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Agenda 2030: So weit sind wir bisher gekommen

Was passieren muss, um die Nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen, umreißt Jens Martens im Interview zum neuen Spotlight Report.

Bild: Spotlight Report2019 von Reflection Group on the 2030 Agenda

Wer internationale Politik verfolgt, ist mit Sicherheit mit der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (UN) vertraut. Ihr Ansatz ist in der internationalen Zusammenarbeit völlig neu. Im Jahr 2015 wurde sie angenommen.

Die UN-Mitgliedstaaten haben sich dazu verpflichtet, die Ursachen der rasant zunehmenden Erderwärmung und Umweltzerstörung anzugehen, genau wie die der weltweiten Ungleichheit und Diskriminierung. Auch dem massiven Rückgang der Entwicklungshilfe wollen sie etwas entgegensetzen, die im starken Kontrast zur Zunahme der Gelder für militärische Zwecke steht.

Die Prioritäten und Ziele der Agenda wurden zwischen 2012 und 2015 in offenen Beratungen entwickelt. In nie zuvor dagewesener Weise beteiligten sich nicht nur die UN-Mitgliedsstaaten, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisationen daran, die 17 zentralen Politikfelder herauszuarbeiten. Diese finden sich in den Nachhaltigen Entwicklungszielen (engl. Sustainable Development Goals, SDGs) wieder, zu denen auch Ziel 10 gehört, bei dem es darum geht, die Ungleichheit zwischen und innerhalb von Staaten zu reduzieren.

Vier Jahre später konfrontiert die Zivilgesellschaft Regierungen und internationale Organisationen weiterhin mit deren positiven und negativen Beiträgen zur Umsetzung der Agenda, betont Jens Martens. Er ist der Direktor des Global Policy Forum und koordiniert ein internationales Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, die Reflection Group on the 2030 Agenda. Seit dem Jahr 2016 veröffentlich das Bündnis den Spotlight Report on Sustainable Development, einen unabhängigen Jahresbericht, der die Stärken und Schwächen der Agenda analysiert und dabei einen Schwerpunkt auf strukturelle Hürden bei der Umsetzung legt. Die FES sprach mit ihm, kurz bevor der vierte Bericht am 8. Juli erschien.

Der Spotlight Report 2019 erschien am 8. Juli 2019, einen Tag, bevor das High-Level Political Forum der Vereinten Nationen beginnt. Autoren des Berichts stellen ihn am 11. Juli 2019 in New York vor, im Baha’i International Community Center (9:30 bis 11:30 Uhr).

FES: Inwiefern unterscheidet sich die Agenda 2030 von früheren Entwicklungsstrategien?

Martens: Die Agenda 2030 ist die erste wirklich globale Entwicklungsagenda. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Nachhaltigen Entwicklungsziele sich auf die ganze Welt beziehen, sondern auch darum, dass alle Staaten etwas dazu beitragen müssen, sie zu erreichen. Kein einziges Land kann von sich behaupten, nachhaltig entwickelt zu sein oder bereits seinen Beitrag dazu geleistet zu haben, die SDGs zu erreichen. Die Agenda 2030 widerspricht der Vorstellung, dass sich nur der Globale Süden „entwickelt“, während der Norden bereits am Ende jeder Entwicklung angekommen ist. Stattdessen bietet sie die Möglichkeit, ganzheitlich auf drängende globale Probleme zu reagieren, etwa die zunehmende Erderwärmung und Ungleichheiten. Zudem schafft sie Raum, um angemessen mit strukturellen Problemen im weltweiten Wirtschafts- und Finanzsystem umzugehen sowie mit der besonderen Verantwortung der Reichen.

Was ist der Kern der transformativen Agenda?

Das Herzstück der Agenda 2030 sind natürlich ihre Ziele, die SDGs. Aber die Agenda ist viel mehr als nur 17 Ziele und 196 Zielvorgaben. Sie umfasst auch eine Verpflichtung, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die gebraucht werden, um die Ziele zu erreichen. Im Jahr 2015 haben die Regierungen anerkannt, dass sie die ambitionierten Zielvorgaben nicht erreichen werden, wenn sie nicht verstärkt international zusammenarbeiten und vergleichsweise ambitionierte finanzielle und regulatorische Maßnahmen ergreifen.

Sind die Regierungen spürbar vorangekommen, seit die Agenda verabschiedet wurde?

Eine erste Zwischenanalyse der SDG-Umsetzung zeigt deutlich, dass es den meisten Regierungen bislang nicht gelungen ist, die eigentlich transformative Vision der Agenda 2030 in politische Maßnahmen zu übersetzen. Sie müssen sich eingestehen, dass sie der Zielerreichung hinterherhinken. In vielen Bereichen gibt es überhaupt keinen Fortschritt, in manchen sogar Rückschritte.

Zerstörerische Produktions- und Konsumweisen verschärfen die Erderwärmung, erhöhen die Häufigkeit extremer Wetterereignisse, schaffen Plastikmüllhalden in den abgelegensten Winkeln der Erde und Befeuern das dramatische Artensterben.

Da die Staaten keine geeignete Finanz- und Steuerpolitik verfolgen und den regulatorischen Rahmen nicht anpassen, ändert sich nichts an der Vermögenskonzentration. Vielmehr verschärft das wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten.

