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Petra Bendel, Professorin für Politische Wissenschaft, im Interview zur Flüchtlingspolitik und warum die EU hier endlich zusammenfinden muss.
Bild: von © Foto: kartoxjm/fotolia.com
Europa ist weit entfernt von einer solidarischen und gemeinsamen Flüchtlingspolitik. Statt sich in der Krise zusammenzufinden, werden in der Union immer stärker nationalstaatliche Interessen verfolgt. Damit wird die EU weder ihrem eigenen Anspruch gerecht noch ihrer Verantwortung in der Welt und den Flüchtenden gegenüber.
Petra Bendel, Professorin für Politische Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg, hat ein Gutachten zur europäischen Flüchtlingspolitik erstellt, welches sie bei einer Konferenz am 29. März bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin vorgestellt hat. Neben einem Überblick über den gegenwärtigen Stand der Debatten und Konzepte zur Flüchtlingspolitik der EU, bezieht das Gutachten Stellung zu jüngsten Politikvorschlagen und plädiert für eine konsequente Orientierung der Flüchtlingspolitik an den Menschenrechten.
Die FES hat ein Interview mit der Autorin Petra Bendel geführt:
Die europäische Flüchtlings- und Asylpolitik stand seit mehr als 15 Jahren immer wieder auf der Top-Agenda der Europäischen Union, doch ein derart hohes politisches Gewicht wie im Jahr 2015 und Anfang 2016, als mehr als eine Million Menschen in die Mitgliedstaaten der EU drängten, hat sie nie zuvor erlangt. Entsprechend stoßen wir allenthalben auf ein enormes Informationsbedürfnis in Parteien, in Nichtregierungsorganisationen und in der Öffentlichkeit über die aktuellen Entwicklungen, über die Pläne der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Diesem Informationsbedürfnis möchten wir, ein Jahr nach dem Inkrafttreten der EU-Türkei-Erklärung, mit diesem aktuellen Gutachten nachkommen.
Erstens: Auf internationalem Parkett ist erhebliches Engagement notwendig, um eine vorausschauende Flüchtlingspolitik zu planen und im Sinne der Fluchtursachenbehandlung Stabilität, Rechtstaatlichkeit und Beteiligungsmöglichkeiten in den Herkunftsländern zu gewährleisten. Ein weiteres Drängen der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf globale Verantwortungsteilung für die Flüchtlingsfrage ist unabdingbar. Zweitens: Kooperationen mit Erstaufnahme- und mit Transitstaaten, die derzeit gezielt gesucht werden, müssen klare menschen- und flüchtlingsrechtliche Standards einhalten. Die EU muss Drittstaaten, mit denen sie kooperiert, zur Einhaltung möglichst hoher Schutz- und Verfahrensstandards ermuntern und diese auch selbst immer wieder überprüfen. Drittens: Legale Zugangswege, wie ansatzweise im EU-Türkei-„Deal“ entwickelt und im Neuansiedlungsrahmen von der Europäischen Kommission befürwortet werden, müssen weiter ausgebaut und so zugeschnitten werden, dass sie von Schleuser_innen und Menschenhändler_innen nicht ausgenutzt werden können und in den Aufnahmestaaten Garantien vor Ausbeutung bieten.
Unter den Mitgliedstaaten herrschte in der Folge der raschen Zugänge 2015 und 2016 sofort Einigkeit darüber, dass offene Binnengrenzen nur dann wiederherzustellen wären, wenn die Außengrenzen entsprechend abgesichert würden. Auch dies aber darf nicht auf Kosten der menschen- und flüchtlingsrechtlichen Vorgaben gehen. Wir brauchen eine systematische Seenotrettung und einen kohärenten Ansatz, das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Schließlich brauchen wir ein klares Monitoring-System für die Hotspots in Italien und Griechenland um zu garantieren, dass die vereinbarten EU-Standards eingehalten werden.
Unter dem Eindruck verstärkter Zuwanderung offenbarte das Gemeinsame Europäische Asylsystem vollends seine Unzulänglichkeiten. Große Divergenzen bei der Aufnahme, den Asylverfahren und schließlich den Anerkennungsquoten bestanden fort oder erweiterten sich gar, da die steigenden Zugangszahlen einen „Wettbewerb nach unten“ auslösten. Eine Absenkung der Standards und eine Verschärfung von Einreisebarrieren waren die Folge. Ziel einer erneuten Reform ist es, die Asylverfahren zu beschleunigen und die Standards EU-weit zu harmonisieren. Diese umfassenden Reformen befinden sich derzeit in der Verhandlungsphase.
Mein Gutachten verfolgt durchaus ein normatives Anliegen: Es plädiert dafür, die Krise der EU-Flüchtlingspolitik entgegen der Tendenz zur Renationalisierung und zunehmenden Entsolidarisierung als Chance zu begreifen: als Chance einer Wiederbesinnung auf die menschenrechtlichen Grundlagen und die Werte der Europäischen Union. Noch besteht für das Europäische Parlament die Möglichkeit, die Standards in den aktuell zu verhandelnden Verordnungen und Richtlinien nach oben zu korrigieren und sie nicht zu verwässern. Noch steht in wichtigen Mitgliedstaaten die Wahlentscheidung aus – die Verantwortung, die Krise für eine Chance zu nutzen, liegt auch bei den Wählerinnen und Wählern.
Ansprechpartner in der Stiftung:
Günther Schultze
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