FES: Auch dieser Jahresbeginn steht wieder stark unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Für die FES haben Sie sich mit den Effekten auseinandergesetzt, die die Pandemie bisher auf die Arbeitsmarktsituation von Migrant_innen und Geflüchtete hatte. Kurz zusammengefasst: Wie hat sich der Pandemieverlauf auf diese Personengruppen im Vergleich zu deutschen Arbeitnehmer_innen ausgewirkt?
Matthias Knuth: Die Unterschiede zwischen Geflüchteten, den übrigen Migrant_innen und Einheimischen sind überraschend gering. Zwar wirkten die Lockdown-Maßnahmen kurzfristig jeweils heftiger auf die Beschäftigungssituation der Geflüchteten, aber bei Lockerung der Maßnahmen waren auch die Erholungseffekte für sie stärker.
FES: Vor Einsetzen der Pandemie war die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten als insgesamt sehr erfolgreich und mit positiver Tendenz bewertet worden. Inwiefern hat die Pandemie mit ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt diese Erfolge relativiert oder gar zunichte gemacht?
Matthias Knuth: Bei zweifellos positivem Entwicklungstrend lag die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten vor der Pandemie immer noch weit zurück. Ihre relative Position hat sich jedoch in dem Zeitraum, den ich in meiner Studie beobachten konnte, nicht verschlechtert. Eher haben sich Aufholprozesse fortgesetzt, wenn auch verzögert.
FES: In Ihrer Publikation legen Sie einen Schwerpunkt auf die nach Geschlechtern differenzierende Analyse der Daten. Welche Erkenntnisse konnten Sie hier gewinnen?
Matthias Knuth: Geflüchtete Frauen spielten vor der Pandemie noch kaum eine Rolle am Arbeitsmarkt. Sie waren gerade erst in den Integrations‑ und Deutschsprachkursen angekommen, die inzwischen mehrheitlich weiblich besetzt waren. Keine der untersuchten Aktivitäten wurde durch die Pandemie-Maßnahmen so stark ausgebremst wie diese Kurse. Der schon vor der Pandemie gegebene zeitliche Rückstand der geflüchteten Frauen bei Spracherwerb und Arbeitsmarktzugang wurde dadurch noch einmal vergrößert.
Die eigentlichen Verliererinnen der Pandemie sind geflüchtete Frauen, die noch gar nicht im Arbeitsmarkt angekommen waren. Der Geschlechterungleichheit beim Zugang zu Sprachförderung, Ausbildung und Arbeitsmarkt wird von den Jobcentern nicht entgegengewirkt, sondern sie wird durch häufig großzügige Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches II durch die Jobcenter noch verstärkt. Dieser besagt, dass Personen mit Sorgeverantwortung für Kinder unter drei Jahren von Maßnahmen der Arbeitsmarktintegration, also auch Eingliederungsleistungen wie Sprachkurse, ausgenommen werden können. Das betrifft viele geflüchtete Frauen mit Kindern, die somit nur stark verzögert Zugang zu arbeitsmarktrelevanten Integrationsmaßnahmen erhalten.
FES: Welche Erkenntnis, die Sie während der Erarbeitung der Studie gewonnen haben, hat Sie am meisten überrascht?
Matthias Knuth: Selbst wenn man unterstellt, dass eine direkte Ungleichbehandlung von Geflüchteten gegenüber Deutschen die Ausnahme ist, so hätte man doch eine viel stärkere Abnahme der Beschäftigung von Geflüchteten und einen verstärkten Zufluss von Geflüchteten aus Beschäftigung in Arbeitslosigkeit erwarten können.
Das ergibt sich allein schon aus den kürzeren Betriebszugehörigkeiten, die Geflüchtete haben können und dem daraus resultierenden geringeren Schutz vor Kündigungen, sowie aus der Verteilung der Flüchtlingsbeschäftigung nach Wirtschaftszweigen, Betriebsgrößen und Tätigkeitsfeldern. So war die Gastronomie beispielsweise, als ein Wirtschaftsbereich, in dem viele Geflüchtete Arbeit gefunden hatten, von den Kontaktbeschränkungen stark betroffen.
Diese Besorgnis war ja letztlich auch der Anlass für die FES, die drei Online-Fachgespräche durchzuführen, die den Hintergrund zu dieser Publikation bilden.
Gegenüber einer solchen pessimistischen Erwartung hat sich der Arbeitsmarkt als überraschend inklusiv erwiesen. Arbeitgeber, die Geflüchtete eingestellt haben, meinen es ernst und verbinden damit langfristige personalpolitische Zielsetzungen. Das ist vor dem Hintergrund der erwartbaren Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland, das in den nächsten Jahren stark abnehmen wird, vernünftig, aber man konnte nicht sicher sein, dass solche langfristigen Orientierungen in einer Situation großer Unsicherheit die Oberhand behalten. Insofern ist das Fazit meiner Publikation insgesamt ein überraschend positives. Dennoch bleibt für die Politik noch viel zu tun, damit sich die Pandemie gerade für migrierte oder geflüchtete Frauen langfristig nicht zur arbeitsmarktpolitischen Sackgasse entwickelt. Die Ausschöpfung der Möglichkeiten digitaler Instrumente könnte hier ein wirksamer Hebel sein. Doch gerade in dieser Hinsicht hat die Pandemie offensichtlich gemacht, wie stark deutsche Behörden auf allen Ebenen hier der Zeit hinterherhinken. Politisch gibt es also noch viel zu tun.
Vielen Dank für dieses Interview!