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Politische Einstellungen und Präferenzen von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte in Deutschland

Die Autor_innen gehen der Frage nach, inwiefern sich Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte in ihren politischen Einstellungen und Präferenzen von der deutschen Mehrheitsbevölkerung unterscheiden. Dabei wird klar, dass Unterschiede vor allem zwischen den Einwanderergenerationen bestehen und Einstellungen über die Zeit immer mehr der Mehrheitsbevölkerung ähnlich werden.


Diese Studie bildet den ersten Baustein in unserer Betrachtung der politischen Einstellungen von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte. Den zweiten Baustein – eine qualitative Analyse – finden Sie hier.


Kaum eine Entwicklung hat die deutsche Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten so sehr verändert wie die zunehmende Anzahl von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte. Im Jahr 2022 lebten in Deutschland rund 20,2 Millionen Menschen, die entweder selbst zugewandert waren oder mindestens ein Elternteil besaßen, das zugewandert war. Studien in der Vergangenheit haben gezeigt, dass sich die politischen Präferenzen und Einstellungen von Menschen mit und solchen ohne Migrationsgeschichte teils erheblich unterscheiden, trotz langfristig zu erwartenden Assimilationsprozessen. Bei genauerer Betrachtung scheint es vor allem Unterschiede je nach Einwanderungsgeneration zu geben: Menschen, die selbst migriert sind, unterscheiden sich am stärksten von der Mehrheitsbevölkerung, das heißt den Menschen ohne familiäre Migrationsgeschichte. Die nachfolgenden Generationen, deren Eltern oder Großeltern migriert sind, gleichen sich hingegen immer mehr der Mehrheitsbevölkerung an – wir können von einer „Normalisierung“ sprechen.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die vorliegende Studie mit den politischen Einstellungen und Präferenzen von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte in Deutschland und konzentriert sich dabei sowohl auf einen Vergleich mit der Mehrheitsbevölkerung als auch auf mögliche Anpassungen der nachfolgenden Generationen an die Mehrheitsbevölkerung und Unterschiede zwischen den Einwanderungsgenerationen.

Grundlage der Studie ist die erste Welle der Onlinepanels des DeZIM (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung), die Erhebung fand zwischen November 2021 und März 2022 statt und stellt Informationen über 3.677 befragte Personen zur Verfügung. Das DeZIM.panel ist ein offline und nach dem Zufallsprinzip rekrutiertes Online-Access-Panel für die deutsche Wohnbevölkerung im Alter von 18 bis 70 Jahren.

Ausgewählte Ergebnisse der Studie präsentieren wir auf dieser Seite, die gesamt Studie ist hier kostenfrei abrufbar.
 

Begriffsdefinitionen


Menschen mit familiarer Migrationsgeschichte: erste, zweite oder dritte Einwanderungsgeneration

Erste Einwanderungsgeneration: Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland migriert sind = Einwander_innen

Zweite Einwanderungsgeneration: Menschen, die in Deutschland geboren sind und mindestens ein Elternteil haben, das nach Deutschland migriert ist = die Kinder von Einwander_innen

Dritte Einwanderungsgeneration: Menschen, die selbst und deren Eltern in Deutschland geboren sind und mindestens ein Groselternteil haben, das nach Deutschland migriert ist = die Enkelkinder von Einwander_innen


Polarisierung und Populismus: Eine Frage der Generation?

Die Studie betrachtet sowohl populistische Einstellungen als auch die affektive politische Polarisierung in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Dabei zeigt sich, dass Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte im Durchschnitt stärkere populistische Einstellungen als die Mehrheitsbevölkerung aufweisen. Diese Einstellungen sind bei Mitgliedern der ersten und zweiten Generation durchschnittlich stärker als bei denen der dritten Generation, die sich nicht von denen der Menschen ohne Migrationsgeschichte unterscheidet. Hier greift als Erklärung die Annäherungsthese, wonach sich Menschen, je länger sie im Aufnahmeland leben, an die Mehrheitsbevölkerung angleichen.
 


