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Ein Comeback der Atomwaffen: FES-Fachgespräch beleuchtet die Rolle nuklearer Abschreckung, Chancen und Risiken des Atomwaffensperrvertrags.
Bild: Gabriela Heinrich über Fortschritte und Rückschritte von Susanne Böhme / FES
«Dies ist keine Übung» endet die Warnung, die an jenem Morgen das Fernseh- und Radioprogramm im US-Bundesstaat Hawaii unterbricht. Eine ballistische Rakete komme auf Hawaii zu, die Menschen werden dazu aufgerufen umgehend Schutz zu suchen. 38 Minuten dauert es, bis sich eine zweite Nachricht verbreitet: Fehlalarm. Was wie eine Horrorgeschichte aus den Hochzeiten des Kalten Krieges klingt, ereignet sich im Jahr 2018. Das Jahr, in dem die USA in ihrer Nukleardoktrin ankündigen aufrüsten zu wollen. Das Jahr, in dem sich die USA aus dem Iran-Deal zurückziehen und sich die Spannungen mit Nordkorea zuspitzen. Die Gefahr eines Atomkriegs ist heute laut des Bulletin for the Atomic Scientists größer als zu irgendeiner anderen Zeit seit Ende des Kalten Krieges. Doch diese Diagnose ist kein Grund in Angststarre zu verfallen, sondern ein Wink mit dem Zaunpfahl: Es ist Zeit zu Handeln. Tatsächlich mangelt es grade nicht an nuklearpolitischen Initiativen wie beispielsweise dem US-geleiteten Forum Creating the Environment for Nuclear Disarmament oder der schwedischen Stockholm Initiative. Sie bereiten jeweils eine Agenda für die im April in New York bevorstehende Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages vor. Der Vertrag feiert dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen und ist das wichtigste nukleare Rüstungskontrollinstrument. Er schreibt die Nichtverbreitung und die Abrüstung von Atomwaffen fest.
In der FES-Podiumsdiskussion «Wege in eine atomwaffenfreie Welt» am 24. Februar 2020 diskutierten, Alexander Kmentt, Experte für internationale Sicherheitspolitik und Senior Visiting Research, Rüdiger Bohn stellvertretender Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung beim Auswärtigen Amt, Miriam Messmer, Co-Direktorin des Think Tanks BASIC und Gabriela Heinrich, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion die verschiedenen Initiativen. Dabei wird schnell klar: Während sich alle Initiativen im weitesten Sinne dem Ziel der Abrüstung verschreiben, droht die Frage welcher Weg dorthin der Richtige ist, die Staatengemeinschaft zu spalten.
Vereinfacht gesagt: stehen auf der einen Seite die vom Vertrag anerkannten, zum Teil im Spannungsverhältnis miteinander stehenden Kernwaffenstaaten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien; auf der anderen Seite einige an Abrüstung interessierte Nicht-Kernwaffenstaaten. Erstere wollen momentan mit Verweis auf die angespannte geopolitische Lage wenig von der Abrüstung wissen, zu der sie sich in Artikel VI des Atomwaffensperrvertrages verpflichtet haben. Stattdessen rief die USA 2018 die Initiative Creating the Environment for Nuclear Disarmament (CEND) ins Leben. Sie beruht auf der Idee, dass zunächst die Sicherheitsumstände, die Staaten dazu bewegen Nuklearwaffen anzuhäufen, aus der Welt geschafft werden müssen. Dann könne man anfangen über Abrüstung zu sprechen. Ob und wann dieser Zustand erreicht werden kann, bleibt unklar. Frustriert von derartigen Ausweichmanövern und vor allem der ergebnislosen Überprüfungskonferenz im Jahr 2015, schloss sich eine Reihe von Nicht-Kernwaffenstaaten zusammen, um einen Vertrag über das umfassende Verbot von Kernwaffen auszuhandeln. Alexander Kmentt, österreichischer Diplomat im Forschungs-Sabbatical, erklärt auf der FES- Podiumsdiskussion, dass der 2017 angenommene Verbotsvertrag die Logik der nuklearen Abschreckung überwindet und ihr eine vollkommene Ächtung von Atomwaffen entgegensetzt. Österreich hatte den Vertrag bereits im Mai 2018 als bisher einziges EU-Mitgliedsland ratifiziert. Eine Ratifizierung durch Atomwaffen- oder NATO-Staaten gilt als unwahrscheinlich, da Atomwaffen für sie essentieller Baustein sind. Die eine Seite will also den langen Weg zur nuklearen Abrüstung, der in so kleinen Trippelschritten vor sich geht, dass die Gefahr besteht, nie am Ziel anzukommen. Die andere Seite will den großen Sprung, auf das Risiko hin, eine große Zahl an Staaten unterwegs zu verlieren.
