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Mit Sicherheit menschlich?

Die Bundesregierung soll bei ihrem Engagement für Sicherheitssektorreformen fünf Minimalanforderungen erfüllen.

Eine Kette von Polizeikräften von hinten.

Bild: Police Cordon von Evgeniy Isaev lizenziert unter CC BY 2.0

Das deutsche Handeln in fragilen und von Krisen betroffenen Ländern soll sich danach richten, die alltägliche Sicherheit von Frauen, Männern und Kindern zu fördern, schreibt die Bundesregierung an dieser Stelle. Programme zur Sicherheitssektorreform (SSR) wie die deutsche und europäische Ertüchtigungsinitiative stärken aber vor allem staatliche Sicherheitsakteure. Sie können überhaupt nur dann menschliche Sicherheit befördern, wenn sie die Vielfalt von Sicherheitsbedrohungen und –wahrnehmungen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen umfassend berücksichtigen. Handlungsweisende Prinzipien zur Zusammenarbeit mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren auf unterschiedlichen Governance-Ebenen sind dabei unerlässlich. Effizientes Handeln „ertüchtigter Sicherheitsorgane“ sollte sich an ihnen messen lassen.

Der Staat als Bedrohung

Nicht nur eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu den Zukunftsvorstellungen von 9000 Jugendlichen aus acht Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas zeigt: Viele junge Männer und Frauen erleben staatliche Akteure vor allem als Quelle der Bedrohung. Staatliche Repressionen und Ausgrenzung können Radikalisierungsprozesse auslösen und verstärken. Wer menschliche Sicherheit fördern will, kommt demnach nicht umhin, die „Schutzbefohlenen“ als Agenten ihrer eigenen Interessen ernst zu nehmen.

Bei der Frage, was Sicherheit ausmacht, und wie sich (Un-)Sicherheit anfühlt, sollten alle zu Wort kommen: Junge, Alte, Kranke, Städter, Dorfbewohner, Heterosexuelle, Homosexuelle, Religiöse, Flüchtende, Unterdrückte, Kämpfende – Männer und Frauen. Eine „wirkliche“ SSR-Politik braucht also Dialog auf Augenhöhe und partizipative sowie transparente Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen der Politik, damit „Ownership“ und „Accountability“ nicht zu bloßen Floskeln werden.

Aus unserer eigenen Stiftungsarbeit wissen wir, wie schwierig das ist. Aber auch in volatilen Umbruchssituationen wie z.B. in El Salvador, Mali, Côte d’Ivoire, den Philippinen, Thailand oder Myanmar ist es möglich, diverse Gruppen und Multi-Stakeholder-Akteure zur Gestaltung von Friedens- und Sicherheitspolitik an einen Tisch zu bringen.

Es folgen fünf Minimalanforderungen an deutsche SSR- und Ertüchtigungsprogramme – damit diese nicht zum Bumerang für Menschenrechte und demokratischen Wandel werden. Diese bauen auf den Forderungen des European Peacebuilding Liaison Office auf:

Verbesserte Dienstleistungen für die Menschen

Die deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen („Terrorismusbekämpfung“ und „Migrationsabwehr“) stimmen nicht zwangsläufig mit den Sicherheitsbedürfnissen der Menschen vor Ort überein. Ertüchtigungsprogramme, die nicht primär versuchen, die Polizei, Streitkräfte und andere Sicherheitsdienstleister transparenter, rechenschaftspflichtiger und respektvoller gegenüber der Bevölkerung zu machen, sind abzulehnen – insbesondere mit Blick auf die Zielvorgabe der menschlichen Sicherheit. Die Männer und Frauen vor Ort müssen unmittelbar und spürbar von den verbesserten Dienstleistungen von Polizei und Streitkräften profitieren. Zur Überprüfung müssen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen bereits in die Analyse, Planung und Vereinbarung der Programme einbezogen werden.  

Bei der deutschen Ertüchtigungspolitik ist das bisher noch nicht der Fall. Dabei gäbe es durchaus gute Ansatzpunkte, wie das „Ertüchtigungsland“ Tunesien zeigt: Zur bisher schleppenden Umsetzung des Gesetzes zur Vermeidung von Gewalt gegen Frauen (2017) und des Gesetzes gegen Menschenhandel (2016) könnte Deutschland aktiv beitragen. Dafür braucht es mehr Vertrauen zwischen Bevölkerung und Sicherheitsapparat. Über ihre Kontakte zur Polizei und Gendarmerie könnte die Bundesregierung gemeinsame Fortbildungen für Sicherheitskräfte und zivilgesellschaftliche Organisationen anbieten und die Effizienz der Sicherheitskräfte an einer verbesserten Umsetzung der Gesetze messen.

Besser keine SSR, als schadhafte SSR

Bei der Planung, Umsetzung, Überwachung und Evaluierung der SSR- und Ertüchtigungsmaßnahmen sollte die Bundesregierung folgendes sicherstellen: Die Prinzipien des Do-No-Harm-Ansatzes müssen berücksichtigt und Gender-Mainstreaming-Verfahren in allen Phasen des Projektzyklus angewendet werden.

