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„Frauen führen effektiv und effizient, wann immer sie die Gelegenheit dazu erhalten“

Was konkret getan werden muss, um mehr Frauen in die Politik zu bringen. Ein Interview mit der Aktivistin Shad Begum über das Empowerment von Frauen in Pakistans Lokalpolitik.

 

 

Trotz Quoten und steigenden Bewusstseins sind Frauen in Pakistan in der Politik noch immer unterrepräsentiert, besonders in der Lokalpolitik. Die Friedrich-Ebert-Stiftung Pakistan hat Workshops durchgeführt, um Frauen bei politischen Kandidaturen zu unterstützen.  Kursleiterin Shad Begum sprach mit uns über ihre eigene Erfahrung als Lokalpolitikerin und darüber, was getan werden muss, um wirklich mehr Frauen in die Politik zu bringen.

Wie schätzen Sie aktuell die Beteiligung von Frauen in der pakistanischen Politik ein?

Shad Begum: Das politische Engagement von Frauen in Pakistan wächst, hauptsächlich dank des Lokalregierungssystems, das es Frauen ohne einen professionellen politischen Hintergrund leichter ermöglicht in die Politik einzusteigen als auf den höheren Ebenen. Wir sind uns alle bewusst, dass es für Frauen in Pakistan unglaublich schwierig ist, sich auf regionaler oder nationaler Ebene in der Politik zu engagieren, da Geld und familiärer Hintergrund immer ein großes Gewicht besitzen. Für weibliche politische Outsider schafft das große Hindernisse und Hürden. Eine bedeutende Zahl an gewählten Volksvertreterinnen in der Lokalregierung zu haben, ist deshalb eine gewaltige Errungenschaft – besonders in Gegenden, wo die Politik als Männerdomäne gilt und viele Frauen in den letzten Jahren nicht einmal die Erlaubnis ihrer Familien erhalten hatten, selbst wählen zu gehen.

Und wenn sie erst einmal gewählt sind, müssen Frauen in Gemeinderäten noch immer viele Hindernisse überwinden. Obwohl das Lokalregierungsgesetz in allen Provinzen Pakistans betont, dass Frauen gleichberechtigte Mitglieder des Gemeinderats sind, werden sie oft nicht gleich behandelt und müssen um den Zugang zu kommunalen Geldern für ihre Projekte kämpfen. Besonders in ländlichen Gegenden wird es für gewählte Frauen auch weiterhin eine Herausforderung sein, die vorherrschenden und seit langem etablierten Standpunkte in Frage zu stellen und zu verändern.

Sie waren selbst in der Lokalpolitik aktiv. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Shad Begum: Ich hatte mich bei zwei Wahlen als unabhängige Kandidatin aufstellen lassen. Mein Ziel war auch, Frauen an der Basis dazu zu ermutigen, selbst für öffentliche Ämter zu kandidieren. In meiner ersten Amtszeit war ich gewähltes Ratsmitglied auf Ebene des tehsil  (der zweituntersten Verwaltungseinheit in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa), mein zweites Amt war das eines Bezirksratsmitglieds (die nächste Regierungsebene in Khyber Pakhtunkhwa).

Während meiner Amtsperiode im tehsil-Rat war es uns Frauen nicht gestattet, uns während der Ratssitzungen im Ratssaal aufzuhalten. Wir gewählten Frauen mussten uns in einem separaten Raum versammeln, wo wir nicht hören konnten, was bei den Ratssitzungen passierte. Wir bemühten uns, für unsere Rechte einzutreten und forderten als aktive Mitglieder eine vollumfängliche Teilnahme an den Ratssitzungen. Uns wurde jedoch während unserer gesamten fünf Jahre im tehsil-Rat bei den meisten Angelegenheiten das Recht auf eine aktive Beteiligung verwehrt.

Die Situation verbesserte sich etwas in meiner zweiten Amtszeit auf Bezirksebene. Dort waren wir es gewöhnt, in einem geteilten Ratssaal zu sitzen und bei den Ratssitzungen hören und sprechen zu können. Wir wurden auch in die Bezirksmonitoring-Ausschüsse einbezogen, was es uns erlaubte, mit unseren männlichen Amtskollegen und den nachgeordneten Bezirksbehörden zu kommunizieren. Diese Begegnungen halfen uns enorm dabei, uns beim Großteil der Themen einzubringen. Mit den Bedingungen, die ich hier aufgrund meiner eigenen Erfahrungen beschreibe, waren  fast alle gewählten Frauen konfrontiert, seit das Lokalregierungssystem eingeführt wurde. Mit der Zeit bessert sich die Situation jedoch, da mehr Frauen eine gleichberechtigte und sinnvolle Beteiligung an der Lokalregierung fordern.

 

Nun schulen Sie Frauen, die sich in ländlichen Gebieten in der Lokalpolitik engagieren wollen. Was ist deren Erfahrung und was sollte man tun, um sie besser in ihren politischen Bestrebungen zu unterstützen?

