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„Transnationale Ausbildungspartnerschaften sind Ausdruck des globalen Wettlaufs um qualifizierte Gesundheitsfachkräfte“

Remco van de Pas und Corinne Hinlopen über Herausforderungen und Risiken von transnationalen Ausbildungspartnerschaften im Gesundheitssektor.

Bild: Female doctor discussing with nurse in dentist's clinic von picture alliance / Westend61 | Javier De La Torre Sebastian

Die globale Nachfrage nach medizinischen Fachkräften steigt. Mit transnationalen Ausbildungspartnerschaften, sogenannten Global Skills Partnerships (GSP), wollen Industrieländer die Ausbildung von Gesundheitsfachkräften in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen kofinanzieren – für den in- und ausländischen Arbeitsmarkt. In der kürzlich erschienenen FES Perspektive diskutierten Remco van de Pas und Corinne Hinlopen über die Herausforderungen und Risiken von GSPs im Gesundheitssektor. Wir sprachen mit ihnen über ihre Ergebnisse.

 

FES: Warum interessieren sich so viele Staaten, NGOs und internationale Organisationen für das Konzept der Global Skills Partnerships?

Corinne Hinlopen (CH): Als NGO, die sich mit dem Recht auf Gesundheit für alle beschäftigt, ist Wemos von der Tatsache fasziniert, dass es immer mehr Kollaborationen gibt, die die Mobilität von Arbeitskräften im Gesundheitswesen vermitteln, und das Interesse an solchen Kooperationen steigt. Die Zunahme der Mobilitätspartnerschaften ist Ausdruck des globalen Wettlaufs um qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte im Gesundheitswesen in einem globalisierten Arbeitsmarkt, der mit enormen Engpässen konfrontiert ist. Es ist also verlockend zu versuchen, diesen Mangel durch Migration von Gesundheitsfachkräften zu beheben. Jedoch bleibt dieser Versuch vergeblich, wenn wir nicht gleichzeitig in mehr Gesundheitspersonal investieren, für alle und überall. 

Remco van de Pas (RvdP): Aufgrund des demografischen Wandels, der steigenden Nachfrage nach Pflegedienstleistungen und wirtschaftlichen Verlagerungen wird der Gesundheitssektor global zu einem der wichtigsten, führenden Wirtschaftssektoren werden.  Dadurch werden bis 2030 40 Millionen Arbeitsplätze im Gesundheitswesen entstehen, wobei die Nachfrage hauptsächlich in Ländern mit hohem Einkommen besteht. Dieser „Sog“ nach Gesundheitsfachkräften bringt Länder und Arbeitgeber_innen dazu, im Ausland und auch außerhalb der Europäischen Union nach Arbeitskräften zu suchen. Transnationale Ausbildungspartnerschaften bieten eine Möglichkeit, dies in ethischer und nachhaltiger Weise zu tun, vorausgesetzt, sie unterliegen strikter Steuerung und Regulierung und die Interessen aller Beteiligter werden dabei respektiert und garantiert.

CH: Genau. Und das Problem ist, dass wir kein klares Bild davon haben, wer hinter diesen Partnerschaften steckt und wessen Interessen sie vertreten. Viele dieser Vereinbarungen sind recht intransparent. Für uns ist das besorgniserregend, denn bei der Vermittlung von Arbeitskräften im Gesundheitswesen geht es tatsächlich um sehr viel: das Wohlergehen der migrierenden Gesundheitsfachkräfte selbst, ihre Arbeitnehmer_innenrechte, insbesondere die Position von Frauen, die in diesem Sektor traditionell mehr migrieren als Männer, die Resilienz der Gesundheitssysteme in den Herkunftsländern, um nur ein paar Themen zu benennen. Und wenn mit lukrativen Geschäften Geld zu verdienen ist, wer kümmert sich dann um diese Rechte und mögliche negative Nebeneffekte? Wer wird sicherstellen, dass die migrantischen Arbeitskräfte eine ordnungsgemäße Einarbeitungszeit bekommen? Dass sie dieselben Arbeitnehmer_innenrechte haben wie im Inland ausgebildete Pflegekräfte und Ärzt_innen? Dass sie dieselbe Vergütung erhalten? Dass sie in ihrem Arbeitsalltag nicht diskriminiert werden? Und wer wird verhindern, dass wertvolle personelle Ressourcen aus bestimmten Ländern vollständig abgezogen werden?

In Ihrem Papier sagen Sie, dass die Idee der transnationale Ausbildungspartnerschaften immer noch umstritten ist. Was meinen Sie damit?

RvdP: Sie ist umstritten, weil das Framing seitens mancher Akteur_innen ist, dass es sich um ein Modell einer öffentlich-privaten Partnerschaft handelt, das einen „Triple-Win“-Nutzen für alle Beteiligten schafft, etwa die migrantischen Arbeitskräfte, die Arbeitgeber_innen und die Regierungen in den Herkunfts- und Zielländern. In unserer Forschung haben wir allerdings noch keine Belege dafür gesehen, dass es ein nachhaltiges Modell oder einen Pilotfall gibt, in dem diese Gegenseitigkeit existiert und die Vorteile gleich verteilt sind.

