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EU-Politik versus nationale Interessen und Blockade progressiver Politik: Lässt sich der Nationalstaat nicht mit Europa vereinbaren, muss er am Ende sogar weichen?
Bild: Athens: Acropolis Panorama von Nico Trinkhaus lizenziert unter CC BY-NC 2.0
Welche demokratischen Strukturen die EU braucht, hängt davon ab, was sie sein soll. Anfangs war die EU ein Staatenbund, kontrolliert von den demokratisch gewählten Regierungen ihrer Mitgliedstaaten. Das Funktionieren des gemeinsamen Markts stand im Fokus – mit Regulierungen, die theoretisch alle gleich treffen sollten und für die technokratische Expertise der EU-Kommission und Einvernehmen der nationalen Regierungen wichtiger waren als parlamentarische Mitspracherechte. Je weiter die europäische Integration aber über das Management des Binnenmarkts hinausging, etwa mit verteilungspolitischen Kompetenzen, desto drängender wurde die Frage der demokratischen Legitimation eines supranationalen Systems.
Versuche für mehr Demokratie gab es einige, ob Referenden (die Brüssel und die Mitgliedstaaten das Fürchten gelehrt haben), Europäische Bürgerinitiativen, Konsultationsverfahren oder Stärkung des Europäischen Parlaments. Die demokratische Mitbestimmung lässt einiges zu wünschen übrig: Die EU-Kommission ist vom Europäischen Parlament nicht ausreichend legitimiert. Das Parlament wiederum ist nach einer Formel „degressiver Proportionalität“ zusammengesetzt, die das Prinzip „one man, one vote“ aushebelt. Mit der Stimmgewichtung im Rat verhält es sich ähnlich. Außerdem sind die EU-Abgeordneten über Parteien und Wähler_innen an ihre Nationalstaaten gekoppelt. Soll Europa mehr sein als die Summe seiner Mitgliedstaaten, wären europäische Parteien und transnationale Wahllisten sinnvoll.
Auch das würde aber nicht verhindern, dass die Nationalstaaten die EU im Krisenfall wieder an sich reißen, so wie beispielsweise während der Eurokrise. Kann es also sein, dass die Nationalstaaten ein Problem für Europa sind und nicht umgekehrt – dass sie zu sehr auf ihre Interessen pochen und Europa gleichzeitig gern als Sündenbock missbrauchen? Sollte Europas Zukunft dann nicht gleich auf ein neues Fundament gestellt werden, das die umständlichen zwischenstaatlichen und supranationalen Prozesse überwindet? So argumentierte Ulrike Guérot auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Schwerin. Insbesondere Deutschland sei in der Pflicht, sich wieder aktiv für eine politische Union einzusetzen statt zu behaupten, die EU ließe sich mit ein paar Reformen zurück auf Kurs bringen. Guérot schwebt ein gemeinwohlorientiertes, föderales Europa der Regionen vor. Ihr Europa kommt ohne Nationalstaaten aus, die sie für einen historischen Irrweg hält. Die Regionen sollen viel Autonomie bekommen, sich aber gegenseitig unterstützen. Europa würde sich nur noch um die großen Fragen kümmern mit einem parlamentarischen Zweikammersystem nach dem Vorbild der USA.
Gewagt hin oder her, politische Visionen tun zurzeit not, für Europa allemal. Eine stärkere Gemeinwohlorientierung der EU ist überfällig: Längst produziert der Binnenmarkt Gewinner und Verlierer, die Mitgliedstaaten lassen ihre Interessen und Bevölkerungen in Konkurrenz zueinander treten. Europas Legitimität muss zurückgewonnen werden, seine politischen Prozesse gehören vereinfacht. Guérot hält die Bürger_innen für offener für radikale Reformen, als die Politik es selbst ist, und es wahrhaben mag. In der Krise der repräsentativen Demokratie wird die EU zwar auch vielfach als undemokratisch kritisiert, viele Europäer_innen vertrauen ihr trotzdem mehr als der eigenen Regierung. Immerhin ist die europäische Integration mittlerweile so stark politisiert, dass die Gelegenheit für Zukunftsdebatten günstig ist. Da macht es stutzig, dass die EU in ihrem aktuellen Weißbuch zur Zukunft Europas die Worte, „Demokratie“ und „demokratisch“ kein einziges Mal in direktem Kontext erwähnt. Wenigstens wird inzwischen intensiver über eine soziale Dimension Europas nachgedacht. In einen Binnenmarkt verliebt man sich nicht, war Jacques Delors` Überzeugung – in ein soziales Europa schon eher.
Ansprechpartnerin in der Stiftung
Dr. Juliane Sucker
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