Shad Begum: Seit der Einführung des Lokalregierungsgesetzes im Jahr 2001 habe ich eng mit gewählten Frauen und JugendrätInnen zusammengearbeitet, um ihnen die nötigen Informationen und Fähigkeiten zu vermitteln. Obwohl die meisten der gewählten Frauen Analphabetinnen waren, stellten wir fest, dass sie, nachdem wir sie über das Gesetz und seine Funktionen aufgeklärt hatten, stets effektiv und effizient Führungsrollen übernommen und sich in den Dienst ihrer Gemeinschaft gestellt haben, wann immer sie die Gelegenheit dazu erhielten. Die meisten der gewählten Frauen begannen, sich für ihre Rechte als gewählte Ratsmitglieder einzusetzen, nachdem sie sich ihrer Funktion, Pflicht und Befugnis bewusst geworden waren. Sie begannen auch, sich um Finanzmittel und andere Prozesse zu bemühen, die ihnen laut Lokalregierungsgesetz zustehen.

Wir beobachten, dass das Interesse von Frauen in ländlichen Regionen an einem Engagement in der Lokalpolitik immer mehr steigt. Grund dafür ist, dass sie seit Jahrzehnten mit großen Herausforderungen zu kämpfen haben und keine politische Partei daran interessiert ist, ihre Probleme zu lösen. In unseren Schulungen waren Frauen aus ländlichen und entlegenen Regionen sehr begierig darauf, mehr über das Lokalregierungssystem, Wahlkampf und Gemeindeentwicklung zu lernen.

Ich bin mir sicher, dass wir weiterhin gewählte Frauen aus ländlichen Regionen schulen und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit geben müssen, andere gleichgesinnte Gruppen und Personen kennenzulernen und sich mit ihnen zu vernetzen, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Natürlich ist das für Frauen aus ländlichen Gegenden schwieriger aufgrund fehlender Mobilität und Anbindung. Wir müssen ihnen dabei helfen, sich mit aktiven Politikerinnen zu vernetzen, damit sie von deren Praxiserfahrungen profitieren können, beispielsweise wenn es darum geht, eine politische Karriere zu starten und am Laufen zu halten. Auf diese Weise werden sie den Weg ebnen für mehr weibliche Führungskräfte und werden zu Vorbildern für andere Frauen auf lokaler Ebene.

Wie können mehr Frauen eine Führungsrolle in der Lokalpolitik übernehmen?

Shad Begum: Einzelne Frauen haben bereits damit begonnen, Führungsrollen in der Lokalpolitik zu übernehmen, indem sie sich am Lokalregierungssystem beteiligen. Nun ist es die Aufgabe der Parteien, Frauen mehr Raum zu geben und sie aktiv einzubeziehen, indem sie sie schulen und an der Politik mitwirken lassen, anstatt sie zu ignorieren. Die Parteien müssen in die politische Führung der Frauen investieren.

Es ist auch die Pflicht der pakistanischen Wahlkommission und der lokalen Regierungsbehörden zu garantieren, dass alle Gesetze und politischen Maßnahmen, die eine Ausweitung der politischen Führung der Frauen fördern, auch richtig umgesetzt werden. Außerdem müssen diese Institutionen gewährleisten, dass Gemeinden und Parteien keine Praktiken anwenden, die eine aktive politische Beteiligung der Frauen verhindern.

Und zu guter Letzt müssen die Frauen selbst sich für ihre Rechte und eine echte Repräsentation in ihren jeweiligen Parteien einsetzen. In der Vergangenheit haben wir gesehen, dass die meisten Parteien die Präsenz und Arbeit ihrer Mitarbeiterinnen als selbstverständlich betrachten und es ihnen selten erlauben, eine eigene politische Laufbahn anzustreben. Parteien müssen den Frauen direkte und allgemeine Kandidaturen bei den Wahlen ermöglichen, anstatt ihre Kandidaturen auf Sitze zu beschränken, die für Frauen reserviert sind. Es ist ganz einfach: Je mehr Frauen durch direkte Wahl an unserem politischen System teilhaben, desto stärker wird ihre politische Führung. Ich glaube, dass die Zukunft den Frauen gehört. Frauen treten in vielen Ländern der Welt aus der Masse hervor und übernehmen die Führung, nicht nur in Pakistan.

 

Shad Begum ist Gründerin und Geschäftsführerin der Association for Behaviour and Knowledge Transformation (Verein für Verhaltens- und Wissenstransformation), einer Organisation, die sich für das wirtschaftliche und politische Empowerment von Pakistans benachteiligten Gemeinschaften mit besonderem Schwerpunkt auf Frauen und Jugendliche einsetzt. Shad ist Ashoka Lifetime Fellow, Acumen Fellow und Regan-Fascell Democracy Fellow. Sie erhielt außerdem den International Women of Courage-Preis des US-Außenministeriums und den Prize for Creativity in Rural Life von der Women’s World Summit Foundation in Genf. Sie hat einen Bachelor-Abschluss von der University of Malakand und einen Executive MBA in Personalmanagement von der Preston University.

Shad ist TED-Rednerin und hielt ihren ersten offiziellen TED Talk im Jahr 2018. 2019 gründete Shad Women Voices Pakistan, eine Initiative, die die Bemühungen von Frauen und Mädchen für eine gleichberechtigte und gerechte Welt aufzeigen, vernetzen und verstärken soll. Im März 2022 wurde Shad Begum für ihre Bemühungen um Bildung für Mädchen mit dem Ehrenzertifikat des Pride of Pakistan-Preises 2022 ausgezeichnet.

Beitragende:

Dr. Niels Hegewisch, Leiter des Büros der FES in Pakistan
Sidra Saeed, Programmberaterin, FES Pakistan

 

Der Beitrag erschien im Original in englischer Sprache auf asia.fes.de.

Marius Müller-Hennig
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