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Wie es demokratisch gewählten Politiker_innen gelingen könnte, Deutschland zu autokratisieren

Vielerorts werden Politiker_innen mit undemokratischen Ansichten in hohe Ämter gewählt. Warum entscheiden sich Wähler_innen für sie? Eine Studie des Kompetenzzentrums ‚Demokratie der Zukunft‘ der Friedrich-Ebert-Stiftung widmet sich genau dieser Frage.

von Margarete Lengger, FES-Kompetenzzentrum Demokratie der Zukunft in Wien.

Obwohl sich – laut Umfragen in Europa und anderen Kontinenten – die große Mehrheit der Bevölkerung fest zur Demokratie bekennt, wird sie vielerorts abgebaut. Autokraten aller Couleurs folgen dabei häufig einer Reihe von Schritten, die das langsame Untergraben und Aushöhlen der Institutionen zur Folge hat und das Machtgleichgewicht zu ihren Gunsten verschiebt. Danach stellen sie sich der Wiederwahl, und sind häufig erfolgreich. Wie kann das sein? Was bewegt Wähler_innen dazu, diesen Politiker_innen die Stange zu halten?

Diesem Zusammenhang ist das Kompetenzzentrum ‚Demokratie der Zukunft‘ in einer groß angelegten Studie in sieben Ländern nachgegangen. Dabei wurden Wähler_innen nicht direkt zu ihrer Bereitschaft befragt, bei der Verletzung demokratischer Standards auch mal ein Auge zuzudrücken. Stattdessen wurde mithilfe eines experimentellen Umfragedesigns erhoben, bei welchen Themen und Kandidat_innen sie auch dann nicht von ihrer Personenwahl abrücken, wenn klar wird, dass die Person ihrer Wahl auch undemokratische Ansichten hegt.

Bestrafen Deutsche undemokratische Politiker_innen an der Wahlurne?

Unterm Strich sind Deutsche bereit, undemokratisches Verhalten von Politiker_innen zu bestrafen: Eine undemokratische Kandidat_in verliert im Durchschnitt 7,5 % der Stimmen. Im Schnitt bestrafen deutsche Befragte eine potenzielle Verletzung des Rechts auf freie und faire Wahlen am stärksten (–9,4 %), gefolgt von bürgerlichen Freiheiten (–7,3 %) und zuletzt Verstößen gegen die Gewaltenteilung (–5,2%).

Aber Deutschland ist nicht immun gegen die Demontage demokratischer Institutionen. Die meisten Wähler_innen bleiben Politiker_innen auch dann treu, wenn sie demokratische Normen verletzen, wenn diese ihre bevorzugte Position bei einem Thema vertreten. Menschen aus Westdeutschland sanktionieren undemokratisches Verhalten im Durchschnitt mehr, wenngleich die Unterschiede hier nicht ausgeprägt sind. Zwischen den Geschlechtern sprechen die Zahlen eine eindeutigere Sprache:  Frauen sanktionieren undemokratisches Verhalten ungleich stärker. Und insbesondere von Parteitreue lassen sich deutsche Wähler_innen dazu verleiten, auch undemokratische Politiker_innen zu wählen. Diese Parteiloyalität spielt bei den Wähler_innen von AfD und CDU/CSU die größte Rolle. Aufgrund des Faktors Geschlecht bestraft aber eine AfD-Wählerin undemokratisches Verhalten im Durchschnitt genauso stark wie ein SPD-Wähler, und stärker als ein CDU/CSU-Wähler.

Könnte es daran liegen, dass die Befragten in Deutschland undemokratisches Verhalten nicht als solches identifizieren können?

Eher nicht. Denn in Sachen Demokratiekompetenz kommt Deutschland gut weg: Immerhin 80 Prozent der Befragten verfügen über demokratische Kompetenz, das heißt, sie können demokratisches und undemokratisches Verhalten klar benennen und auseinanderhalten. Vor allem im Osten des Landes sind die Menschen aber der Meinung, dass ihr Land noch viel demokratischer sein könnte und die deutsche Demokratie einen besseren Output produzieren kann. Diese Zufriedenheit steht auch im Zusammenhang mit der Bereitschaft, sie zu verteidigen. Allgemein gilt für Deutschland: Je zufriedener man mit der Funktionsweise der Demokratie ist, desto mehr bestraft man undemokratisches Verhalten. Und: Je optimistischer die Deutschen auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung des Landes blicken, umso weniger tolerieren sie undemokratisches Verhalten.

Ist Deutschland ein polarisiertes Land?

Am stärksten polarisiert die Frage, wie erneuerbare Energien besteuert werden sollen, gefolgt von der Frage nach den Heirats- und Adoptionsrechten für gleichgeschlechtliche Paare. Interessanterweise wirkt das Thema Einwanderung, dass seit Jahren in öffentlichen Debatten sehr präsent ist, in Deutschland nicht polarisierend.
Doch die Bereitschaft, undemokratisches Verhalten für bestimmte Interessen zu verzeihen, lässt sich nicht immer durch eine hohe Polarisierung bei diesen Interessen erklären. Der Grad der Polarisierung eines Themas scheint daher nicht alleine dafür entscheidend zu sein, ob Wähler_innen für dieses Thema demokratische Standards opfern würden. Zum Schutz der Demokratie ist es dennoch wichtig, jene Themen zu identifizieren, die Teile der Gesellschaft stark emotionalisieren und damit tendenziell demokratisch zersetzend wirken. Um möglichen Polarisierungsprozessen entgegenzuwirken, können innovative Methoden zur Bürger_innenbeteiligung hilfreich sein.

Dennoch: Das autoritäre Potential ist größer als gedacht.

Neben Wähler_innen der AfD hat sich – eher unerwartet - auch die Gruppe der Nichtwähler_innen als Gruppe mit erheblichem autoritären Potential entpuppt. Fast ein Drittel aller Nichtwähler_innen hält ein demokratisches politisches System für „sehr schlecht“ oder „eher schlecht“; bei den potenziellen AfD-Wähler_innen sind es 22 Prozent. Überraschend ist auch das Ergebnis, dass die CDU-/CSU-Anhängerschaft undemokratisches Verhalten im gleichen Ausmaß akzeptiert wie die Anhänger_innen der AfD, sowie die Einstellung und das Verhalten junger Menschen im Hinblick auf die Demokratie. Nach Altersgruppen betrachtet schätzen junge Menschen die Demokratie am wenigsten und bestrafen undemokratisches Verhalten auch vergleichsweise wenig.

 

Identität, Parteibindung, Polarisierung

Wie es demokratisch gewählten Politiker ̲innen gelingt, ihr Land zu autokratisieren ; Detailanalyse Deutschland
Wien, 2024

Zum Download (PDF) (10 MB, PDF-File)


Die Studie beruht auf einer repräsentativen Umfrage in Deutschland mit 2.500 Befragten, die mit einem Experiment zur Kandidat_innenwahl, entwickelt von Co-Autor Prof. Milan Svolik (Yale University), durchgeführt wurde. Die Befragung fand zeitgleich auch in sechs weiteren europäischen Ländern statt: Estland, Polen, Serbien, Spanien, Schweden und der Ukraine. Eine Vergleichsanalyse der Ergebnisse erschien bereits 2023 und kann hier nachgelesen werden. 



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