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Syrerinnen in Berlin: Wie in einem großen Gefängnis

Nisren Habib über sexualisierte Gewalt in Massenunterkünften, Anliegen geflüchteter Frauen und Möglichkeiten, ihre Integration zu fördern.

Nisren Habib forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zur Situation geflüchteter, syrischer Frauen in Deutschland. Die syrische Netzwerk- und Betriebstechnikingenieurin mit Diplom in Frauenstudien hat sich schon im Libanon für Flüchtlinge engagiert und lebt derzeit in Berlin. Ihre Untersuchungsergebnisse stellte sie unter anderem beim Integrationskongress der Friedrich-Ebert-Stiftung vor, die Hintergründen ihrer Arbeit erläuterte sie in einem Interview mit dem WZB. Wir haben sie gefragt, mit welchen geschlechtsspezifischen Problemen geflüchtete Frauen zu kämpfen haben, welche Themen sie bewegen und welche Maßnahmen sie unterstützen können.

FES: Welche Faktoren müssen berücksichtigt werden, um syrische Frauen, die nach Deutschland geflohen sind, bei der Integration zu unterstützen?

Nisren Habib: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass ich für mein Forschungsprojekt mit 46 geflüchteten syrischen Frauen in Berlin gesprochen habe – meine Erkenntnisse beziehen sich also nur auf diese Gruppe.

Insgesamt sind an der Integration syrischer Frauen zwei Parteien beteiligt; die syrischen Frauen selbst und die deutsche Gesellschaft. Integration kann nicht von einer Seite allein gestaltet werden. Alle syrischen Frauen und Männer brauchen dringend Sprach- und Integrationskurse, damit sie sich in ihr neues Umfeld einbringen können, aber Kurse allein reichen nicht. Viele Syrer_innen, vor allem die, die in den vergangenen zwei Jahren nach Deutschland geflüchtet sind, leben noch immer in einer Übergangssituation, in Not- und Erstaufnahmeunterkünften und mit noch ungeklärtem Status. Die meisten haben Schwierigkeiten dabei, eine Wohnung zu finden, andere warten immer noch darauf, dass über ihren Aufenthaltsstatus entschieden wird. Und für viele ist die Frage am dringendsten, was mit ihren Familienmitgliedern geschieht, die sie zurücklassen mussten.

Die meisten Frauen, mit denen Sie gesprochen haben, leben in den großen Massenunterkünften in Berlin. Mit welchen geschlechtsspezifischen Problemen haben sie dort zu kämpfen?

Für die geflüchteten syrischen Frauen ist die größte Herausforderung, sechs Monate, eineinhalb Jahre oder noch länger an so einem Ort leben zu müssen. Es gibt dort keine Privatsphäre für sie als Menschen und als Frauen. Manche leben in Sporthallen oder in kleinen Verschlägen, die nur durch Stoffe voneinander getrennt sind, andere in Gemeinschaftsräumen oder Räumen, die sie nicht abschließen können. Auch die Gemeinschaftsbadezimmer und -küchen tragen dazu bei, dass sich viele fühlen, als lebten sie in einem großen Gefängnis. Einige erleben sexuelle Belästigung – durch andere Geflüchtete, und zum Teil auch durch die Angestellten der Organisationen, die die Einrichtungen verwalten.

Ein anderer, wichtiger Aspekt ist, dass in diesen Einrichtungen neue Gemeinschaften entstehen – „weder deutsche noch syrische“. In diesen Gemeinschaften haben viele Frauen das Gefühl, dass sie permanent beobachtet werden und sich auf eine bestimmte Art verhalten müssen, obwohl sie das nicht unbedingt wollen, einfach, um nicht ständig beurteilt zu werden. Sie haben nicht das Gefühl, dass sie an einem Ort sind, an dem Männer und Frauen gleichberechtigt sind und an dem sie tun können, was sie möchten.

