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Die Herausforderungen in Bottrop gleichen denen anderer Ruhrgebietsstädte und lassen sich im Wesentlichen mit „Strukturwandel“ beschreiben. Seit 2009 ist Bernd Tischler (SPD) Oberbürgermeister. Kontinuität zeigt sich nicht nur in der Politik, sondern auch in der Verwaltung. Nicht alles klappt, weiß die Leiterin des Stadtplanungsamts, Christina Kleinheins, aber vieles geht voran. Gelingt die sozial-ökologische Wende, kann Bottrop nicht nur Vorbild für die Ruhrgebietsstädte sein, sondern für viele industriell geprägte Regionen weltweit.
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Dieses Interview haben wir in Vorbereitung auf unser Online-Seminar "Die Kommune von morgen: Demokratisch, dezentral und dekarbonisiert?" geführt. Unter dem Titel "Mobilität und öffentliche Räume" (Di.,08.12.2020, 17-19 Uhr) und "Resiliente Kommune" (Do., 10.12.2020, 17-19 Uhr) luden wir Sie ein, die Perspektive der Wissenschaft und die, u.a. daraus resultierenden Projekte und Strategien kommunaler und regionaler Akteure kennenzulernen.
Bottrop liegt im Norden des Ruhrgebiets und zählt 117.000 Einwohner_innen. Die kreisfreie Großstadt in NRW ist bekannt für ihre besondere Aussichtsplattform: das Tetraeder. Bottrop steht vor vielen großen Aufgaben, die denen der Nachbarkommune gleichen – und doch beschleicht einen das Gefühl, in Bottrop geht alles ein wenig schneller! Wir haben mit der Leiterin des Stadtplanungsamtes, Christina Kleinheins, gesprochen und wollten wissen, wo Bottrop hinsichtlich der sozial-ökologischen Wende Fortschritte macht und Best-Practices für andere Kommunen bereithält.
2010 gewann Bottrop den durch den Initiativkreis Ruhr - ein Zusammenschluss großer Industrieunternehmen im Ruhrgebiet - ausgelobten Wettbewerb zur „Innovation City“. Ziel war, anhand eines ausgewählten städtischen Bereichs zu zeigen, wie klimagerechter Stadtumbau in der Praxis funktionieren kann. Die Herausforderung: 50% CO2-Reduktion in 10 Jahren.
Dass Bottrop als Siegerin hervoring, hänge sicherlich auch mit den Plänen zusammen, die schon Jahre zuvor ausgearbeitet waren, sagt Christina Kleinheins. „Wir sind überzeugt, dass wir auch deswegen Innovation City wurden, weil wir das Thema schon vorher bearbeitet haben. Wir hatten schon 2004 zu unserem Flächennutzungsplan einen separaten Umweltleitplan und zum Zeitpunkt der Bewerbung auch ein Klimaschutzkonzept. Viele Themen waren schon im Arbeitsalltag der Verwaltung vorhanden.“
„Wir haben aber auch versucht eine andere Art der Zusammenarbeit zu entwickeln“, fügt die Stadtplanerin hinzu. Ganz im Sinne der Prozessinnovation. Wichtiger Bestandteil ist hierbei ein Projekttisch zwischen Verwaltung, Politik und Industrie: Die direkte Kommunikation und das unmittelbare Zusammenführen kreativer Ideen ist typisch für Bottrop und funktioniere auch deswegen so gut, weil man nicht „so groß“ sei, betont Kleinheins. Projekttische als solche sind zwar weit verbreitet, aber in dieser „formalisierten Struktur ist es schon etwas Besonderes."