Mit Blick auf die affektive politische Polarisierung lassen sich keine Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne familiäre Migrationsgeschichte erkennen. Einen Unterschied gibt es jedoch bei den Einwanderungsgenerationen: Die affektive politische Polarisierung scheint stärker bei der zweiten und dritten Generation als bei der ersten Generation zu sein. Dieser Befund lässt sich erklären, in dem die politische Sphäre als Arena der sozialen Unterscheidung betrachtet wird. Während Angehörige der ersten Einwanderungsgeneration mit einer generellen Unterscheidung zur Mehrheitsbevölkerung, bspw. durch kulturelle und sprachliche Unterschiede konfrontiert sind, ist dies in geringerem Maße für die nachfolgenden Generationen der Fall. Hier wird die Identifikation mit politischen Haltungen dann zum Vehikel der sozialen Unterscheidung, wie in der Mehrheitsbevölkerung in Teilen auch.
 


Vertrauen in politische Institutionen sinkt mit steigender Einwanderungsgeneration

Zwischen Menschen mit und ohne familiäre Migrationsgeschichte zeigen sich keine überzufälligen Unterschiede im Vertrauen in politische Institutionen. Allerdings passt sich das politische Vertrauen mit nachfolgenden Generationen dem Niveau der Mehrheitsbevölkerung an. Die zweite und dritte Generation weist im Schnitt ein geringeres Vertrauen auf als die erste Generation. Erklärt wird dies mit geringeren Erwartungen an das politische System bei selbst Zugewanderten, die zuvor weniger positive Erfahrungen mit politischen Institutionen im Herkunftsland gemacht haben. Mit längerer Aufenthaltsdauer und bei späteren Generationen nähern sich diese Erwartungen denen der Mehrheitsbevölkerung an, da die Erfahrungen aus dem Herkunftsland als Referenzrahmen für die politischen Einstellungen an Prägekraft verlieren.
 


Fazit und Handlungsempfehlungen

Diese Analyse wirft neben vielen Fragen, die sie beantwortet, auch neue auf: Menschen der ersten Einwanderungsgeneration weisen diesen Berechnungen nach stärkere populistische Einstellungen als die nachfolgenden Generationen auf. Dabei ist bisher unklar, welche Aspekte von Populismus bei Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte besonderen Anklang finden. Auch bezüglich der affektiven politischen Polarisierung bleiben Fragen offen. Zwar scheint die erste Einwanderungsgeneration affektiv weniger politisch polarisiert zu sein als nachfolgende Generationen – die zugrunde liegenden Motive bleiben allerdings verborgen.

Politische Parteien brauchen in Zukunft vor allem zwei Dinge. Zum einen benötigen sie ein übergreifendes Narrativ, eine Erzählung, die Neubürger_innen unabhängig von ihrer Herkunft anspricht. Zum anderen, und dies ist auch Aufgabe politikwissenschaftlicher Forschung, sind Parteien in der immer heterogener werdenden Gruppe der Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte auf Wissen über diese Gruppen angewiesen: Wissen um die Heterogenität innerhalb der Herkunftsgruppen, Wissen um die Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen, Wissen um die Eigenheiten der Herkunftsgruppen. Nur so können Parteien Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte besser verstehen und Strategien zur Mobilisierung eines immer größeren Wahlpotenzials entwickeln.

 

Über die Autor_innen:

Achim Goerres ist Professor für Empirische Politikwissenschaft und Mitglied des Interdisziplinären Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (InZentIM) an der Universität Duisburg-Essen. Er leitet die Immigrant German Election Study mit Dennis C. Spies (bis 2021) und Sabrina J. Mayer.

Sabrina J. Mayer ist Professorin für Politische Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Senior Research Fellow am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Von 2019 bis 2022 hat sie dort leitend das DeZIM.panel konzipiert. Seit 2021 leitet sie mit Achim Goerres die Immigrant German Election Study II.

Philipp Hoffmann ist Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Soziologie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die politische Involvierung von Immigrant_innen und der Vergleich politischer Einstellungen von Immigrant_innen und der Mehrheitsbevölkerung.

Manuel Diaz Garcia ist Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Universität Duisburg-Essen. Er forscht zu politischen Einstellungen, politischem Verhalten und der Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte.

 

Ansprechpartnerin in der FES:

Annika.Arnold(at)fes.de
 

 

Politische Einstellungen und Präferenzen von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte in Deutschland

Berlin, 2024

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Jochen.Dahm(at)fes.de

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