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Die Rechte migrantischer Arbeiter_innen und der Mindestlohn werden tagtäglich untergraben. Das muss sich ändern, fordert Vera Egenberger vom DGB.
Egal, aus welchen Gründen sich Menschen entscheiden, in einem anderen Land Arbeit zu suchen: Migrant_innen sind oft diejenigen, die am stärksten von prekären Arbeitsbedingungen und von Ausbeutung betroffen sind.
Wenn etwa eine Elektrikerin in der Ukraine monatlich circa 300 € verdienen kann, dann ist es mehr als attraktiv, als Leiharbeiterin auf einer deutschen Baustelle das Dreifache zu bekommen. Mitunter wird ihr erst später bewusst, dass diese 900 € in Deutschland kein fairer Lohn sind, sondern nur ein Drittel des üblichen Elektrikergehaltes - und viel zu wenig, um in Deutschland ein gutes Leben führen und die Familie zuhause unterstützen zu können.
Von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen sind in der Regel nicht die IT Spezialist_innen oder Wissenschaftler_innen betroffen, die als Hochqualifizierte nach Deutschland kommen. Diese Gruppe wird vom Arbeitsmarkt sehr wohlwollend und wertschätzend aufgenommen, da sie den technischen Fortschritt Deutschlands absichert.
Gefahrenzone Nummer 1 ist vielmehr der Bereich der Geringqualifizierten oder Fachkräfte. Lange Zeit wurden gerade auf deutschen Baustellen oder in privaten Haushalten Personen weit unter dem Einkommensniveau beschäftigt und häufig keine Sozialleistungen für sie abgeführt. Erst die Einführung des Mindestlohns hat die Arbeitsbedingungen verbessert.
Allerdings werden Mindestlohn und angemessene Arbeitsbedingungen in der Saisonarbeit vielfach ausgehebelt. Jährlich kommen Tausende von Arbeiter_innen nach Deutschland, um Spargel, Äpfeln, Beeren, Trauben und alle andere Agrarprodukte zu ernten, die auf deutschen Feldern gedeihen. Zwar haben sie zumeist kurzzeitige Arbeitsverträge, bei denen EU-Rahmenbedingungen Arbeits- und Ruhezeiten, Standards der Unterbringung und das Lohnniveau festlegen. In der Praxis werden diese jedoch häufig ignoriert. Saisonarbeiter_innen arbeiten mitunter weit mehr Stunden täglich als vorgesehen, werden zu unbezahlten Überstunden verpflichtet, müssen in unzulänglichen Unterkünften leben und diese auch noch für viel Geld anmieten. Dadurch wird vielerorts der gesetzlich bestimmte Mindestlohn unterschritten und geltendes Recht ausgehöhlt.
Ein besonderer Problemfall ist die Entsendungen von Arbeitskräften durch Firmen in andere EU-Länder. Beispielsweise auf deutschen Baustellen oder in der Paketzustellung arbeiten häufig Personen, die bei mitunter erschreckenden Arbeitsbedingungen sehr wenig verdienen. Sind die Arbeitskräfte nicht zufrieden oder wollen sich gar gegen schlechte Bedingungen zur Wehr setzen, werden sie in der Regel schnell ausgetauscht, wie Carmen Molitor in der FES Studie "Geschäftsmodell Ausbeutung - Wenn europäische Arbeitnehmer_innen in Deutschland um ihre Rechte betrogen werden" ausführt.
Das Problem liegt auch in der auf EU-Ebene verankerten Möglichkeit, Entsendungen vorzunehmen. Die entsprechende Richtlinie 96/71/EG wurde im Jahr 1996 verabschiedet. Sie erlaubt es Firmen, die beispielsweise in Slowenien ihren Sitz haben, Arbeitsaufträge in andern EU-Ländern ausführen. Dabei dürfen sie Arbeitsverträge auf der Grundlage ihres heimischen Arbeitsrechts und der ortsüblichen Bezahlung schließen, die weit unter dem Durchschnittsverdienst im Zielland liegen kann.
