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Europa wartet auch nach der deutschen Regierungsbildung weiter auf Berlin. Die Herausforderungen sind gigantisch, doch eine Antwort auf zentrale Reformvorschläge lässt auf sich warten.
Bild: Bild Abwarten und Tee trinken IV von Tommy Lee Walker / photocase.de lizenziert unter Lizenz-ID 5700552
Das Thema Europa ist im aktuellen Koalitionsvertrag prominent an erster Stelle positioniert. In der Phase der langwierigen Regierungsbildung diente die notwendige Reform der Europäischen Union als eines der zentralen Argumente für eine Neuauflage der Großen Koalition. Folgerichtig hatte man gehofft, dass es bis zum nächsten EU-Gipfel Ende März eine gemeinsame Positionierung Deutschlands und Frankreichs in zentralen Themenfeldern geben würde. Doch wer vor diesem Hintergrund zeitnah auf die Vorstellung deutsch-französischer Reforminitiativen hofft, wird enttäuscht werden.
Dabei sind die Herausforderungen groß. Da ist einerseits die Frage nach einer grundlegenden Reform der Eurozone. Die Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten zehn Jahre hat wesentliche Unzulänglichkeiten der derzeit bestehenden Institutionen offengelegt. Auch wenn es unterschiedliche Auffassungen über die Stoßrichtung der notwendigen Reformen gibt, ist eines klar: sie müssen kommen. Einerseits, um mittelfristig für mögliche Staatsschuldenkrisen gewappnet zu sein. Andererseits, um zu verhindern, dass die Ökonomien der Eurozone sich langfristig immer weiter auseinanderentwickeln und den Druck auf den gemeinsamen Währungsraum weiter erhöht.
Darüber hinaus gibt es mit der Asyl- und Migrationspolitik ein weiteres Politikfeld, auf dem dringend europäische Antworten gefordert sind. Vor allem die Frage nach der Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten bei der Aufnahme und Verteilung Geflüchteter wirft einen weiteren Graben auf. Er hat womöglich das Potential, zentrale Errungenschaften der Union in Frage zu stellen: so wird auch in Deutschland gerade laut darüber nachgedacht, ob man nicht das Schengener Abkommen auf unbestimmte Zeit aussetzen sollte.
In einem Land bündeln sich die beiden Problemfelder wie in einem Brennglas: Griechenland. Im August soll das Land das dritte Rettungsprogramm verlassen und dann an den internationalen Kapitalmärkten wieder auf eigenen Beinen stehen. Dass Griechenland auch nach dem Austritt aus dem dritten Memorandum auf ein Sicherheitsnetz angewiesen sein wird, gilt für viele Expert_innen als ausgemacht. Gleichzeitig muss das Land mit den Auswirkungen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei fertig werden. Auf den östlichen Inseln Lesbos und Chios leben weiterhin Tausende von Geflüchteten unter widrigsten Bedingungen in sogenannten „Hotspots“.
Auf der Veranstaltung „Wie geht Europa solidarisch?“ des Büros Athen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit der Stiftung des Griechischen Parlaments und der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde vor diesem Hintergrund intensiv darüber diskutiert, mit welchen Reforminitiativen man diesen Herausforderungen begegnen sollte. Am Anfang stand dabei vor allem aber auch die Frage, wie und ob die deutsche Sozialdemokratie in der neuen Regierung erste Projekte für ein solidarischeres Europa anstoßen kann.
Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, betonte die Notwendigkeit für neue wirtschafts- und europapolitische Impulse aus Reihen der SPD. Sie sei zeigte sich optimistisch, dass sich die Debattenkultur in der SPD maßgeblich verbessert habe und man mit Hinblick auf die notwendigen Reformen auch gegenüber dem Koalitionspartner eine andere Diskussion führen werde als in den letzten vier Jahren.
Axel Troost, stellvertretender Parteivorsitzender der Partei DIE LINKE, zeigte sich hingegen zunächst skeptisch. So gäbe es in der SPD aus seiner Sicht eine regelrechte „Staatsverschuldungsphobie“, die makroökonomisch kaum fundiert sei. Das wahre Problem, so Troost, seien die hohen Exportüberschüsse Deutschlands, die in direktem Zusammenhang mit den Verschuldungskrisen der südeuropäischen Länder stünden. Er plädierte daher ebenfalls für umfassende Investitionsprogramme und eine gemeinsame Sozialpolitik, um die regionalen Ungleichheiten in der EU nachhaltig zu verringern und die damit verbundenen wirtschaftlichen Ungleichgewichte abzubauen.
Mit Hinblick auf die Integration Geflüchteter in Europa betonte Schwan, dass die sogenannte Flüchtlingskrise die in Europa bereits länger bestehenden Verteilungskonflikte sichtbar gemacht habe. Ursächlich dafür seien aber andere Faktoren. Als konkreten Lösungsansatz vertrat sie die Idee eines europäischen Fonds: Kommunen, die zur Aufnahme von Geflüchteten bereit seien, sollten für jeden aufgenommenen Geflüchteten zusätzliche Mittel erhalten, die sie zur Verbesserung der lokalen Infrastruktur einsetzten könnten. Damit könne auch die Bürgerbeteiligung vor Ort wieder gestärkt werden.
Die Debatte machte deutlich, dass die zentralen Probleme erkannt wurden. Auch an Lösungsvorschlägen mangelt es nicht. Die nächsten Monate werden zeigen, welche Impulse die neue deutsche Regierung in die Debatte einbringen wird. Die Zeit drängt und die Phase des ‚Abwarten und Tee Trinkens‘ ist vorbei..
Ansprechpartner in der Stiftung
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