Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Was EU-Millionen in Libyen wirklich bewirken: Folterlager, Hunger und die Legitimierung autoritärer Regime | Ein Beitrag zum Tag der Menschenrechte
Dieser Beitrag von Linn Jansen ist im Rahmen der Internationalen Konferenz „Migration progressiv ausbuchstabieren“ der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden. Im September 2024 haben wir uns gemeinsam mit internationalen Vertreter_innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Wissenschaft intensiv mit den drängenden Fragen und Herausforderungen menschlicher Mobilität beschäftigt und progressive Antworten darauf formuliert. Lesen Sie hier alle Beiträge dazu!
Libyen als Partner der EU in Sachen „Migrationsbekämpfung“ war erst Anfang des Jahres Thema eines Spiegel-Artikels. Interne Dokumente legten offen, dass Frontex der libyschen Küstenwache regelmäßig die Koordinaten von Schlepperbooten im Mittelmeer mitteilte, was zur „Rettung“ unzähliger Flüchtender führte. Was daran so kontrovers ist? Das Wort „Rettung“ steht nicht umsonst in Anführungszeichen und was die Menschen erwartet, wenn sie in die Fänge der „Libyan Coast Guard” geraten, hat mit ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben nichts mehr zu tun.
Libyen – Ein Land, mit mehreren Weltkulturerbe-Städten. Dünen der Sahara-Wüste. Majestätischen Säulen der gut erhaltenen Ruinen von Leptis Magna. Libyen ist ein Land der Schätze. Und ein Land der politischen Unruhen. Ein Land, in dem laut UN Stand 2024 etwa 823.000 Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. In dem 125.000 Binnenvertriebene leben. In dem „Europa“ ein für viele unerreichbares Ziel ist und bleibt. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die libysche Küstenwache. Denn Libyen ist seit 2017 und der Malta Deklaration Europas tödlicher Türsteher und Thema auf der Internationalen Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung: Migration progressiv ausbuchstabieren im September 2024.
Die Migrationspolitik der Europäischen Union setzt auf Abschottung und Rückführung und das nicht erst seit dem Migrations- und Asyl-Pakt 2024. Um Geflüchtetenströme zu begrenzen, werden Abkommen mit Drittstaaten geschlossen, die sich darum kümmern sollen, dass Schutzsuchende europäisches Festland nicht betreten. Als Gegenleistung bekommen sie Finanzierung von der EU. Was in den Mitgliedstaaten zum Teil als sehr vernünftiger Ansatz gesehen wird, bedeutet für Hunderttausende von Menschen, die zur Flucht gezwungen werden, das Ende verzweifelter Hoffnungen auf ein besseres Leben. Denn das Geld sorgt nicht immer dafür, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und weniger fliehen möchten oder müssen. Stattdessen stützt es systematische Gewalt und Misshandlung und legitimiert menschenrechtswidrige Praktiken, durch die Menschen an ihrer Flucht gehindert werden. So auch besonders in Libyen.
Libyen nimmt eine ganz zentrale Rolle in der Migrationspolitik der Europäischen Union ein. Zwischen 2015 und 2022 zahlte die EU Libyen rund 700 Millionen Euro aus verschiedenen Töpfen. Ein nicht unerheblicher Teil dieses Geldes fließt in die libysche Küstenwache. Ein Player in der EU-Migrationspolitik der umstrittener kaum sein könnte. Seenotrettung auf der einen Seite, Menschenfänger auf der anderen. Denn wer von ihnen aus dem Mittelmeer gefischt wird, hat es nicht etwa geschafft der Lebensmittelknappheit und Arbeitslosigkeit zu entkommen, sondern wird Opfer illegaler Rückführung in sogenannten Auffanglagern.
Die menschenverachtenden Umstände in den Lagern und auf der Reise dorthin sind kein Geheimnis. Die Tagesschau nannte sie 2022 „Folterlager“. Die UN spricht seit Jahren von unzähligen Menschenrechtsverletzungen, Menschenhandel, Zwangsarbeit, Hunger. Ungestraft durch staatliche Behörden, weil diese sich mit nicht-staatlichen Akteuren gegenseitig die Klinke in die Hand geben. Und finanziert sind sie nicht zuletzt aus EU-Geldern.