Die weltweiten Militärausgaben erreichten im Jahr 2018 mit 1.822 Billionen US$ einen historischen Höchststand. Das ist mehr als das Zehnfache dessen, was die Mitgliedsstaaten des Ausschusses für Entwicklungshilfe der OECD netto in die staatliche Entwicklungshilfe investieren – 2018 waren es gerade einmal 153 Milliarde US$.

Ein ebenfalls besorgniserregender Trend ist, dass Nationalchauvinismus und Autoritarismus in immer mehr Ländern auf dem Vormarsch sind.

Aber trotz dieser eher bedrückenden Perspektiven gibt es erste Anzeichen für einen Wandel. Angesichts des Versagens oder der Untätigkeit von Regierungen entstehen derzeit weltweit soziale Bewegungen wie Fridays For Future, deren führende Köpfe hauptsächlich junge Menschen und Frauen sind.

Seit dem Jahr 2015 haben Regierungen insgesamt 187 so genannte Freiwillige Nationale Überprüfungen (engl. Voluntary National Reviews, VNRs) der SDG-Umsetzung vorgestellt oder angekündigt. Reicht das aus?

Nein, freiwillige Berichte mit selbstgewählten „Highlights“ und selbstgefällige Selbsteinschätzungen sind nicht genug. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen als unabhängige Beobachter auftreten, die Regierungen und internationale Organisationen zur Verantwortung ziehen – für ihre positiven und negativen Beiträge zur Umsetzung der Agenda. Deswegen hat sich die Reflection Group on the 2030 Agenda, ein internationales Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, entschieden, jedes Jahr einen Spotlight Report herauszubringen. In ihm untersuchen wir die Stärken und Schwächen der Agenda, insbesondere mit Blick auf strukturelle Hürden und Wechselwirkungen, die die Umsetzung der SDGs beeinflussen oder sogar verhindern.

Der Spotlight Report 2019 unterstreicht, dass es nicht nur einer besseren Politik bedarf, um die Agenda umzusetzen. Was ist Ihre Kernbotschaft?

Im letzten Bericht untersuchten wir die gleichzeitigen Privatisierung, Partnerschaften und „Corporate Capture“, also das Eindringen von Wirtschaftsakteuren in Gesetzgebungsprozesse. Dem stellten wir alternative Ansätze gegenüber, die tatsächlich einer nachhaltigen Entwicklung dienen. Dieses Jahr steigen wir tiefer in die politischen Vereinbarungen, Strukturen und Institutionen ein, die erforderlich sind, um gute Ansätze zu implementieren und die transformativen Potenziale der SDGs voll auszuschöpfen.

Struktureller Wandel beginnt immer auf lokaler und nationaler Ebene. Dazu müssen politische Prozesse gestärkt werden, die von unten nach oben wirken, und es muss auf stärkere Kohärenz hingewirkt werden. Auf globaler Ebene sollte die anstehende Überprüfung durch das High-Level Political Forum der UN genutzt werden, um die Schwäche dieses Organs zu überwinden und es zum Rat für Nachhaltige Entwicklung umzubauen.

Aber der Erfolg der SDGs hängt nicht nur von besserer Politik und stärkeren Institutionen ab. Um politische Kohärenz herzustellen, müssen die Institutionen, die für die Umsetzung der Agenda 2030 und der SDGs verantwortlich sind, erst einmal mit den erforderlichen Geldern und wirksamen politischen und rechtlichen Instrumenten ausgestattet werden. Auf globaler Ebene müssen wir davon wegkommen, uns ausschließlich auf nicht-bindende Instrumente und freiwillige Verpflichtungen von Wirtschaftsakteuren zu verlassen.

Eines der Ziele, die der Spotlight Report 2019 untersucht, ist SDG 10. Zu welcher Einschätzung und zu welchen Empfehlungen kommen Sie für den Kampf gegen Ungleichheit?

Ungleichheiten zu reduzieren ist eines der zentralen Versprechen der SDGs. Es ist in einem eigenen Ziel, dem zehnten, verbrieft und zugleich als Verpflichtung, „niemanden zurückzulassen“, in der Präambel enthalten. Im diesjährigen Bericht untersuchen wir, welche Rolle der Internationale Währungsfonds (IWF) hier spielt. Der IWF ist sehr wichtig für die Regulierung der Weltwirtschaft, sowohl auf globaler als auch auf nationaler Ebene. Zwar präsentiert er sich als neutraler Vermittler, aber tatsächlich beruhen seine Ansätze auf bestimmten wirtschaftlichen Glaubenssätzen, von denen viele nachweislich ungeeignet sind, um Ungleichheiten zu reduzieren. Anhand der Fälle von Ägypten und Brasilien stellen wir beispielhaft vor, wie die Politikempfehlungen und Darlehensbedingungen des IWF soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten verstärken und sogar Menschenrechte gefährden können.

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Seit dem 8. Juli ist der Spotlight Report 2019 auf der Website www.2030spotlight.org verfügbar. Für weitere Informationen zur Zusammenarbeit der Reflection Group und der Friedrich-Ebert-Stiftung kontaktieren Sie das Referat Globale Politik und Entwicklung.

Das Interview erschien zuerst auf Englisch bei FES Connect.

Unseren Beitrag zum Spotlight Report 2018 finden Sie hier: Öffentliche Gelder, Politikkohärenz und Umverteilung von Wohlstand
Unseren Beitrag zum Spotlight Report 2017 finden Sie hier: Menschen müssen Vorrang vor Profiten haben


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