Der Zugang zu Fördermitteln ist häufig an einen nicht unerheblichen Eigenanteil gebunden, deswegen, so Kleinheins, habe man in Bottrop ein Programm entwickelt, dass die Hürden für eine energetische Sanierung senkt. „Es gibt eine Förderung für jeden einzelnen Baustein.“ Das Ergebnis lässt sich sehen: Umgerechnet auf die Einwohnerzahl verzeichnet Bottrop die höchste Solarstromquote im Ruhrgebiet. Hören Sie selbst:
Im Sommer 2019 beschloss der Rat in Bottrop den Klimanotstand. Als Reaktion führte die Verwaltung alle Maßnahmen und Projekte zusammen, die „auf den Klimaschutz einzahlen“, um ein koordiniertes Vorgehen zu ermöglichen. „Im Rahmen dieser Offensive gab es auch ergänzende Ideen, z.B. den Nachhaltigkeitscheck“, ergänzt Kleinheins.
Dass Nachhaltigkeit nicht nur den ökologischen Aspekt umfasst, zeigt sich auch in den SDGs der Vereinten Nationen. Auch hieran habe man sich orientiert, sagt Kleinheins. Entstanden ist ein Nachhaltigkeitscheck: eine Bewertungstabelle für alle Beschlussvorhaben über die zu erwartenden Auswirkungen einer Maßnahme hinsichtlich dreier Kriterien: Ökologie, Soziales und Ökonomie.
Dabei solle es nicht darum gehen, eine ökologisch sinnvolle Maßnahme gegen eine soziale hemmende aufzuwerten, sondern vielmehr eine formalisierte Entscheidungsgrundlage für die Politik zu bieten. Die Diskussion müsse auf „breitere Füße“ gestellt werden, betont die Leiterin. Das Instrument „Nachhaltigkeitscheck“ fand in der Politik breite Zustimmung. Auch, weil die Handhabung einfach sei. Jetzt müsse man es erproben, sagt Kleinheins. Die erste Testphase läuft erst seit wenigen Wochen.
Hören Sie hier mehr zum Nachhaltigkeitscheck:
Wer Klimaschutz aktiv betreiben will, der muss die Zivilgesellschaft einbinden. Bürger_innen sollen die Chance haben, den Wandel zu erfahren – vielleicht auch zu erproben. Deswegen, so Kleinheins, sei sie zunehmend begeistert von temporären Initiativen, die zur Umgestaltung des öffentlichen Raumes anregen. Sogenannte „Parklets“ seien hierbei besonders erfolgreich. Dem ruhenden Verkehr Platz zu nehmen, sei per se immer schwierig. "Wenn wir diesen Raum aber zeitweise anders nutzen, dann bekommen Anwohner_innen nicht nur ein Gefühl dafür, dass es auch anders funktionieren kann, sondern dass dieses „anders“ vielleicht sogar die Lebensqualität steigert." Künftig wolle man in Bottrop solche temporären Nutzungsanpassungen über einen längeren Zeitraum installieren. „Ein-oder zwei Wochen“ seien einfach zu wenig, resümiert Kleinheins.
Neben aktiver Öffentlichkeitsarbeit gibt Kleinheins noch zwei Tipps. Wer Klimapolitik voranbringen will, der sollte sich zuerst auf solche Maßnahmen konzentrieren, die politisch konsensfähig sind. In Bottrop war das die energetische Sanierung. Außerdem sei es wichtig, unterschiedliche Perspektiven auf klimapolitische Maßnahmen zu eröffnen. Ganz häufig zahle auch das Thema Verkehrssicherheit auf den Klimaschutz ein, z.B. beim Thema „Dooring“. Dies habe man lange Zeit eher vernachlässigt.
Für Bottrop, so Kleinheins, seien kurze Wege der Kommunikation und Kontinuität in der Verwaltung gute Voraussetzungen für eine progressive Klimapolitik. Für all diejnigen, die noch am Anfang stehen, malt Kleinheins ein schönes Bild: „Wenn ich 10 Jahre lang einen Schritt nach vorn mache, dann bin ich in 10 Jahren 10 Schritte weiter. Fordert man aber jedes Jahr einen Sprung von 10 Schritten, den keiner schafft, dann kommt man gar nicht weiter.“
Das Gespräch führte Ann-Mareike Bauschmann
Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Bottrop Tetraeder von picture alliance Jochen Tack
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