FES: Die Kommission wurde im Zuge der Debatte um „Obergrenzen“ von Horst Seehofer eingesetzt und war von Anfang an von Kontroversen begleitet. Dann war es lange Zeit still – nun dieser Bericht. Können Sie aus Ihrer Sicht erzählen, wie es zur Einsetzung der Kommission kam und wie sich die Dynamik der Arbeit entwickelt hat?
Im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode steht: „Es soll eine Fachkommission der Bundesregierung eingesetzt werden, die sich mit den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit befasst und einen entsprechenden Bericht dem Deutschen Bundestag zuleitet“.
Auf dieser Grundlage hat das Bundeskabinett 25 Mitglieder in die Fachkommission zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit berufen. Die Auswahl der Mitglieder übernahmen damals die drei für die Fachkommission innerhalb der Bundesregierung federführenden Ressorts – das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Die Mitglieder der Fachkommission sind ausgewiesene Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis. Die Beratungen erfolgten in zahlreichen Sitzungen sowohl der gesamten Fachkommission als auch in verschiedenen Arbeitsgruppen. Die Kommission war bewusst divers zusammengesetzt und so gab es auch kontroverse aber stets konstruktive Diskussionen, u.a. zu den Ressourcenfragen, die bei der Diskussion der Obergrenze eine Rolle spielten, die sie ansprechen. Der Bericht setzt sich speziell mit dieser Thematik an mehreren Stellen auseinander, u.a. in den jeweiligen Fachkapiteln zu Arbeit, Bildung, Wohnen, Gesundheit und mit Blick auf die Kommunen.
Am Ende des Berichts finden sich abweichende Stellungnahmen einzelner Kommissionsmitglieder zu verschiedenen Sachverhalten. An welchen Stellen verliefen Diskussionslinien und kam es zu Kontroversen innerhalb der Kommission?
Bei der Besetzung der Kommission wurde darauf geachtet, dass eine große Bandbreite von Erfahrungen und fachlichen Expertisen zum Tragen kommt. Natürlich wurde bei der Vielzahl an adressierten Themen und Aspekten auch kontrovers diskutiert. Das war aber immer sachbezogen und von dem gemeinsamen Willen aller Mitglieder getragen, sich auf Empfehlungen zu einigen. Die insgesamt sieben abweichenden Stellungnahmen enthalten Punkte, zu denen einzelne Mitglieder bei bestimmten Themen eine andere Meinung vertreten als die Mehrheit der Kommission oder inhaltlich etwas hinzufügen wollten. Das betraf u.a. die bereits angesprochenen Ressourcenfragen und die Diskussion um den sogenannten Migrationshintergrund.
Stichwort „Migrationshintergrund“: Der Bericht setzt sich auch mit Begrifflichkeiten auseinander und distanziert sich unter anderem von diesem Begriff. Was ist der Hintergrund?
Der Begriff hat ja zum einen eine statistische Funktion. So und so viele Personen werden damit erfasst, nach den und den Kriterien. Außerdem geht es zum anderen um die Bezeichnung an sich.
Kritik an der bisherigen Verwendung des Migrationshintergrundes kommt aus verschiedenen Richtungen.
Erstens ist die Kategorie analytisch unscharf, d.h. sie vermischt die Kriterien Staatsangehörigkeit und Migrationserfahrung. Zweitens ist die Datenerhebung komplex und wird deswegen uneinheitlich gehandhabt, was die Vergleichbarkeit erschwert. Drittens entspricht der Begriff „Migrationshintergrund“ oft nicht der Selbstbeschreibung von Personen, die mit ihm bezeichnet werden. Auch haben Betroffene keine Chance, diesem „Etikett“, wie die Fachkommission es nennt, zu entkommen. Im schlimmsten Fall kann das zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen.
Die Fachkommission empfiehlt daher zweierlei: Erstens: Diese Kriterien müssen überarbeitet werden, denn sie passen einfach nicht mehr. Die Fachkommission macht hierzu Vorschläge. Zweitens empfiehlt die Fachkommission, den Begriff „Migrationshintergrund“ auch gar nicht mehr zu verwenden.
Beides zusammen würde dann für mich z.B. konkret bedeuten: Ich bin nicht mehr „die Migrantin“, sondern einfach eine Tochter oder Nachkommin von Eingewanderten. Ich bin ja auch nicht selbst eingewandert, sondern hier geboren. Und meine Kinder, die nach der jetzigen Definition noch einen „Migrationshintergrund“ hätten, sind dann einfach nur noch Deutsche.
Was kann erwartete werden, wie mit dem Bericht weitergearbeitet wird? Welche Konsequenzen werden dem Bericht Ihrer Einschätzung nach folgen?
Die Empfehlungen richten sich an Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft, die über die Umsetzung entscheiden. Die Inhalte des Berichtes sind frei verfügbar, der Bericht in voller Länge, die in Auftrag gegebenen Expertisen und die Kernbotschaften im Einzelnen auf der Homepage der Fachkommission zu finden. Und wir als Mitglieder der Fachkommission stehen gern für den weiteren Austausch zur Verfügung.