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Viele afrikanische Länder koordinieren ihre Migrationspolitik effektiver und inklusiver. Was kann Europa daraus lernen?
Die gängigen Migrationsdebatten in Europa zweifeln oft an der Fähigkeit afrikanischer Staaten, Migration wirksam zu steuern. Medienbilder von afrikanischen Migrant_innen, die im Mittelmeer in enge Boote gepfercht sind, verstärken diese Wahrnehmung zusätzlich. Allerdings gibt es auf dem Kontinent auch positive Beispiele dafür, wie gute Migrationspolitik aussehen sollte, aus denen viele EU-Mitgliedstaaten wichtige Lehren ziehen können. Ein solches Beispiel ist der Nationale Koordinierungsmechanismus für Migration (NKM), der von Ländern im Osten und am Horn von Afrika eingerichtet wurde.
NKMs sind regierungsgeführte, behördenübergreifende Arbeitsgruppen, die mehrere Ministerien zusammenbringen, um die Zusammenarbeit in Migrationsfragen zu fördern und eine ganzheitliche Migrationspolitik zu erarbeiten. Die NKMs haben eine kohärente und inklusive Migrationspolitik in der Region ermöglicht, und nach und nach setzt sich dieser Ansatz auch in weiteren Staaten in anderen Teilen Afrikas durch.
Der afrikanische Kontinent ist reich an vielfältigen Migrationserfahrungen, einschließlich, aber nicht beschränkt auf den üblichen grenzüberschreitenden Handel, Arbeitsmigration, Vertreibung, saisonale Migration und Migration zu Bildungszwecken. Diese finden auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene statt, irregulär, wie auch regulär. Derzeit findet 85 Prozent der Migration innerhalb des Kontinents statt, da es die meisten afrikanischen Migrant_innen - einschließlich Geflüchteter - vorziehen, in Nachbarstaaten zu gehen.
Vor diesem Hintergrund haben die Staatsoberhäupter der Afrikanischen Union (AU) im Jahr 2006 den Afrikanischen Rahmen für Migrationspolitik (African Migration Policy Framework) beschlossen. Die aktuelle Fassung ist der Migrationspolitische Rahmen und Aktionsplan für Afrika (2018-2030). Dieses Rahmenwerk bietet umfassende und übergreifende politische Leitlinien für die AU-Mitgliedstaaten und die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (RWGs) bei ihren Bemühungen, Migration und Entwicklung zu fördern. Darüber hinaus bietet er Orientierungshilfen wie Herausforderungen im Bereich Migration auf dem Kontinent angegangen werden können. Eine dieser regionalen Wirtschaftsgemeinschaften, die "Intergovernmental Authority on Development" (IGAD) am Horn von Afrika, der acht Mitglieder angehören (Dschibuti, Eritrea, Äthiopien, Kenia, Somalia, Sudan, Südsudan und Uganda), hat zur Umsetzung des Migrationspolitischen Rahmens für Afrika die Einrichtung von sogenannten Nationalen Koordinierungsmechanismen für Migration (NKMs) beschlossen. Darüber hinaus verfügt IGAD über ein eigenes regionales migrationspolitisches Rahmenwerk, das sich am gesamtafrikanischen Rahmen orientiert und in das die NKMs eingebunden sind.
NKMs sind Foren, die den Dialog über migrationsbezogene Angelegenheiten fördern, um eine kohärente und inklusive Migrationspolitik zu realisieren. Kenias NKM, das vom Ministerium für Inneres und nationale Verwaltung geleitet wird, umfasst beispielsweise das Ministerium für Arbeit und sozialen Sicherheit, das Ministerium für Auswärtige- und Diasporaangelegenheiten, das Ministerium für Investitionen, Handel und Industrie, das Ministerium für Jugend, Sport und Kunst, das Gesundheitsministerium, das Bildungsministerium und nicht zuletzt das Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft. Auch Regierungsstellen wie das Nationale Statistikamt und die Nationale Arbeitsbehörde sind beteiligt. Das NKM hält auch Beratungssitzungen mit Wissenschaftler_innen, der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, dem Privatsektor, der Kirche und religiösen Organisationen ab, sowie mit Bezirksvertretungen auf lokaler Ebene.
Generell bemühen sich die NKMs in der IGAD-Region, die Migration durch einen gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Ansatz in die nationalen Entwicklungsprozesse einzubinden. Durch sie werden Ressourcen mobilisiert und gebündelt, sie stellen technische Unterstützung zur Verfügung und sie beteiligen sich direkt an der Umsetzung von Migrationsprogrammen, die von den einzelnen Ministerien umgesetzt werden. Auf diese Weise erfahren die verschiedenen Ministerien, was die jeweils anderen unternehmen, wodurch doppelte Arbeit vermieden und begrenzte Ressourcen eingespart werden können.
Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die Länder der Europäischen Union etwas von den IGAD-Mitgliedstaaten lernen können. In den meisten EU-Ländern sind derzeit ausschließlich die Innen- oder Heimatministerien für Migrationsfragen zuständig. Diese Ministerien arbeiten oft in Abgrenzung zu anderen und gestalten ihre Migrationspolitik, ohne andere relevante Ministerien vollständig einzubeziehen. Dies hat zur Folge, dass Migrationspolitik und -steuerung, entsprechend des Fokus des Ministeriums, in erster Linie unter Sicherheitsaspekten erfolgt. Folglich wird Migration als eine Gefahr für den Nationalstaat betrachtet und behandelt.
Dem gegenüber zeigen zahlreiche wissenschaftliche Studien und Berichte, dass Migrant_innen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer Zielländer beitragen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten ignorieren diese Realität jedoch fortwährend und investieren stattdessen immer mehr Mittel in Externalisierung von Asyl und Migrationsmanagement statt in die Öffnung regulärer Zugangswege. Die EU hat Millionen von Euro für die Auslagerung der Migrationsverwaltung in Länder außerhalb Europas bereitgestellt, um die Einwanderung nach Europa zu verhindern. Diese Strategie ist jedoch nicht sehr erfolgreich, wie die harte Gangart gegen Migrant_innen, push-backs durch afrikanische Nachbarstaaten und die Missachtung der Menschenrechte von Migrant_innen in diesen Staaten zeigen. Gleichzeitig hat die Zahl der Migrant_innen, die im Sommer 2023 Italiens Küsten erreichten, im Vergleich zu den Vorjahren ein Rekordhoch erreicht. Daher ist es für die EU unerlässlich, einen neuen Blick auf das Thema Migration zu werfen und neue Ansätze zu entwickeln, um diese effektiv zu gestalten.
Es ist eine gewaltige Aufgabe, alle Migrationsakteure in einem Forum zusammenzubringen - aber es ist nicht unmöglich. Die IGAD-Mitgliedstaaten haben bewiesen, dass dieses Vorgehen durchaus umsetzbar ist. Kenia, Uganda, Äthiopien und Dschibuti, die als Schwellenländer gelten, haben weitere Fortschritte bei der Umsetzung der NKMs gemacht und liefern wertvolle Lektionen, die als Ausgangspunkt für Länder in der EU dienen könnten.
Die NKMs bieten eine Möglichkeit, konkrete Migrationsfragen und -herausforderungen ernsthaft zu diskutieren und sich gemeinsam über ein koordiniertes Vorgehen zur Migrationssteuerung abzustimmen. Die NKMs ermöglichen zudem den Austausch von Daten über Migration zwischen den verschiedenen Ministerien und Behörden, um eine kohärente Politik zu ermöglichen. So hat das kenianische NKM beispielsweise Standardverfahren für die ministerienübergreifende Verwaltung von Migrationsdaten entwickelt und umgesetzt. Verschiedene Ministerien haben außerdem eine Absichtserklärung über die gemeinsame Nutzung, den Austausch und die Verbreitung von Daten unterzeichnet. Diese Initiativen haben den informierten Austausch zum Thema Migration innerhalb des NKM erleichtert und zu einer ganzheitlicheren Migrationspolitik geführt.
Wenn der politische Wille vorhanden ist, kann ein ähnliches Unterfangen auch innerhalb der EU zu bestmöglichen Ergebnissen führen. Die EU-Mitgliedstaaten haben bewiesen, dass sie in der Lage sind, große Fortschritte zu machen, wie z. B. bei der allgemeinen Datenschutzverordnung, und sie verfügen über die finanziellen und technischen Möglichkeiten zur Umsetzung eines solchen Forums. Angesichts des negativen Narrativs, das aktuell von rechtsextremen Politiker_innen zum Thema Migration verbreitet wird, ist es daher umso dringlicher, jetzt zu handeln!
Dieser Artikel erschien zuerst am 24.11.2023 auf Englisch bei International Politics and Society.
Felicity Okoth koordiniert das Forschungsnetzwerk International Migration and Ethnic Relations (IMER) an der Universität Bergen, Norwegen. Außerdem promoviert sie im Fachbereich für Sozialanthropologie der Universität von Bergen. Ihre Forschung befasst sich mit den situierten und translokalen Praktiken von afrikanischen Migrant_innen aus Subsahara-Afrika in Nairobi und wie diese ihre Migrationsbestrebungen (Rückkehr oder Migration in Drittländer) beeinflussen.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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