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Ein Beitrag von Samir Abi, Ständiger Sekretär des West African Observatory on Migrations.
Bild: Money von Lucas Favre lizenziert unter CC0 1.0
Den englischen Originalbeitrag Visa Privatization: Undergoing or Taking Action? können Sie hier lesen
Müssen wir uns damit abfinden, dass es ein lukratives Geschäft wird, Visa zu erteilen? Dass sowohl die Einwanderungsländer als auch diejenigen Profite machen, die diesen Sektor übernommen haben? In Benin, Burkina Faso, der Elfenbeinküste, Mali, dem Senegal, Togo und vielen anderen afrikanischen Staaten bleibt bei vielen Bürger_innen nur ein Gefühl der Hilflosigkeit zurück. Denn die diplomatischen Vertretungen Frankreichs haben die Bearbeitung von Visumanträgen bereits an private Dienstleistungsanbieter ausgelagert oder planen dies.
Weil sie der Geldregen noch nicht zufriedenstellt, der durch die zahlreichen Visumanträge zustande kommt (78 Millionen Euro Nettogewinn allein in Frankreich für das Jahr 2011), verlagern viele Einwanderungsländer ihre Dienstleistungen für die Visa-Beantragung an private Firmen. Darunter leiden die Bürger_innen von afrikanischen Staaten, die für jede Art von Reise Visa beantragen müssen und dazu noch mit hohen Kosten für ein Flugticket konfrontiert sind. All das könnte vermieden werden, wenn afrikanische Politiker_innen den Mut hätten, die ungerechten Visumbedingungen für ihre Bürger_innen anzuprangern.
Die Tatsache, dass nur für Angehörige einiger bestimmter Staaten Visumspflicht besteht, ist eine der zentralen Ungleichheiten des 21. Jahrhunderts. Wir suchen uns unsere Eltern nicht aus; wir suchen uns nicht das Land aus, in dem wir geboren werden. Viele Afrikaner_innen wären gerne in Deutschland, Südkorea oder den USA zur Welt gekommen, um in den Genuss der vielen Vorteile zu kommen, die Passinhaber_innen dieser Länder haben. Durch Zufall wurden sie jedoch in Afrika geboren. Diese Tatsache, über die sie keinerlei Kontrolle haben, zwingt sie, ihr Leben lang Genehmigungsverfahren hinter sich zu bringen, um reisen zu können. Die Fähigkeiten und menschlichen Qualitäten der Antragsteller_innen sind in den Augen von Konsulatsmitarbeiter_innen nichts wert – und sie sind diejenigen, die Macht haben, Mobilität in der globalisierten Welt einzuschränken. Besonders hervorzuheben ist auch die Entwürdigung afrikanischer Führungskräfte, die für Reisen, die ihrem Land oder ihrer Familie dienen, ein europäisches oder US-amerikanisches Visum benötigen. Die Visumvorschriften schreiben einer/einem Manager_in aus Afrika weniger Wert zu als Reisenden aus Europa, welche sich weder für ihre Arbeit noch ihr Einkommen rechtfertigen müssen, um reisen zu dürfen. Und dennoch träumen wir von einer Welt, in der im Namen der Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) niemand zurückgelassen wird. Trotz des neuen UN-Migrationspakts (Global Compact for Migration) erscheint für das Jahr 2030 nichts weniger sicher als das.
Es wirft Fragen auf, wenn die Bearbeitung von Visumanträgen an transnationale Firmen (VFS, TLS, CAPAGO...) ausgelagert wird. Die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen ist ohnehin heikel, bei diesem speziellen, lukrativen Markt mit seinen multiplen Akteuren ist sie es umso mehr. Mit administrativen Gebühren zwischen 30 und 150 US-Dollar, je nach Dienstleistung und Land, ist privaten Anbieter_innen ein hoher Gewinn sicher, den sie auf dem Rücken der Bürger_innen der „armen“ Länder dieser Erde generieren. Dass diese Menschen astronomische Summen aufbringen müssen, um ein Visum zu erhalten und in letzter Minute ein Flugticket zu kaufen, ist ungerecht: Den wohlhabenderen Bewohner_innen der „reichen“ Länder bleiben diese Kosten erspart.
Mali soll hier exemplarisch das für Botschaften und Subunternehmern lukrative Geschäft mit Visa illustrieren. In Mali, einem der ärmsten Länder in Afrika, erhielt das französische Konsulat im Jahr 2018 etwa 19.000 Visumanträge. Bei einem Preis von 60 Euro pro Antrag ergibt dies einen Umsatz von etwa 1.140.000 Euro. Nachdem die Bearbeitung von Visumanträgen im Januar 2019 privatisiert wurde, müssen Menschen aus Mali nun zusätzliche 30 Euro (34 US-Dollar) Verwaltungsgebühr an einen privaten Dienstleister entrichten. Der Umsatz dieser Firma lässt sich auf mindestens 570.000 Euro beziffern.
