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Für eine erfolgreiche Strategie gegen den Fachkräftemangel sind Beschäftigte mit Migrationshintergrund unverzichtbar. Ein Gastbeitrag von Katarina Niewiedzial, Beauftragte für Partizipation, Integration und Migration der Stadt Berlin
Die Engpässe in vielen Branchen sind alarmierend. Die Generation der Baby-Boomer der 1950er und 1960er Jahre verlässt gerade den Arbeitsmarkt. Die Geburtenraten sinken. Die Diskussion über arbeitsmarktpolitische Korrekturen flammt erneut auf – von flexiblen Arbeitszeiten über die Erhöhung der Wochenarbeitszeit bis hin zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre. Alle Optionen sind wieder auf dem Tisch. Die demografischen Prozesse sind nicht mehr aufzuhalten. Die Folgen der alternden Gesellschaft kann man aber entschärfen – insbesondere durch die Potenziale von Migration.
Deutschland braucht Fachkräfte aus dem Ausland – das ist im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz gilt bereits. Doch dass Deutschland tatsächlich ein Einwanderungsland ist, wird nicht durchgängig positiv bewertet. Besonders im Wahlkampf wird Migration oft als Belastung für die Sozialsysteme dargestellt. Das ist ein Mythos: Einwanderer*innen im erwerbsfähigen Alter stabilisieren die Sozialsysteme, wenn man ihre Potenziale nutzt. Das Vorbild der klassischen Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien zeigt: gezielte Anwerbung von qualifizierten Einwandernden kann die demografischen Trends abmildern und den wirtschaftlichen Aufschwung fördern. Ohne Einwanderung kann Deutschland die Fachkräftelücke nicht schließen, belegen Experten. Bis 2040 braucht Deutschland jährlich rund 288.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland (Bertelsmann Stiftung 2024).
Über 24 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben heute in Deutschland. In Berlin machen sie 39,4 Prozent der Bevölkerung aus, so der Mikrozensus 2023. Die Stadt wächst weiter. Zusammen mit Brandenburg bildet sie eine junge boomende Metropolregion und gedeiht wirtschaftlich trotz des demografischen Wandels.
Die Stadt funktioniert aber nur mit einer gut aufgestellten Verwaltung – doch dem drittgrößten Arbeitergeber in Berlin steht eine Renteneintrittswelle bevor. Von den rund 143.000 Beschäftigten verlassen in den nächsten sechs Jahre 40.000 aus Altersgründen den öffentlichen Dienst. Dieser Generationswechsel kann eine einmalige Chance sein, die Verwaltung zu modernisieren und sie so vielfältig und modern zu gestalten, wie Berlin selbst ist.
Großes aber noch nicht ausgenutztes Potenzial für den öffentlichen Dienst haben vor allem Berliner*innen mit Migrationsgeschichte, seien es EU-Bürger*innen, die Freizügigkeit genießen, Geflüchtete aus Krisenregionen oder Fachkräfte aus Drittstaaten. Denn mit 21,7 Prozent ist ihr Anteil an allen Beschäftigten im Landesdienst deutlich kleiner als in der Bevölkerung. Das ergab die erste stadtweite Befragung dieser Art bei der Berliner Verwaltung.
Je nach Behörde liegt ihr Anteil zwischen 8,9 Prozent und 39,0 Prozent. Besonders bei Führungskräften und Beamt*innen klafft eine Lücke, da nur 15,9 bzw. 15,2 Prozent von ihnen einen Migrationshintergrund haben. Jüngere Befragte und Nachwuchskräfte weisen einen höheren Anteil auf – ihr Anteil in der Bevölkerung liegt aber entsprechend auch deutlich höher.
Berlin als internationale Metropole benötigt Polizist*innen, Lehrer*innen und Sachbearbeiter*innen mit verschiedenen Sprachkompetenzen und vielfältigen Perspektiven – nur so können wir den Bedürfnissen der Menschen in unserer Stadt gerecht werden.
Der positive Trend bei Nachwuchskräften zeigt, dass die Strategie erste Erfolge zeigt. Wir müssen jedoch auch qualifizierte Neuzugewanderte stärker dafür gewinnen, sich im öffentlichen Sektor zu bewerben. Eine schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist notwendig. So sollten zum Beispiel medizinische Fachkräfte nicht auf Dauer in Deutschland als Pflegekräfte arbeiten müssen. Wir brauchen Ärzt*innen – auch in den öffentlichen Gesundheitsämtern.
Wichtig sind klare berufliche Perspektiven und Karrierewege, um den öffentlichen Dienst als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren und unsere Behörden so divers und innovativ wie Berlin selbst zu gestalten. Ein erster Schritt ist gemacht. Aber es bleibt noch viel zu tun.
Notwendig ist dafür deshalb ein Bündel von verschiedenen Maßnahmen. Die jeweiligen Berliner Behörden sind dazu angehalten, nun konkrete Förderpläne zu entwickeln, um den Anteil an Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Dazu gehören eine gezieltere Ansprache bei Ausschreibungen oder eine bessere Sensibilisierung für Diskriminierungserfahrungen von Beschäftigten und ein respektvoller Umgang mit vielfältigem Personal. Dabei sind auch kleine Details entscheidend, zum Beispiel die korrekte Aussprache und Schreibweise der Namen.
Die freiwillige und anonyme Befragung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Land Berlin basiert auf dem im Jahr 2021 beschlossenen Partizipationsgesetz (PartMigG). Dieses Gesetz fördert grundsätzlich die Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte in Berlin.
Katarina Niewiedzial ist seit Mai 2019 Beauftragte des Berliner Senats für Partizipation, Integration und Migration und wurde 2024 für eine zweite Amtszeit berufen. Zuvor war sie unter anderem Integrationsbeauftragte des Bezirksamtes Pankow sowie Geschäftsführerin des Think Tanks „Das Progressive Zentrum“. Die Politikwissenschaftlerin, die in Polen geboren wurde und in Deutschland studierte, setzt sich für ein weltoffenes Berlin, für eine teilhabegerechte Stadtgesellschaft, sowie für einen diversitätsbewussten öffentlichen Dienst ein.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
„Niemand weiß, wer alles in diesem Land ist.“ Zumindest bezogen auf das Potential für den Arbeitsmarkt, ist diese Behauptung Realität.
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