Um die Auswirkungen der Programme auf Konflikt- und Geschlechterdynamiken im Länderkontext zu bewerten, müssen bei deren Monitoring und Evaluierung die Aussagen und Beobachtungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und einer Auswahl von Männern, Frauen, Jungen und Mädchen berücksichtigt werden. Auf eine Auflistung von quantitativen Indikatoren, z.B. die Anzahl der ausgebildeten Streitkräfte, sollte die Bundesregierung verzichten. Die Wahrnehmung von unterschiedlichen Sicherheitserfahrungen der Menschen sollte explizit abgefragt werden. Das ist auch in bewaffneten Konflikten möglich – wie die von der FES in Mali entwickelte und regelmäßig durchgeführte Meinungsumfrage „Mali Mètre“ beweist.

Transparenz und Menschenrechte

Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass Maßnahmen der Ertüchtigung nicht dazu dienen, unverantwortlich handelnde und korrupte Sicherheitsinstitutionen zu stärken. Ohne verbindliche und öffentliche Zusagen von Partnerregierungen und Sicherheitskräften, Menschenrechtsstandards einzuhalten, sollten keine Programme lanciert werden – wie auch Martina Fischer in ihrem PeaceLab-Beitrag forderte. Kann die Bundesregierung (und die EU) nicht sicherstellen, dass ZivilistInnen im Zuge ihrer Kontrollarbeit geschützt sind, sollten die Programme vorübergehend gestoppt und umgehend Schritte mit der Partnerregierung eingeleitet werden, um deren Schutz zu gewährleisten.

Unverantwortlich wird es, wenn die deutsche Bundesregierung – wie etwa in Jordanien – zur „Ertüchtigung“ der dortigen Sicherheitskräfte Überwachungstechnologie liefert, die dann von den Behörden eingesetzt werden kann, um regierungskritische Blogger unter Berufung auf das Cyber Crime Law zu inhaftieren.

Rechenschaft und gute Regierungsführung

Sowohl auf deutscher Seite als auch auf Seiten des „Einsatzlandes“ sollten unabhängige Beschwerde-, Transparenz- und Rechenschaftsmechanismen eingerichtet und unterstützt werden. Diese müssen jederzeit zugänglich sein, insbesondere für benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Beschwerden sollten von der Bundesregierung und der Partnerregierung gemeinsam verfolgt und in regelmäßigen Berichten an die Parlamente öffentlich gemacht werden.

Schließlich sollten Räume geschaffen werden, in denen die Bevölkerung mit den Sicherheitsdienstleistern in Kontakt treten kann, um ihre Anliegen und Bedürfnisse direkt an sie zu kommunizieren, gemeinsam Lösungen zu entwickeln und deren Umsetzung zu überwachen. In Nachkriegssituationen geht das nicht? Doch: Bis zum Abzug der UN-Blauhelmtruppen in  Côte d’Ivoire organisierte die dortige VN-Mission in unterschiedlichen Landesteilen regelmäßige Dialog- und Begegnungszentren zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und den Bürgerkriegsparteien. Wenn auch in kleinerem Rahmen, bietet die FES in dem westafrikanischen Land bis heute vergleichbare zivil-militärische Gesprächskreise an. Ähnliche Dialogprogramme sollte auch die Bundesregierung fördern.

‚Ertüchtigung‘ von ZivilistInnen

Nicht nur Sicherheitsakteure müssen ertüchtigt werden. Auch ParlamentarierInnen, traditionelle Autoritäten, JournalistInnen und zivilgesellschaftliche Kräfte sollten in ihren Fähigkeiten gestärkt werden, um das Verhalten von Polizei, Gendarmerie, Grenzposten und Militär überwachen und über institutionalisierte Beschwerdeverfahren öffentlich machen zu können.

Auch in semi-autoritären Kontexten ist eine solche SSR-Arbeit durchführbar: Auf den Philippinen fördert die FES mit Bantay Bayanihan ein landesweites zivilgesellschaftliches Kontrollnetzwerk von rund 150 Organisationen, das die Umsetzung und Einhaltung staatlicher Reformen des philippinischen Militärs kritisch begleitet. Aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz bindet das Militär Mitglieder des Netzwerkes in Reformdiskussionen ein.

Zur Einhaltung und Umsetzung dieser fünf Minimalanforderungen braucht es Zeit, Geld, Personal und eine ressortübergreifende Strategie. Und natürlich den politischen Willen, menschliche Sicherheit fördern zu wollen. Nur dieser Wille bereitet den Weg.

 

Konstantin Bärwaldt koordiniert die globale friedens- und sicherheitspolitische Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und vertritt die Stiftung in der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt).

Bodo Schulze ist Referent im Afrika-Referat der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und koordiniert die friedens- und sicherheitspolitische Arbeit.

Der Artikel erschien am 11. Juli 2018 zuerst auf peacelab.blog


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