CH: Folgendes bereitet uns Sorge: wenn man eine Vereinbarung als GSP bezeichnet – und damit ein echtes „Triple-Win-Modell“ impliziert – wird dieser Begriff verwendet, um Arbeitsmigrationsvereinbarungen zu legitimieren, die nicht notwendigerweise die Interessen aller Beteiligter beachten. Und ganz besonders die Interessen der Länder und der Menschen, die am meisten zu verlieren haben.

Der Weltbund der Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger sagt, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen unter dem Braindrain von Pflegekräften leiden, der ihr öffentliches Gesundheitswesen gefährdet. Könnten transnationale Ausbildungspartnerschaften etwas gegen den Mangel an Arbeitskräften im Gesundheitswesen in diesen Ländern ausrichten?

CH: Selbstverständlich gibt es Möglichkeiten, das zu erreichen. Stellen Sie sich eine Situation vor, in der ein Land mit hohem Einkommen eine bestimmte Zahl Pflegekräfte und Ärzt_innen einstellen möchte, und zwar aus einem bestimmten Land mit niedrigerem Einkommen, das selbst unter einem Mangel an Arbeitskräften im Gesundheitswesen leidet. Das Zielland könnte dann entscheiden, die Ausbildung der Pflegekräfte und Ärzt_innen, die dort beschäftigt werden sollen, zu bezahlen, aber auch die eines Kontingents an Pflegekräften und Ärzt_innen, die in ihrem Heimatland bleiben und arbeiten würden. Besser noch, und in vielen Fällen wirklich notwendig: dieses Geberland könnte mit anderen Geberländern zusammenarbeiten, um Arbeitsplätze hoher Qualität im Gesundheitssystem des Herkunftslands zu schaffen und eine verlässliche Finanzierungsquelle für diese Arbeitsplätze zu garantieren, sodass den neuen Absolvent_innen tatsächlich Arbeitsmöglichkeiten offenstehen. Es hat keinen Sinn, neue Pflegekräfte, Ärzt_innen und andere Arbeitskräfte im Gesundheitswesen auszubilden, wenn es dann keine Arbeitsplätze für sie gibt. Das würde nur zu Frustration führen.

RvdP: Um noch einen Schritt weiter zu gehen: ja, theoretisch können GSPs dazu beitragen, den Mangel zu beheben. Sie sollten aber als Teil institutionalisierter, langfristiger, bi- und multilateraler Governance-Mechanismen für Gesundheit und Arbeit entwickelt werden, u.a. dem WHO-Verhaltenskodex für die internationale Rekrutierung von Gesundheitspersonal. Diese Governance-Mechanismen sollten soziale Rechte und die Portabilität von Renten und Versicherungen sichern sowie nachhaltige Finanzierung für die Gesundheits- und Bildungssysteme und -institutionen in den Herkunftsländern. Ohne diese Mechanismen könnte es tatsächlich das Risiko eines Braindrains geben, der nicht ausreichend kompensiert wird.

Welche weiteren Herausforderungen und Risiken sehen Sie bezüglich transnationalen Ausbildungspartnerschaften im Gesundheitssektor?

RvdP: Die größte Herausforderung besteht darin, dass die öffentliche Hand die Risiken dieser Partnerschaften trägt und das Projekt und die Partner_innen bei Schwierigkeiten absichert oder sogar "bürgt", während gleichzeitig die Gewinne an Arbeitgeber_innen und private Investor_innen fließen. Das Risiko, dass die öffentliche Hand, also die Steuerzahler_innen, privates Kapital subventionieren, ist erheblich. Transnationale Ausbildungspartnerschaften werden nur dann funktionieren, wenn es eine klare Vereinbarung über die gemeinsamen Verantwortlichkeiten gibt, wenn deren Umsetzung überwacht wird, und wenn dies mittels eines ordnungsgemäßen sozialen, dreiseitigen Dialogs unter angemessener Beteiligung der Gewerkschaften stattfindet. 

CH: Meine Hauptsorge ist, dass der Wildwuchs an Ausbildungspartnerschaften exponentiell und unkontrolliert zunehmen wird. Ich unterstütze gern die Zusammenarbeit, um den globalen Mangel an Arbeitskräften im Gesundheitswesen zu beheben, aber wir sollten erkennen, dass diese Ressource endlich ist. Anstatt Migration von Gesundheitsfachkräften zu fördern, sollten wir außerdem unsere Investitionen in den globalen Pool an Arbeitskräften im Gesundheitswesen erhöhen. Aber das verlangt mehr Geduld, eine Vision der nachhaltigen Entwicklung und mehr Geld. Deshalb sollte man das in einer eher strukturierten und systematischen Art und Weise anpacken, bilateral zwischen Ländern und multilateral in Kooperation mit den großen Playern, etwa WHO, Weltbank, ILO und möglichst auch den großen globalen Gesundheitsinitiativen, beispielsweise der Globale Fonds (zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria), die Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung, der Krisenplan des US-Präsidenten zur Bekämpfung von AIDS (PEPFAR) und ähnliche.