Die EU investiert Milliarden in Grenzschutz und Sicherheitsmaßnahmen, statt in den Schutz von Geflüchteten oder tatsächlich nachhaltige Lösungen. Die Verantwortungsabschiebung sorgt dafür, dass Drittstaaten als politische Partner legitimiert werden, ohne dass massive Menschenrechtsverletzungen, die sogar in direktem Zusammenhang mit EU-Abkommen stehen, adressiert werden. Hinzukommt, dass das Ziel, Migration durch solche Abkommen zu begrenzen, nicht nachhaltig erreichbar ist. Schutzsuchende werden auf gefährlichere Fluchtrouten gezwungen, setzen sich menschenunwürdigen Behandlungen aus und viele von ihnen bezahlen mit dem Leben. Aber aufgeben tun sie nicht, wie die Zahlen beweisen. Libyen ist und bleibt ein attraktives Land für Geflüchtete. Massengräber, Folter und Hungersnöte schrecken sie nicht ab, weil nicht zu fliehen keine Alternative ist. Anstatt dass die EU effektiv Armut, Krieg und Verfolgung bekämpft, priorisiert sie das Abschotten von vergleichsweise sicheren Fluchtrouten. Sie macht sich aktiv mitschuldig, wenn autoritäre Regime mit ihrem – unserem – Geld Menschenrechtsverletzungen begehen. Und wie man es dreht und wendet, sollte eine Friedensnobelpreisträgerin immer erkennen, dass der Schutz von Menschenrechten nie hinter Grenzschutz zurückstehen darf.
Was also stattdessen tun? Die EU muss anfangen finanzielle Mittel zur Förderung von Integration und legalen Fluchtwegen einzusetzen. Das sorgt einerseits für bessere Lebens- und Fluchtbedingungen der Schutzsuchenden und andererseits mindert es die Herausforderungen der Erstaufnahmeländer. Die Förderung für Drittstaaten muss an Bedingungen geknüpft sein, die die Einhaltung von Menschenrechten an erste Stelle setzen. Kurzfristige sicherheitspolitische Transaktionen oder Symbolpolitik müssen langjährigen Partnerschaften auf Augenhöhe weichen. Die Bekämpfung von Fluchtursachen muss weiterhin aktiv und transparent gefördert werden, indem in Bildung, Frieden und wirtschaftliche Entwicklung in Herkunftsländern investiert wird. Anderen Ansätzen fehlt es letztendlich immer an Nachhaltigkeit.
Die EU steht vor einer Grundsatzentscheidung: Sollen autoritäre Regime weiterhin in ihren menschenrechtsverletzenden Praktiken als politische Partner legitimiert und unterstützt werden oder schlagen wir endlich den Weg ein, für den die EU 2012 den Friedensnobelpreis gewann: Menschenrechtsbasierte Politik, humanitäre Lösungen und einen Kurswechsel, der die Menschenfänger im Mittelmeer ein für alle Mal in die Vergangenheit verbannt.
Linn Jansen hat Internationale Beziehungen und Sozialwissenschaften in Erfurt studiert und ist beim Deutschen Institut für Urbanistik im Team Infrastruktur, Digitalisierung und Sicherheit tätig
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
Die harten Folgen der Grenzschließung zwischen Benin und Niger. Ein Gastbeitrag von Abou-Bakari Imorou anlässlich des Internationalen Tages der…
Kann die Reform echte Solidarität schaffen, oder ist sie nur ein Flickenteppich aus politischen Kompromissen? Eine Studienreihe der…
Die Auslagerung von Asylverfahren folgt der gleichen gescheiterten Abschreckungslogik – ein Umdenken ist nötig, so Felix Braunsdorf.
Abschottung und Abschreckung – darum kreist die Debatte zur EU-Asylreform. Für ein zukunftsfähiges Europa sind andere Perspektiven notwendig.
Im Vorfeld des Jubiläums plant die FES Genf bis zum Jahrestag am 10. Dezember mehrere Artikel zu den Themenschwerpunkten der UN Human Rights 75…
Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Menschen sind erst dann "sicher", wenn sie ihre Potenziale frei entfalten können. Frieden und menschliche Sicherheit sind die Konzepte, auf denen unser friedens- und sicherheitspolitisches Engagement beruht. weiter
Das FES-Regionalbüro für Kooperation und Frieden in Europa (FES ROCPE) in Wien widmet sich den Herausforderungen für Frieden und Sicherheit in Europa seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor einem Vierteljahrhundert, die es zu bewältigen gilt. weiter