworden sind, etwa aufgrund von Tariferhöhungen und weil die öffentliche Hand nicht mehr Zuschüsse beschließen konnte, gab es dies für den PKW-Nutzer so nicht. Wir haben sogar im Gegenteil die Entwicklung, dass im Weltmarkt die Ölpreise gesunken sind, was sich auf den Benzinpreis ausgewirkt hat.
FES: Thema Sicherheit. Die Zahl der Verkehrstoten steigt – und zwar ausschließlich bei Fahrradfahrer_innen und Fußgänger_innen. Wir wissen zwar, dass auch die Gesamtzahl letzterer zunimmt, dennoch sind die Zahlen besorgniserregend. Deswegen, so schreiben Sie, müsse sich die Verkehrspolitik am schwächsten Glied orientieren. Das klingt nach einer „Fahrrad und Fußgänger first Politik“, quasi holländische Verhältnisse. Was genau ist gemeint?
Unsere Städte wurden über Jahrzehnte autogerecht geplant und damit mit dem Gedanken, dass der Fußgänger Rücksicht zu nehmen hat auf den Autoverkehr. Wenn man möchte, dass sich mehr Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad fortbewegen und ihnen mehr Sicherheit bieten möchte, geht das nur, wenn man die Planung deutlich verändert. Zu kritischen Situationen kommt es gerade an Kreuzungen und weil die Autos innerorts zu schnell fahren. Oft gibt es auch im innerstädtischen Bereich Straßen, bei denen man damit rechnen muss, dass deutlich über 50 km/h gefahren wird. Hinzu kommt, dass es zu viele Ausfahrten gibt, die schlecht einsehbar sind. Man muss darauf achten, den Straßenverkehr so zu planen, dass insbesondere Fußgänger sowohl den Gehweg als auch die Straße sicher überqueren können. Das haben wir im Moment noch nicht. Außerdem beobachten wir oft, dass Autofahrende rücksichtslos in Kreuzungsbereichen parken, obwohl in wenigen hundert Metern Parkraum in Tiefgaragen oder Parkhäusern vorhanden ist. Hier muss man daraufhin hinwirken, dass man durch die bauliche Gestaltung dafür sorgt, dass Kreuzungsbereiche nicht zugeparkt werden können. Zu den Verkehrstoten im Bereich des Fahrradverkehrs kommt es oft durch Abbiegeunfälle. Um dies zu verhindern, ist es unter anderem notwendig, dass die großen Lkw entsprechende technische Hilfsmittel haben, um tödliche Rechtsabbiege-Unfällen mit Radfahrenden zu verhindern. Wichtig wäre auch, den Kommunen die Möglichkeit zu geben, insbesondere die großen Lkw aus den Wohngebieten herauszuhalten.
FES: Für mehr Sicherheit bräuchten Städte und Gemeinden mehr Platz. Bei dichter Bebauung und auf PKW’s ausgerichtete Straßenführungen scheint das fast ein Ding der Unmöglichkeit. Wie können Kommunen sich auf den Weg in Richtung einer sozialen Verkehrspolitik machen?
Im Mittelpunkt der Verkehrspolitik muss der Mensch stehen. Damit wird die Frage zentral: Wie verteilen wir den öffentlichen Raum gerecht? Man muss sich einfach mal vor Augen führen, wie viel Raum derzeit für Fußgänger und Radfahrer, wie viel für das öffentliche Leben und wie viel für parkende Fahrzeuge zur Verfügung steht. Dabei wird man feststellen, dass selbst in Wohngegenden Flächen überwiegend von Pkw genutzt werden. Aber das kann man ändern! Vor allem sollte man darauf setzen, die Anzahl der Pkw durch gute Alternativangebote zu reduzieren. Aber man hat auch die Möglichkeit, diese verstärkt in Parkhäuser und Tiefgaragen, am besten außerhalb von Wohngebieten, „zu verschieben“.