Darüber hinaus erfuhren Gewerkschaften in den vergangenen Jahren immer wieder von Fällen, in denen die Entsendefirmen zwar ihre Bezahlung von den Auftraggeber_innen einstrichen, die Arbeitskräfte jedoch leer ausgingen oder für ihr Gehalt vor Gericht ziehen mussten.
In der Transport-Branche wurden diese Schieflagen zuletzt besonders deutlich: Fast nirgendwo sonst waren die Verdienste so offensichtlich unterschiedlich wie unter den Personen, die auf deutschen Autobahnen unterwegs waren. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung hat zwar die Aufgabe, neben unangemeldeter Arbeit auch Arbeitsbedingungen zu prüfen. Für nichtdeutsche Subunternehmen im Bereich Logistik sind sie jedoch nicht zuständig. Viele ausbeuterische Arbeitsverhältnisse bleiben daher unentdeckt und somit unsanktioniert.
Erst zum 30. Juli 2018 wurde die EU-Entsenderichtlinie geändert, reale Verbesserungen werden aber noch auf sich warten lassen. Gewerkschaften hatten gemeinsam versucht, die Forderung ‘Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‘ in der Richtlinie zu platzieren, was wegen starker Interessen osteuropäischer Regierungen jedoch nur bedingt gelang. Zudem verabredeten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eine zweijährige Sperrfrist. Erst danach können konkrete, auf der Richtlinie basierende Veränderungen umgesetzt werden, um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse im Rahmen von Entsendungen auch real einzudämmen.
Ausbeutung läuft gewerkschaftlichen Anforderungen an Gute Arbeit zuwider - ganz gleich, ob von ihr studentische Fahrradkuriere, Saisonarbeiter_innen oder nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer_innen betroffen sind. Deutsche Gewerkschaften haben bereits in den späten 1960er Jahren dafür gekämpft, dass nicht nur den deutschen Arbeitskräften, sondern allen Beschäftigten Arbeitnehmerechte zustehen. Dies muss bis heute verteidigt werden - mit Blick auf EU-Bürger_innen vor allem aus Osteuropa etwa durch das Projekt "Faire Mobilität". Acht Beratungsstellen in Deutschland bieten Informationsmaterial und -veranstaltungen, muttersprachliche Beratung und Unterstützung von Arbeiternehmer_innen an, die aufgrund der EU-Freizügigkeit in Deutschland arbeiten und mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen konfrontiert sind. Schwerpunkte liegen auf den Bereichen Baubranche, Fleischindustrie, Pflege sowie Transport und Logistik. Ein ähnliches Beratungsangebot speziell für Geflüchtete in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen wurde im Jahr 2016 vom DGB mit initiiert.
Dass Deutschland ein vielfältiges Einwanderungsland ist, das akzeptieren zunehmend auch diejenigen, die vor der Realität lange die Augen verschlossen haben. Was jedoch bis heute fehlt, ist eine Einwanderungspolitik, die auf soliden gesetzlichen Grundlagen und für den Schutz von Menschen- und Arbeitnehmer_innenrechten steht. Bislang hat die Bundesrepublik lieber Klein- und Kleinstverordnungen aus EU-Richtlinien umgesetzt und damit zum Beispiel um die 60 Aufenthaltstitel geschaffen, die kaum noch zu überblicken sind.
Diese Kleinteiligkeit hilft heute nicht mehr weiter: Deutschland braucht Migrant_innen in Zeiten eines sichtbaren demographischen Gefälles, starker Konjunktur, hohen Bedarfen an Fachkräften und stark rückläufigen Zahlen von Geflüchteten, die zukünftige Arbeitskräfte sein könnten. Deshalb brauchen wir Visionen dafür, wie wir Menschen in eine Gesellschaft einbinden wollen, die auch für Arbeitnehmerrechte und faire Arbeitsbedingungen steht und keine Diskriminierung von Zugewanderten zulässt.
Autorin:
Vera Egenberger, Gewerkschaftssekretärin beim DGB Bundesvorstand der Abteilung Migration und Antirassismuspolitik
Tel. 030 240 60 507
vera.egenberger(at)dgb.de
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