Was unterscheidet den Gesundheitssektor von anderen Sektoren, etwa der Automobilbranche, bei der Einführung von Kompetenzpartnerschaften?

CH: Um es auf den Punkt zu bringen: das Recht, ein Auto zu bauen oder zu besitzen, ist nicht in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert. Mir ist es völlig egal, wo Autos produziert werden und wer sie kauft. Das Gesundheitswesen ist aber vollkommen anders, denn das Recht auf Gesundheit ist sehr wohl als grundlegendes Menschenrecht anerkannt. Es ist von uns, der Menschheit, entschieden worden, dass Menschen das Recht auf Gesundheit haben und dass Regierungen dafür verantwortlich sind, allen Menschen Gesundheitsdienstleistungen – kurative wie präventive – zur Verfügung zu stellen, und zwar in gleichem Maße. Die Agenda für nachhaltige Entwicklung hat dieses Recht auf Gesundheit erneut bestätigt und besser konkretisiert. Heutzutage ist es einfach nicht akzeptabel, das Niveau der Gesundheits- und Präventionsversorgung für einige (in reicheren Ländern) zu erhöhen, indem man anderen (in Kontexten mit weniger Ressourcen) das gleiche Maß an Versorgung vorenthält, indem man Krankenpfleger_innen, Ärzt_innen und anderes Gesundheits- und Pflegepersonal abwirbt. Deswegen sollten wir diesen Wildwuchs an Ausbildungspartnerschaften sorgfältig beobachten.

RvdP: Der Gesundheitssektor ist ein „künstlicher“ Arbeitsmarkt, da seine Dienstleistungen nicht nur an wirtschaftlichen und finanziellen Anreizen ausgerichtet sind. Medizinische Versorgung ist ein menschliches und soziales Unterfangen, immer noch meistens informell und auf Gegenseitigkeit beruhend. Ohne die Anerkennung, dass (ein Mindestmaß an) medizinischer Versorgung ein Gemeingut und ein Menschenrecht ist, besteht das Risiko der Rosinenpickerei. Das bedeutet, dass die am wenigsten komplizierten und rentabelsten Gesundheitsdienstleistungen kommerzialisiert und privatisiert werden könnten, und die komplizierteren oder weniger rentablen, also die für die „schwierigen“ Patient_innen, dem unterfinanzierten öffentlicher Sektor überlassen werden. Wenn wir also beginnen, medizinische Versorgung jenseits ihrer allein ökonomischen Leistung zu betrachten, wird es möglich, darüber zu debattieren – und zu entscheiden – wie man sie in Europa und anderswo besser organisieren kann.

Was sind Ihre drei wichtigsten Empfehlungen an politische Entscheidungsträger_innen für die Gestaltung von Mobilitätspartnerschaften, etwa transnationalen Ausbildungspartnerschaften?

RvdP: Achten Sie auf Nachhaltigkeit, machen Sie es inklusiv, einschließlich eines sozialen Dialogs, und erkennen Sie, dass transnationale Ausbildungspartnerschaften in eine breitere multilaterale Governance eingebettet sein müssen, bei der soziale und gesundheitliche Rechte garantiert werden.

CH: Stellen Sie sicher, dass die richtigen Akteure mit am Tisch sitzen, einschließlich Vertreter_innen von Gesundheitsfachkräften, Gewerkschaften, Gesundheitsmanager_innen und Gesundheitsministerien. Behalten Sie das langfristige Ziel im Auge: Gesundheit für alle. Und wenn es einem gelungen ist, die Interessen sämtlicher Beteiligter in Einklang zu bringen, dann sollte man sich das ruhig als Verdienst anrechnen und den Erfolg wiederholen.

 

Remco van de Pas ist Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen, Lehrbeauftragter und Forscher zu globaler Gesundheit. Er ist Research Fellow am Institute of Tropical Medicine, Antwerpen, und Research Associate am Netherlands Institute of International Relations Clingendael. Schwerpunkt seiner Lehre an der Universität Maastricht ist globale Gesundheit.

Corinne Hinlopen hat einen M.Sc. in Soziologie und Entwicklungsforschung und einen Master im Öffentlichen Gesundheitswesen und hat langjährige Erfahrung mit der Arbeit im öffentlichen Gesundheitswesen in den Niederlanden und im Ausland. Sie arbeitet derzeit als Global Health Advocate bei der Wemos Foundation, wo sie sich auf Personalfragen für Gesundheit, Gesundheitssysteme, die Ziele für nachhaltige Entwicklung und „niemanden zurücklassen“ konzentriert.

 

Pas, Remco van de; Hinlopen, Corinne

Global skills partnerships on migration

Challenges and risks for the health sector
Berlin, 2020

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Bildungs- und Hochschulpolitik
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florian.daehne(at)fes.de

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