FES: Stichwort Siedlungspolitik: Ein zentrales Versagen der Verkehrspolitik sehen Sie in der praktizierten Siedlungs- und Bebauungsstruktur. Letztere müsse sich an die Mobilitätspolitik anpassen und nicht v.v. Können Sie dies kurz ausführen?
Der bisherige Standard ist, dass man ein neues Wohngebiet und dazu Straßen plant und sich erst später überlegt, welche Busführung und welche Schienenverkehre dort aufgenommen werden können. Oft stehen die Wohnprojekte im Vordergrund und die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen werden dann als gegeben hingenommen. Hier sollte man im Vorhinein berücksichtigen, wie man Wohngebiete mit S-Bahn-Stationen, Tramstationen und Bushaltestellen ausstattet. Wie werden die Menschen einkaufen, wo werden sie arbeiten? Diese Fragen werden oft viel zu spät gestellt. Hierzu gehört die Organisation der Nahversorgung. Wenn dies bei der Planung nicht berücksichtigt wird, entstehen meist noch einmal zusätzliche Pkw-Verkehre. Die Stadt Wien ist ein hervorragendes Positiv-Beispiel. Hier hat man zuerst überlegt, wo in einem neuen Quartier S-Bahnstrecken verlaufen und Bahnhöfe gebaut werden können und erst danach geplant, wie man eine Wohngegend drum herum bauen kann. Auf diese Weise haben die Menschen, die in ein neues Wohngebiet ziehen, von Vornherein die Möglichkeit auf ein eigenes Auto zu verzichten und den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen.
FES: Last but not least: Soziale Verkehrspolitik richtet sich nach den schwächsten Gliedern einer Gesellschaft, sei es aus ökonomischer oder aber aus Perspektive ihrer eigenen Mobilität. Welche Schritte müssen jetzt in die Wege geleitet werden und welche Ratschläge geben Sie den Kommunen, die sich auch jetzt auf den Weg machen wollen?
Ich habe den Eindruck, viele Kommunen überlegen sich derzeit sehr genau, wie die zukünftige Mobilität bei ihnen aussehen soll. Dazu gehört die Frage, wie Fahrradwege und Radschnellwege gebaut werden. Und auch der Fußverkehr wird in vielen Kommunen noch einmal neu betrachtet. Man sollte dabei die Verkehrsteilnehmer, die ökologisch den kleinsten Fußabdruck haben und zudem gesellschaftlich am effizientesten sind – das sind Fußgänger, Fahrradfahrer und ÖPNV-Nutzer – als Gesamtes betrachten. Die Frage ist dann: Wie stärken wir den „Umweltverbund“? Hier wäre es hilfreich, wenn Mobilitätspläne für Kommunen entwickelt werden, die zeigen, wie der städtische Verkehr in der Kommune abgewickelt werden kann. Im Bund versuchen wir als SPD-Fraktion durchzusetzen, dass es Kommunen erleichtert wird, Tempo-30-Zonen und Fahrradstraßen auszuweisen. Dies ist sehr wichtig für einen ruhigeren Verkehr in den Städten, muss aber am Ende in der Kommune umgesetzt werden. Letztlich geht es natürlich auch um die Aufteilung des Straßenraums. Diese Problematik kann man sich gezielt erschließen, indem man sich bewusst macht, wie der Straßenquerschnitt in unseren Wohngebieten derzeit aufgeteilt ist und wie es mit etwas Phantasie auch anders aussehen könnte. Wollen wir das so haben, wie es ist, oder können wir die Straßen zum Teil anders nutzen und so die Lebensqualität steigern? Wo kann man Spielzonen und Begegnungsräume anlegen? Das sind Punkte, die gerade in den Städten eine viel größere Rolle spielen sollten.
Mathias Stein, MdB, ist Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Er ist Berichterstatter für die SPD-Bundestagsfraktion für die Themen Rad- und Fußverkehr, Elektromobilität und alternative Antriebe, Binnenschifffahrt sowie Planungsbeschleunigung.
Das Gespräch führte Ann-Mareike Bauschmann
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