Und wo steht Deutschland in diesem Spannungsverhältnis? Irgendwo dazwischen: Einerseits, so Rüdiger Bohn vom Auswärtigen Amt, sieht Deutschland die US-Initiative CEND kritisch, weil sie zu ausweichend daherkommt; andererseits hat Deutschland sich doch aktiv in die Arbeitsgruppe «Risikoreduzierung» der Initiative eingebracht. Einerseits betont Bohn die ethische Berechtigung des Verbotsvertrages; andererseits geht er davon aus, dass der Vertrag aus praktischer Sicht den falschen Weg einschlägt: Deutschland befürchtet, dass dem Vertrag im Vergleich zum Atomwaffensperrvertrag schwächere Verifikationsmethoden zu Verfügung stehen und dass er die einzigartige Stellung des Sperrvertrages schwächen, und damit die Staaten untereinander polarisieren könnte.
Dieselben Bedenken bewogen auch Schweden, die Niederlande und die Schweiz dazu, den Verbotsvertrag nicht zu ratifizieren, obwohl alle drei zunächst intensiv am Vorbereitungsprozess des Vertrages beteiligt gewesen waren. Stattdessen initiierte Schweden die sogenannte Stockholm Initiative als eine Art Mittelweg zwischen Aufschub der Abrüstung und sofortiger Ächtung von Atomwaffen. Auch Deutschland hat sich dem auf Ministerebene tagenden Forum aus 16 Staaten unterschiedlichster Regionen angeschlossen. Das Think Tank BASIC hat den Stepping Stones-Ansatz für die Initiative mitentwickelt. Die BASIC Co-Direktorin Marion Messmer erklärt auf der FES-Podiumsdiskussion dessen Grundstruktur: Im Zentrum steht das Bekenntnis zum Atomwaffensperrvertrag, der weiterhin das wichtigste Instrument der nuklearen Rüstungskontrolle bleiben soll. Auf seiner Basis sollen kleine, aber doch konkrete Schritte Richtung nukleare Abrüstung gegangen werden. Am 25. Februar lud Berlin zum zweiten Zusammentreffen der Initiative. Die abschließende Erklärung der 16 Außenminister stellt eine konkrete Agenda für die kommende Überprüfungskonferenz dar: Vor allem ruft die Allianz die Nuklearwaffenstaaten dazu auf, ihre Nukleararsenale abzurüsten und durch mehr Transparenz und verbesserte Verifikationsmethoden das gegenseitige Vertrauen wiederzubeleben. In diesem Sinne werden außerdem die USA und Russland dazu angehalten, den 2021 auslaufenden Vertrag New START zu verlängern. Es handelt sich dabei augenblicklich um das einzige Instrument, das den strategischen Nuklearwaffen der beiden Staaten eine Obergrenze setzt.
Die Stockhom Initiative soll einen Brückenschlag zwischen dem Lager der Nuklearstaaten und dem der Nicht-Nuklearstaaten auf der bevorstehenden Überprüfungskonferenz ermöglichen. Mit seinem besonderen Engagement in der Initiative nimmt Deutschland also die Rolle des Vermittlers ein. Doch nicht alle empfinden Deutschland in dieser Rolle als glaubwürdig. Denn im Rahmen der «nuklearen Teilhabe» der NATO sind US-Atombomben auch auf deutschem Territorium stationiert. Ein Grund dafür, dass Deutschland den Verbotsvertrag nicht ratifizieren will, ist also auch das eigene sicherheitspolitische Interesse: Deutschland müsste die nukleare Teilhabe aufgeben, weil diese im Vertrag ausdrücklich verboten ist. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich sprach sich dafür aus, die Frage der nuklearen Teilhabe in Deutschland objektiv und sorgfältig zu diskutieren. Will Deutschland glaubwürdig einen mutigen, großen und mitreißenden Schritt auf dem Weg in eine atomwaffenfreie Welt gehen, sollte es sich von der nuklearen Abschreckung als Grundlage für die eigene Sicherheitspolitik lösen.
Laura Lepsy absolviert von Januar bis April 2020 ein freiwilliges Praktikum, in Vorbereitung ihres M.A. der Internationalen Beziehungen, im Referat Globale Politik und Entwicklung und war in die Konzeption und Organisation der Veranstaltung «Wege in eine atomwaffenfreie Welt» am 24. Februar 2020 involviert.
Über die Bedeutung von Verbindlichkeit, Verantwortung und das Dogma nuklearer Abschreckung in der heutigen Zeit, spricht Alexander Kmentt.
Das Portal beschäftigt sich mit dem Veränderungsprozess, den Deutschland und Europa gegenwärtig durchlaufen. Er wird auch als Zeitenwende bezeichnet weiter