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Da hilft auch kein Prostituiertenschutzgesetz

Von Menschenhandel betroffenen Migrantinnen bietet Deutschland weder Schutz noch Perspektive. Ein Gespräch mit der Beratungsstelle Ban Ying.

Bild: Livia Valensise von privat

Bild: Meet Me in Boston von Thomas Hawk lizenziert unter CC BY-NC 2.0

Der Berliner Verein Ban Ying berät seit dem Jahr 1988 von Menschenhandel, Gewalt oder Ausbeutung betroffene Migrantinnen, bietet ihnen eine sichere und geschützte Zufluchtswohnung und setzt sich öffentlich für ihre Rechte ein. Mit Blick auf letztere erscheint das im Juli 2017 in Kraft getretene, so genannte Prostituiertenschutzgesetz zunächst als Erfolg: Es soll Sexarbeiter_innen vor Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel schützen. Wir sprachen mit der Projektkoordinatorin von Ban Ying, Livia Valensise, darüber, warum das Gesetz ihren Klientinnen nur auf dem Papier Schutz verspricht, dass unter ihnen zunehmend geflüchtete Frauen sind, wie Ban Ying sie unterstützt und wie wenig Perspektiven der deutsche Staat ihnen insgesamt bietet.

FES: Wie kommen Sie mit Ihren Klient_innen in Kontakt und wie unterstützen Sie sie?

Valensise: Durch unser langjähriges Beratungsangebot kommen viele Frauen übers Hörensagen zu uns. Insbesondere in den thailändischen und philippinischen Communities ist bekannt, dass hier zwei entsprechende Sprachmittlerinnen tätig sind. Weitere Frauen erreichen Ban Ying über die Vernetzungsstrukturen, die wir in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben: Mit Gesundheitsämtern, sozialen Trägern oder der Polizei, die uns bei Verdacht auf Menschenhandel kontaktiert.

Die Frauen, die sich an uns wenden, unterstützen wir durch Sozial- und Rechtsberatung. Dabei ist das Ziel, die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit unserer Klientinnen zu stärken, indem ihnen sozialrechtliche Sachverhalte möglichst klar erläutert und mögliche Handlungswege aufgezeigt werden.

Wie viele Frauen sind in Deutschland von Menschenhandel betroffen und woher stammen sie überwiegend? Haben Sie in den vergangenen Jahren Veränderungen beobachtet?

Statistische Aussagen über Betroffene von Menschenhandel zu treffen ist sehr schwierig. Jährlich gibt das Bundeskriminalamt einen Bericht zu deutschlandweit bekannten Fällen und damit die einzig fundierte Zahl für Deutschland heraus. Aufgeführt werden hier jedoch nur Menschenhandelsfälle, in denen ein polizeiliches Ermittlungsverfahren abgeschlossen wurde.

Allerdings entscheiden sich viele Frauen gegen eine Anzeige bei der Polizei, egal ob sie von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung oder zum Zweck der sexuellen Ausbeutung betroffen sind. Angst vor den Täter_innen, die sowohl im Herkunftsland als auch in Deutschland eine existenzielle Bedrohung darstellen können, und vor Stigmatisierung spielen hierbei eine Rolle. Deutschland bietet den Betroffenen nur einen geringen Schutz und so gut wie keine Perspektive.

Als Fachberatungsstelle können wir demnach immer nur von den Klientinnen berichten, die zu uns kommen. Auffallend ist in unserer Beratung die Tendenz, dass zunehmend Frauen aus afrikanischen Ländern über die klassischen Fluchtrouten nach Europa gelangen, die vor, während oder nach ihrer Flucht von Menschenhandel betroffen waren – nicht explizit zum Zweck der sexuellen, sondern ebenso der Arbeitsausbeutung.

Wollen die Frauen, die Sie unterstützen, überwiegend in ihr Herkunftsland zurückkehren oder in Deutschland bleiben? Ist beides problemlos möglich?

Jede Frau kommt mit einer eigenen Geschichte und entsprechenden Wünschen und Hoffnungen zu uns. Bei einigen steht die Sorge, bei einer Rückkehr ins Heimatland (weiter) bedroht zu werden, viel mehr im Vordergrund als der explizite Wunsch, in Deutschland zu leben. Zurück zu gehen ist für viele Frauen nicht denkbar.

Allerdings sieht das deutsche Recht nicht vor, dass sie bleiben. Wir beklagen weiterhin die in Deutschland geltende Regelung, dass Betroffene von Menschenhandel aus Drittstaaten nur dann Zugang zu ihren Rechten erhalten, wenn sie bereit sind, in einem Strafprozess als Zeuginnen auszusagen. Für die Dauer der Vernehmung erhalten sie dann ein temporäres Bleiberecht. Spätestens nach Abschluss der Verhandlung müssen die Frauen das Land in der Regel verlassen. In seltenen Fällen bekommen die Frauen anschließend einen Aufenthalt aus humanitären Gründen, obwohl dies rechtlich in der Zwischenzeit anders geregelt sein sollte. 

Das neue Prostituiertenschutzgesetz sieht ein verpflichtendes Beratungsgespräch bei der Anmeldung vor. Das soll ausschließen, dass sich Personen als Prostituierte registrieren lassen, die zu Sexarbeit gezwungen oder ausgebeutet werden. Welche Erfahrungen machen ihre Klient_innen mit diesem Verfahren, funktioniert es aus Ihrer Sicht?

Zunächst hat diese Gesetzesänderung bei unseren Klientinnen, die in der Sexarbeit tätig sind, vor allem für Verwirrung und Verunsicherung gesorgt: Noch immer ist in Berlin nicht klar geregelt, wo diese Anmeldung erfolgt bzw. welche Behörde für das Gespräch zuständig ist.

Aus unserer Beratungspraxis mit Betroffenen von Menschenhandel wissen wir außerdem, dass ein Kurzgespräch im Rahmen einer verpflichtenden Anmeldung weder einen geschützten Raum noch ein Vertrauensverhältnis bietet. Beides ist aber unbedingt erforderlich, damit sich eine Betroffene von Ausbeutung öffnet. Hinzu kommt, dass diese Gespräche höchstwahrscheinlich ohne Sprachmittlung erfolgen.

Wird eine Person tatsächlich zur Sexarbeit gezwungen, und wird dieser Person nicht die reale Möglichkeit geboten, ihre Zwangslage zu offenbaren, bevor ihr – durch die Anmeldebescheinigung – ein „Freiwilligkeitsstempel“ gegeben wird, dann wird sie in Zukunft Schwierigkeiten haben, ggf. ein Gericht von ihrer Zwangslage zu überzeugen. Auch aus Datenschutzgründen ist die Ausstellung dieser Anmeldebescheinigung problematisch – insbesondere für Migrant_innen, die aus Ländern kommen, in denen Prostitution illegal oder stärker als in Deutschland stigmatisiert ist. Sie kann das Dokument erpressbar machen.

Nicht zuletzt werden diejenigen, die ohnehin besonders von Ausbeutung bedroht sind, also z. B. Sexarbeiter_innen ohne gesicherten Aufenthalt, durch dieses Gesetz nicht nur mangelnd geschützt, sondern dazu noch weiter ausgegrenzt. Das Vorhaben, die Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter_innen juristisch zu schützen, geht unserer Meinung nach nicht über den Gesetzesnamen hinaus.

 

Weitere Informationen zu der Arbeit von Ban Ying finden sie hier.


Fokus Zeitenwende der Friedrich-Ebert-Stiftung: Eine neue Ära

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