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Europas Wirtschaft wächst wieder, die Popularitätswerte steigen. Ob Europa diese Atempause für jahrelang aufgeschobene Reformen nutzen kann, hängt auch von mehr Bürgernähe ab.
Bild: von Marco Maas lizenziert unter CC BY-NC-ND 2.0
„Ein neuer Aufbruch für Europa“, so heißt gleich das erste Kapitel der Sondierungsergebnisse von CDU/CSU und SPD. Martin Schulz hat klargemacht, dass die SPD nur in eine Regierung geht, die sich für Europa stark macht. Eurokrise und Flüchtlingspolitik, die alles überschattenden Streitthemen der vergangenen Jahre, sind zwar keineswegs ideal und abschließend gelöst. Aktuell gibt es aber eine Verschnaufpause: In ganz Europa wächst die Wirtschaft seit geraumer Zeit. Für den Moment halten dubiose Deals mit Drittstaaten wie der Türkei oder Libyen Flucht und Migration von Europas Grenzen fern. Auch das öffentliche Image der EU ist wieder positiver geworden.
So sehen viele das Jahr 2018 als gute Gelegenheit, endlich grundlegende EU-Reformen anzupacken. Allerdings muss schnell gehandelt werden, bevor 2019 Brexit und Europawahlen die Agenda bestimmen.Reformvorschläge von Emmanuel Macron und Jean-Claude Juncker liegen auf dem Tisch. Macron betont, alles hänge von der Reformbereitschaft Deutschlands ab. Schulz drängt zwar auf den großen Wurf, es bleibt aber unklar, wie lange Europa noch auf eine beschlussfähige deutsche Regierung warten muss und zu welchen Zugeständnissen diese dann bereit sein wird.
Was auch immer aus den einzelnen Punkten der Reformpläne wird: Die großen Grundsatzdiskussionen der EU (Dominanz von Exekutive bzw. Technokratie versus Demokratie, Sparhaushalte versus Investitionsprogramme, vertiefte Integration versus Subsidiarität) und ihre jeweiligen institutionellen und politischen Implikationen sind für viele Bürger zu abgehoben und unübersichtlich – nicht nur im Hinblick auf Kompetenzen, Positionen und Argumente der zahlreichen Akteure, sondern auch in ihren Auswirkungen auf den Alltag der Menschen. Ein Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Zukunft Europas in Birkenwerder sollte nicht nur das Dickicht der Reformvorschläge lichten, sondern auch die Erwartungen der 20 Teilnehmer_innen an Europa sammeln. Im Kern sahen die Seminarteilnehmer_innen Europa als eine über Menschenrechte und Demokratie definierte Wertegemeinschaft, der kleinliches Ringen etwa in wirtschafts- oder asylpolitischen Fragen unwürdig ist. Ihr Anliegen war außerdem, dass Europa seine Politik besser an die Bevölkerung kommuniziert, um spaltenden Renationalisierungstendenzen entgegenzuwirken.
Das häufig beklagte Demokratiedefizit der EU besteht nicht nur in der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments und seinen Kompetenzen gegenüber Kommission und Rat, sondern insbesondere auch in der Bürgernähe der EU. Obwohl das Problem schon lange erkannt wurde, variiert die Aufmerksamkeit, die ihm in Brüssel und den Hauptstädten geschenkt wird, stark. Aktuell scheinen wieder einmal Detailfragen, die nur etwas für Eurokraten sind, die mediale Debatte zu dominieren – zum Beispiel die Zukunft des Europäischen Stabilitätsmechanismus oder der Bankenunion.
Große Ankündigungen wie im Sondierungspapier, Europa „bürgernäher und transparenter“ zu machen, müssen nach wie vor mit Substanz gefüllt werden. Zu häufig wird unter Bürgernähe verstanden, mehr Informationsmaterial zu verteilen oder mehr Websites einzurichten. Aber Top-down-Kommunikation ist von vorgestern. Was stärker gefördert werden muss, ist ein kontinuierliches Gespräch über Europa zwischen den Menschen über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg. Wahlkampagnen stilisieren sich gerne mit „Town-Hall-Meetings“, auch die EU veranstaltet seit einiger Zeit Bürgerdialoge. Wie solche Ansätze einerseits ihren Show-Charakter, andererseits Ländergrenzen überwinden und auch außerhalb von Wahlkampfzeiten die Bürger_innen mitnehmen und ihren Input zu den anstehenden Reformverhandlungen einholen können, bleibt eine große Herausforderung für die EU.
Ansprechpartner in der Stiftung
Arne Schildberg
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