Zugleich begegnen ihnen nur bestimmte Deutsche – Sicherheitskräfte, Sozialarbeiter_innen und manchmal Freiwillige. In diesen Interaktionen entstehen manchmal negative Bilder sowohl der syrischen als auch der deutschen Gesellschaft, einfach, weil alle Beteiligten sich in einer sehr angespannten Situation befinden.

Etwa die Hälfte der befragten Frauen waren alleinstehend, etwa genauso viele verheiratet. Nur wenige waren geschieden oder verheiratet, aber ohne ihren Ehemann in Berlin. Glauben Sie, dass der Familienstand von Frauen (und Geschlechterverhältnisse in Ehen) bei der Integration eine Rolle spielt?

Ja, das glaube ich, allerdings auf unterschiedliche Art, je nachdem, welcher Gruppe eine Frau angehört. Alleinstehende Frauen wollen dringend ihr neues Leben beginnen, in eine Wohnung ziehen, anfangen zu arbeiten oder sich auszubilden – vor allem, weil sie Geld an ihre Familienmitglieder schicken müssen, die sie in Syrien zurückgelassen haben, bis diese im Zuge der Familienzusammenführung nachkommen können. Viele alleinstehende Frauen kämpfen mit Schuldgefühlen, weil sie ihre Familienmitglieder nicht nachholen können, die unter extrem gefährlichen Bedingungen leben, während sie selbst in Sicherheit sind. Viele verheiratete Frauen, die ihre Ehemänner zurücklassen mussten, müssen für Kinder sorgen, die durch die Trennung von ihrem Vater und manchmal auch ihren Geschwistern zusätzlich traumatisiert sind. Daher sagen diese Frauen, wenn sie nach ihren Zukunftsplänen gefragt werden, immer als erstes: „In eine Wohnung ziehen und mit dem Verfahren zur Familienzusammenführung beginnen.“ All das ist sehr schwierig, vor allem angesichts der neuen Regelung, nach der syrische Flüchtlinge ein Jahr lang Schutz erhalten, in der Zeit aber kein Recht auf Familienzusammenführung haben.

Im Fazit Ihrer Untersuchung schlagen Sie einige Maßnahmen vor, um die Wahrscheinlichkeit, dass syrische Frauen sich gut in die deutsche Gesellschaft integrieren, zu erhöhen. Was sind Ihre wichtigsten Empfehlungen?

Die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Berlin wirken teilweise negativ auf die Möglichkeiten und die Motivation syrischer Frauen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Für einen gesunden Start in den Integrationsprozess wäre es überaus wichtig, den Aufenthalt in Notunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen zeitlich zu begrenzen und die Unterbringung in richtigen Wohnungen in Berlin zu beschleunigen. Bis dahin müssen die Aufnahmeeinrichtungen besser überwacht und weitere sexuelle Übergriffe und Verletzungen der Privatsphäre verhindert werden. Das würde nicht nur syrischen, sondern allen Frauen in diesen Einrichtungen helfen.

Darüber hinaus sollte die psychosoziale Unterstützung syrischer Geflüchteter partizipativ gestaltet werden. Das würde zweifelsohne zu besseren Ergebnissen führen, den Geflüchteten stärker das Gefühl geben, dass sie verstanden und wertgeschätzt werden, und sie motivieren, aktiver zu werden und weniger negativ zu denken.

Außerdem gibt es einerseits deutsche Freiwillige, die gerade syrische Frauen sehr stark unterstützen, aber anderseits können diese Freiwilligen nicht immer bei den Frauen sein und sind zum Teil die einzigen, die für sie da sind. Das kann zu schwierigen Abhängigkeitsbeziehungen führen, in denen die Freiwilligen unwillentlich in die Leben der Frauen eingreifen. Daher plädiere ich dafür, dass die ganze Berliner Gesellschaft – Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder – im Rahmen von durchdachten Programmen und Aktivitäten Kontakt zu syrischen Geflüchteten bekommen. Das kann die Vorurteile auf beiden Seiten reduzieren und zu positiven, gegenseitigen Beziehungen beitragen.


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