Eine echte Auslagerung der Visumanträge wäre es gewesen, eine Bearbeitungsstelle in einer fern von der Hauptstadt gelegenen Stadt wie Kayes einzurichten, die für ihre lebendige Reise- und Migrationskultur bekannt ist. Dadurch hätten sich Visumantragsteller_innen die lange Reise in die Hauptstadt Bamako sparen können. Das Gegenteil jedoch ist eingetreten: Die Auslagerung der Visumdienstleistungen wurde darauf beschränkt, wenige Minuten von der französischen Botschaft entfernt eine Bearbeitungsstelle zu eröffnen, in der nun noch mehr malische Bürger_innen zugunsten einer westlichen Firma Geld ausgeben müssen – ohne die Garantie, dass sie ihr Visum auch wirklich erhalten. Dies zu akzeptieren ist bitter.
Abgesehen von den rechtlichen Aspekten europäischer Richtlinien, nach denen Familienmitglieder europäischer Bürger_innen von den obigen Bestimmungen freigestellt sind, ist die brisanteste Problematik bei der Privatisierung von Visumdienstleistungen der Umgang mit den Daten, die von diesen privaten Firmen gesammelt werden. Angestellte dieser Unternehmen haben Zugriff auf Ausweispapiere, Verträge, Gehaltsabrechnungen, Kontoauszüge und viele andere wichtige Dokumente von Individuen und Firmen. Auch wenn diese Unternehmen nur als mittelnde Instanz zwischen Antragsteller_in und Konsulat fungieren und die Dokumente letztendlich an letzteres weitergeben, sind die Risiken und die Missbrauchsgefahr für die Antragstellenden hier sehr real.
Bei einem kürzlich gehaltenen Vortrag über Visa aus westafrikanischen Ländern wurde ich von einer Frau im Publikum mit folgenden Worten konfrontiert: „In Frankreich wollen sie uns nicht haben; warum also sollten wir weiterhin versuchen, dorthin zu kommen?“ In ihrer Aussage klingt Resignation mit angesichts der sichtbaren und unsichtbaren Hürden, die der Mobilität von Afrikaner_innen im Weg stehen.
Doch vor unumgänglichen Mauern zwischen den Menschen klein beizugeben und diese von fremdenfeindlichen Politiken geförderte Ungerechtigkeit klaglos zu ertragen, wäre ein Verrat an unseren humanistischen Werten. In unserer so verbundenen und miteinander verflochtenen Welt darf Mobilität nicht das Privileg bestimmter sozialer Gruppen sein, sondern ein für alle im Namen der Menschlichkeit geltendes Recht. Man könnte traurigerweise fast sagen, dass Vögel, Fische und andere Tiere mehr Rechte oder Bewegungsfreiheit haben als Afrikaner_innen, die für jegliche Art von Bewegung von Genehmigungsverfahren abhängig sind.
Die Menschheitsgeschichte ist geprägt von Eroberungen und anderen gemeinsamen Prüfungen, die schließlich verbindend wirken. Natürlich hat die Kolonialisierung einige negative Seiten, aber sie hat uns auch erlaubt, durch Sprache und Kultur eine Brücke nach Europa, Asien und in die ganze Welt zu schlagen. Millionen von Afrikaner_innen sprechen Englisch, Französisch, Portugiesisch, Spanisch und Arabisch. Mit den Sprachen lernten sie auch die Geschichte der Ursprungskulturen. Diese Verbundenheit besteht auch weiterhin durch Organisationen wie La Francophonie und dem Commonwealth. Somit ist es unsere Verantwortung, Bewegungsfreiheit als Recht einzufordern, statt für sie wie für ein Geschenk zu betteln.
Menschen aus Europa, Amerika und Asien sind weiterhin willkommen, die Sonne und die vielen Ressourcen des wunderbaren afrikanischen Kontinents zu genießen. Es liegt an uns Afrikaner_innen, ein Gegengewicht zu der Stille und den Kompromissen unserer Regierungen mit denen in Europa und auf anderen Kontinenten zu bilden. Wir müssen den Menschen aus Europa, Amerika und Asien verständlich machen, dass wir das gleiche Recht auf Bewegungsfreiheit fordern, um zusammen in einer gleichen und brüderlichen Welt zu leben.
Autor: Samir Abi, Ständiger Sekretär des West African Observatory on Migrations
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