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Integrationskurse auf dem Prüfstand

Wir sprachen mit Bildungsexperte Prof. Dr. Dietrich Thränhardt über die Ergebnisse des ersten Zwischenberichts zur Evaluation der Kurse.

Bild: Prof. Dr. Dietrich Thränhardt von Mark Bollhorst

Bild: Der allgemeine Integrationskurs von © BAMF

FES: Was hat Sie beim Lesen des offiziellen Zwischenberichts zur Evaluierung der Integrationskurse am meisten überrascht?

Prof. Dr. Dietrich Thränhardt: Die Angabe, dass nur in 24 Prozent der Kurse dieselbe Lehrkraft den ganzen Kurs hindurch unterrichtet und in allen anderen Kursen die Lehrkraft wechselt. Im Bericht wird in diesem Zusammenhang von „Realitäten von Honorarkräften“ gesprochen. Wenn das so ist, wird der Aufbau von menschlichen und didaktischen Beziehungen, die für den Erfolg grundlegend sind, durch die Organisationsweise der Kurse gebrochen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist ja nicht Anbieter von Kursen, sondern Auftrags-, Kontroll- und Standardisierungsbehörde. Die „unterbezahlten und prekär beschäftigten Lehrkräfte“ (Klinger u. a. 2019) können in vielen Fällen keinen guten Unterricht anbieten. 

Seit 2015 ist sukzessive mehr Menschen der Zugang zu einem Integrationskurs eröffnet worden. Viele unter ihnen wurden gar zur Teilnahme verpflichtet. Ihrer Einschätzung nach: Hat die Qualität der Kurse mit der größeren Quantität Schritt halten können? Und welche Faktoren bedingen die Qualität eines Kurses eigentlich?

Die Ausweitung erforderte eine große Kraftanstrengung. Gleichzeitig hat sich der Arbeitsmarkt sehr verändert und Lehrkräfte konnten in besser bezahlte und abgesicherte Jobs wechseln, weil die Schulen mehr Bedarf haben. Außerdem kamen Menschen mit sehr unterschiedlicher Vorbildung in die Kurse. In Ländern wie beispielsweise Somalia gibt es hohe Analphabetenquoten. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Erfolgsquoten etwas zurückgegangen sind.

Der Integrationskurs besteht ja aus einem sprachlichen Teil und dem so genannten Orientierungskurs, der die Grundsätze des Zusammenlebens in unserer Demokratie vermitteln soll. Wie kommt es, dass sich die Bestehensquoten in  diesen beiden integralen Kursteile so deutlich unterscheiden?

Die Teilnehmer bestehen die Prüfungen im Orientierungskurs zu 90 Prozent. Nach den Erkenntnissen des Zwischenberichts ist die Teilnahme am Orientierungskurs lückenhaft und die Testantworten werden nach Nummern auswendig gelernt (zu Frage X Antwort A). Damit lernen die Teilnehmemenden kaum etwas über die Demokratie, sondern sie gewöhnen sich daran, dass man etwas Unverstandenes aufschreibt und dafür ein Zertifikat erhält. Zudem sind die Testinhalte schwer verständlich. Sie wurden für die Einbürgerung entwickelt und sind für den Integrationskurs ungeeignet. 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge spielt eine zentrale Rolle bei der Verwaltung der Kurse. Aber auch auf Ebene der Bundesländer sowie in vielen Kommunen existieren Deutschsprachangebote. Immer wieder ist aus der Zivilgesellschaft die Forderung zu hören, die kommunale Ebene stärker in die Koordination der Angebote einzubinden. Wie schätzen Sie diese Forderung ein?

Auf Grund der gesetzlichen Einschränkungen, die mehrfach verändert worden sind, darf das BAMF vielen Asylbewerber_innen keine Kurse anbieten. Gleichzeitig dauern die Entscheidung im Asylverfahren nach wie vor im Durchschnitt ein halbes Jahr. Deswegen bieten Länder, Kommunen und Freiwillige Kurse an und es entsteht Koordinationsbedarf auf der lokalen Ebene. Von daher wäre es günstiger, wenn die Kommunen die Koordination übernähmen, weil sie auf der lokalen Eben kompetenter sind. Der Bund müsste allerdings weiterhin die Mittel zur Verfügung stellen. 

Wie organisieren unsere europäischen Partner eigentlich ihre ähnlich gelagerten Kursangebote für Einwandernde? Gibt es hier vielleicht Erfahrungen, von denen wir lernen können?

In den Niederlanden beispielsweise hat der Rechnungshof festgestellt, dass die marktwirtschaftliche Organisation der Sprachkurse nur bildungsstarken Migrant_innen geholfen hat und ein Großteil der Migrant_innen wenig profitiert hat – mit negativen Folgen für die Betroffenen und ihren Beitrag in Gesellschaft und Wirtschaft. Deswegen hat das Parlament im September 2019  beschlossen, die Kurse vom 1.1.2021 an wieder an die Kommunen zu übertragen. Statt privater Anbieter werden die Kommunen die Kurse wieder selbst durchführen und mit ihren anderen Diensten verbinden, etwa mit Beratungsangeboten und dem allgemeinen Bildungswesen. 

Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung im Themenfeld Integration: Was wünschen Sie sich vom voraussichtlich 2022 vorliegenden Endbericht der Evaluation der Integrationskurse? Welche Empfehlungen an das Autor_innen-Team würden Sie hierfür auf Basis Ihrer Analyse des Zwischenberichts formulieren?

Die Probleme, die der Zwischenbericht offenlegt, sollten gründlich analysiert werden, auch wenn es bei einer institutionsinternen Evaluation nicht einfach ist, delikate Punkte anzusprechen,. Nicht nur den Migrant_innen, sondern auch dem BAMF ist am besten geholfen, wenn man das System verbessert. 

 


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Jochen.Dahm(at)fes.de

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