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Anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni sprachen wir mit Marie von Manteuffel von Ärzte ohne Grenzen über die Lage im Mittelmeer.
Bild: Marie von Manteuffel von Barbara Sigge
Bild: von Gabriele François Casini/MSF
Die Flüchtlingspolitik in Europa hat sich in den vergangenen Monaten zugespitzt – obgleich die Zahl ankommender Menschen im Vergleich zu den Vorjahren stark abgenommen hat. Mindestens 2.275 Menschen ertranken nach Angaben von UNHCR im Jahr 2018 bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Obgleich die absoluten Opferzahlen deutlich zurückgegangen sind, da weniger Menschen die lebensgefährliche Überfahrt wagen, ist das Risiko zu ertrinken aufgrund fehlender Seenotrettung stark gestiegen: 2018 ertrank jeder 15. Mensch auf der Route von Libyen nach Europa. Damit ist das Mittelmeer der tödlichste Seeweg der Welt.
Wir sprachen mit Marie von Manteuffel von Ärzte ohne Grenzen über die Lage im Mittelmeer und dem Notfallplan für Seenotrettung, Verteilung, kommunale Aufnahme.
FES: Die Staaten haben ihren gemeinsamen europäischen Marineeinsatz im Mittelmeer, Operation Sophia, eingestellt und beschränken ihre Aktivitäten auf Luftaufklärung und Unterstützung der libyschen Küstenwache. Wie viele zivile Seenotrettungsschiffe sind momentan auf dem Mittelmeer im Einsatz? Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache?
Marie von Manteuffel: Aktuell ist einzig die SeaWatch3 im zentralen Mittelmer unterwegs. Andere Organisationen prüfen eine Rückkehr auf das Mittelmeer. Allerdings sind sich alle der damit nach wie vor verbundenen Risiken sehr bewusst: Blockaden von Häfen, Beschlagnahmung von Schiffen, Flaggenentzug oder eben die schwierige Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache. Das geht los mit der im vergangenen Sommer eingerichteten Seenotrettungsleitstelle in Tripolis, die nunmehr offiziell für die Koordination von Rettungen in der libyschen SAR-Zone zuständig ist. Anrufe werden nicht beantwortet oder wenn doch, dann sprechen die Personen am Apparat kein Englisch. In der Folge werden Rettungen regelmäßig über Stunden verschleppt. Seenotretter_innen dürfen in dieser Zeit nicht eingreifen. Die ohnehin angespannte Lage wird dadurch unnötig verschärft. Bei den Menschen, die stundenlang auf Rettung warten müssen, entsteht Panik und es kann zu Todesfällen kommen.
Werden aus Libyen fliehende Menschen von der libyschen Küstenwache aufgegriffen, führt das dazu, dass sie genau dorthin zurückgedrängt werden, wo ihnen Gewalt droht und sie völlige Schutzlosigkeit erwartet. Üblicherweise werden sie in eines der offiziellen Internierungslager gesperrt. Unsere Kolleg_innen vor Ort berichten von katastrophalen Zuständen. Immer wieder verschwinden dort inhaftierte Migrant_innen und Geflüchtete und sind schutzlos Gewalt und Erpressung ausgesetzt. Zur gleichen Zeit dauern die Kampfhandlungen in Tripolis und Umgebung weiter an. Immer wieder kommt es zum wahllosen Beschuss sowie zu Luftangriffen in dicht besiedelten Gebieten von Tripolis. Die willkürlich in Internierungslagern festgehaltenen ca. 3.000 Geflüchteten und Migrant_innen sind dem schutzlos ausgesetzt. Die direkte oder indirekte Zurückweisung von Geflüchteten nach Libyen ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen.
Mit Negative campaigning haben rechtsextreme und rechtspopulistische Kräfte in Europa Ängste geschürt. Sie verbreiten die Legende von der „Invasion aus Afrika“ und treiben die Kriminalisierung der Seenotrettung voran. Wie hat das die Arbeit der zivilen Seenotrettung beeinflusst?
Die humanitäre Verantwortung dafür[1], in Seenot geratene Menschen zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen, ist im Kern simpel. Demgegenüber ist die Destruktivität, mit der in den vergangenen Jahren über diesen simplen Akt der Menschlichkeit hergezogen und Seenotretter_innen verunglimpft werden, schwer zu ertragen. Besonders enttäuschend ist es, dass sich die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) nicht als immun gegen derart durchsichtige Kriminalisierungsversuche erweisen, sondern sich teilweise sogar aktiv daran beteiligen. Italien verschließt seine Häfen und überzieht Retter_innen mit strafrechtlichen Verfahren bis hin zum Vorwurf inkorrekter Mülltrennung auf Sizilien. Aber auch die Bundesregierung hat bislang wenig getan, um diesem Trend wirksam entgegenzutreten.
Die Europäischen Staaten setzen auf Abschottung und Auslagerung der Schutzverantwortung vor die europäische Außengrenze. Ärzte Ohne Grenzen hat sich, zusammen mit 250 zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewendet und fordern einen „Notfallplan für Seenotrettung, Verteilung, kommunale Aufnahme“. Welche konkreten Maßnahmen fordern Sie in diesem Plan?
Unser offener Brief an die Bundeskanzlerin zeigt zunächst, dass die Breite der Zivilgesellschaft in Deutschland gegen Abschottung und Fremdenfeindlichkeit ist. Das ist nicht nur ein starkes Zeichen, sondern zeigt genau, was es aus unserer Sicht derzeit dringend braucht: ein Überkommen von Silo-Denken sowohl in Politik als auch in der Zivilgesellschaft und lösungsorientierte Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure. Gemeinsam fordern wir politische Maßnahmen, die sowohl zeitlich als auch geografisch in einander greifen:
Wofür sollte sich die deutsche Bundesregierung innerhalb der EU besonders stark machen?
Deutschland kommt aus unserer Sicht eine Schlüsselrolle zu, insbesondere bei der Frage der solidarischen Verteilung von geretteten Menschen innerhalb der EU. In der Bundesregierung sehen wir grade die SPD in der Pflicht, sich für einen humanitären Zugang zu Asylverfahren auf sicherem Boden einzusetzen. Da sichere Orte in den nordafrikanischen Mittelmeeranrainern derzeit nicht vorhanden sind, muss ein effektiver Zugang zu einem europäischen Asylverfahren ermöglicht werden. Am Ende von tage- oder gar wochenlangen Verhandlungen über die Verteilung einzelner Geretteter auf europäische Staaten hat auch Deutschland stets einige Menschen aufgenommen. Das erkennen wir an. Jedoch ist das „Geschacher“ um die Aufnahme einzelner Menschen unwürdig. Hier erwarten wir eine eindeutige Positionierung von Außenminister Heiko Maas für einen europäischen Verteilmechanismus und gegen die anhaltenden Rückführungen Geflüchteter nach Libyen[2].
[1] Art. 98 Internationales Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS), 1974, Kapitel V.
[2] Das Auswärtige Amt sprach bereits Anfang 2017 selbst von „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen“ und von „KZ-ähnlichen Verhältnissen“ in den privaten Internierungslagern: https://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-kz-aehnliche-verhaeltnisse-fuer-fluechtlinge-laut-bericht-beklagt-a-1132184.html.
Ein Beitrag von Peter Ruhenstroth-Bauer, Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe, anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni.
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Ansprechpartner
Jochen Dahm
0228 883-7106Jochen.Dahm(at)fes.de
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