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Im Wahlkampf in Ungarn dominierte nur ein Thema – die ablehnende Haltung zu Migration. Warum konnte Viktor Orbán so erfolgreich Ängste schüren?
Als am 8. April die ersten Hochrechnungen den Wahlsieg von Viktor Orbán und seinem Parteibündnis Fidesz-KDNP verkünden, liegt das vor allem an der erfolgreichen Regierungskampagne gegen Migration.
In keinem anderen Land Europas wurde seit Beginn der sogenannten "Flüchtlingskrise" 2015 so eindringlich vor den angeblichen Gefahren durch Migrant_innen gewarnt. Nirgendwo sonst wurden „Überfremdungsängste“ so intensiv geschürt und der vermeintliche Verlust der eigenen Kultur durch Einwanderung so offensiv behauptet.
„Die großen Nationen Westeuropas sind zu Einwanderungszonen geworden“, verkündete der alte und neue Ministerpräsident Viktor Orbán zur Lage der Nation am 18. Februar 2018, „Tag für Tag wandeln sich ihre kulturellen Grundlagen. Die in einer christlichen Kultur aufgewachsene Bevölkerung schrumpft und die großen Städte werden islamisiert.“
Begleitet wird dies von einer Informationskampagne, die landesweit auf Plakaten vor „Masseneinwanderung“ warnt. In den letzten Wochen vor der Wahl genügte gar ein großes Stop-Symbol vor dem Hintergrund einer Menschenmenge.
Die Botschaften wirken auch deswegen, weil es in der ungarischen Mehrheitsgesellschaft einen breiten Konsens gibt, dass die Anti-Migrationspolitik grundsätzlich richtig sei – bis in die Wählerschaft der linken Parteien hinein.
So unterstützten über 80 Prozent der Ungar_innen den Zaun an der Außengrenze zu Serbien. Die Verteilung von Asylbeweber_innen innerhalb der EU mittels einer verpflichtenden Quote wird als Eingriff in die nationale Selbstbestimmung abgelehnt.
Dass Ungarn selbst nur wenig Migrationserfahrung besitzt und aktuell fast keine Migrant_innen mehr ins Land kommen, ist dabei nebensächlich. Vielmehr herrscht im Land ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Fremden, was sich besonders bei der Haltung gegenüber Migrant_innen, aber auch anderen gesellschaftlichen Minderheiten wie den Roma, zeigt.
In einer 20 EU-Länder umfassenden Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung analysierten die Autor_innen Vera Messing und Bence Ságvári von der Ungarischen Akademie der Wissenschaft, was hinter dieser Furcht steht. Auf Basis der Daten des European Social Survey erstellten sie einen Composite Fear Index, der Angstfaktoren benennt, welche die Einstellung zu Migration beeinflussen.
Schon vor Beginn der sogenannten „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 weist Ungarn in den fünf Komponenten Arbeitsmarktbedrohung, Wohlfahrtsbedrohung, Kriminalitätsbedrohung, kulturelle Bedrohung und religiöse Bedrohung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern die größten Ängste auf.
Menschen in allen europäischen Ländern der Studie sorgen sich, dass Einwanderung dazu führen könnte, dass die Kriminalität ansteigt. Zunehmende kulturelle Vielfalt wird dagegen – in den meisten Ländern – als durchaus bereichernd angesehen. Gleichzeitig wird Migration in ärmeren EU-Ländern als existenzielle Bedrohung (des Arbeitsmarktes oder des Wohlfahrtsstaates) gesehen. Die Menschen in Ungarn und der Tschechischen Republik scheinen in jeder Hinsicht Angst vor Migration zu haben, während Schweden, Norwegen, Deutschland und auch Estland Migration stärker als bereichernd ansehen.
Was sind die Gründe dafür? Generell zeigt die Studie, dass Menschen Migration am wenigsten fürchten, wenn sie in Ländern mit einem hohen Migrant_innenenanteil, einem hohen allgemeinen und institutionellen Vertrauen, geringer Korruption, einer stabilen, leistungsfähigen Wirtschaft und einem hohen Maß an sozialem Zusammenhalt und Integration leben. Gerade im urbanen Raum mit vielen Migrant_innen herrscht am wenigsten Angst vor Migration.
Interessant ist auch, was keinen Zusammenhang mit der Einstellung zu Migration hat. So spielen Einkommensunterschiede bei der Ablehnung von Migrant_innen nur eine untergeordnete Rolle. Außerdem scheint das Alter einen geringeren Einfluss zu haben, als erwartet. Und interessanterweise sagen weiche Eigenschaften wie Zufriedenheit mit dem Leben wenig darüber aus, ob Menschen sich vor Einwanderung fürchten oder nicht.
Insgesamt zeigt die Studie: Ablehnung von Migration hat wenig mit Migrantinnen und Migranten selbst zu tun. Stattdessen haben Menschen in den Ländern größere Ängste, in denen das grundlegende Gewebe der Gesellschaft beschädigt ist, wo Menschen einander nicht vertrauen oder das Vertrauen in staatliche Institutionen, den sozialen Zusammenhalt und Solidarität schwach ist. Einwanderungs- und Fremdenfeindlichkeit reflektieren ein mangelndes Sicherheitsgefühl der Menschen. Sie sind ein Symptom tief verwurzelter Probleme der Gesellschaft, schlussfolgern die Autoren.
In Ungarn konnte Orbán diese Probleme für sein politisches Programm erfolgreich nutzen. Nicht nur erreichte er eine Zwei-Drittel-Mehrheit, auch fiel die Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent für ungarische Verhältnisse besonders hoch aus. Die Regierungsparteien erklärten die Verteidigung gegen die massenhafte Migration zur Schicksalsfrage Ungarns und zur Souveränitätsfrage der europäischen Staaten – mit weitreichenden Folgen für die zukünftige Zusammenarbeit in der Europäischen Union.
Kontakt in der FES:Timo Rinke, Projektleiter Flucht, Migration, Integration in Europa
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