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Es ist höchste Zeit zu handeln und unsere digitale Zukunft in Asien neu zu gestalten.
Nach den Worten des UN-Generalsekretärs António Guterres geht es bei der digitalen Kluft zwischen den Geschlechtern „um Leben und Tod“. Um die Verbreitung des Corona Virus zu verhindern, werden wichtige Informationsangebote, insbesondere zu Gesundheitsthemen, der Schulunterricht und wirtschaftliche Aktivitäten vermehrt in den Onlinebereich verlegt. Während einige Internetdienste davon massiv profitieren und einen Nutzungsanstieg zwischen 40 und 100 Prozent seit Beginn der Pandemie verzeichnen, bleibt vielen Menschen der Zugang zur Online-Welt weiterhin verwehrt.
Die digitale Kluft wird somit zum neuen Gesicht von Ungleichheit, Diskriminierung und sozioökonomischer Marginalisierung in unserer post-COVID Gesellschaft. Dabei verläuft die Kluft nicht gleichmäßig zwischen den Geschlechtern, vielmehr spiegelt sie auch den systematischen Ausschluss von Frauen in ihrem Zugang zu wichtiger Infrastruktur wider. Asien ist bei diesem Trend leider keine Ausnahme.
In Südasien lag 2019 der Gender Gap im Bereich der mobilen Internetnutzung bei 51 Prozent. Das heißt Frauen mit Internetzugang nutzten das mobile Internet nur halb so viel wie die männlichen Nutzer. Dies führte dazu, dass Frauen und Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität weniger Zugang zu lebensrettenden Informationen und Dienstleistungen erhielten. In Bangladesch und Pakistan zum Beispiel erhielten 15 Prozent weniger Frauen als Männer Informationen, die für das Überleben in der COVID-19-Pandemie notwendig waren. Die Kluft zwischen männlichen und weiblichen Nutzern des mobilen Internets in diesen beiden Ländern liegt bei 52 bzw. 49 Prozent.
Viele Frauen und Mädchen waren während der von den Regierungen verordneten Lockdowns zu Hause eingesperrt und hatten bei häuslicher Gewalt kaum Zugang zu Unterstützung oder Hilfe, da ihre Internet- und Mobiltelefonnutzung überwacht wurde. In Indien stellte die Nationale Kommission für Frauen einen zweifachen Anstieg der Meldungen von Gewalt gegen Frauen fest, doch die Frauenrechtsorganisation Jagori beobachtete, dass die Zahl der Anrufe bei ihren Hotlines für weibliche Gewaltopfer trotz Anstieg der Fälle während des landesweiten Lockdowns im April 2020 um die Hälfte sank.
In Ostasien betrug der regionale Gender Gap bei der mobilen Internetnutzung 2019 lediglich 3 Prozent. Doch auch hier tragen Sexismus und Frauenfeindlichkeit im Internet zur Ausgrenzung von Frauen und Menschen mit nicht-binären Geschlechteridentitäten bei. Durch die Pandemie verschlimmert sich auch die Gewalt im Netz: Auf den Philippinen verzeichnete die Regierung zwischen dem 1. März und dem 24. Mai 2020 knapp 280.000 Fälle sexuellen Missbrauchs gegen Mädchen im Internet – fast vier Mal so viele wie 2019.
In einigen Ländern haben Regierungen zur Bekämpfung des Virus eigene Beratungsangebote in den sozialen Medien entwickelt, ohne jedoch darauf zu achten, dass diese Beratungsdienste sexistische Inhalte verbreiten. So gab das malaysische Familienministerium im März 2020 eine Reihe von illustrierten Beratungsmaterialien für Frauen heraus, die sexistische Empfehlungen beinhalteten wie z.B. vorzeigbar zu sein, Lippenstift zu tragen und dem Ehemann nicht auf die Nerven zu fallen. Das malaysische Ministerium für Frauen, Familie und Gemeindeentwicklung bat um Entschuldigung, nachdem die Plakate zu einem Aufschrei in der Öffentlichkeit geführt hatten.
Die Pandemie mag einen Boom im digitalen Handels- und Dienstleistungssektor in Asien ausgelöst haben, dies führt jedoch nicht zu neuen neuen wirtschaftlichen Chancen für Frauen in der Region.
Ein Beispiel ist der Online-Einzelhandel: In Südostasien wuchs dieser Sektor ohnehin rasant (von 5,5 Milliarden Dollar 2015 auf 38 Milliarden Dollar im Jahr 2019). Die Pandemie sorgte für einen zusätzlichen Aufschwung. Die singapurische E-Commerce-Plattform Shopee beispielsweise verzeichnete einen Anstieg ihrer Kundenzahlen von 82% zwischen dem ersten und zweiten Quartal 2020; die Umsätze von Alibaba stiegen um spektakuläre 34% im zweiten Quartal und übertrafen damit bei weitem sämtliche Erwartungen - trotz der Einschränkungen aufgrund des Virus mit ihren negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt. Dieser Wachstumsschub erreicht jedoch nicht die Frauen. Laut Beobachtungen der Asiatischen Entwicklungsbank sind die Mehrzahl der von Frauen geführten Unternehmen, besonders in Entwicklungsländern, kleine Betriebe mit geringen Produktionsmengen, begrenztem Wachstumspotenzial und geringen Preisspannen. Sie haben weiterhin kaum Kapazität, Kosten für Bestand und Kundenbetreuung zu tragen. Dadurch entsteht für sie ein deutlicher Nachteil, wenn sie Online-Plattformen für den Handel nutzen, welche über unerbittliche Provisionssätze und harte Nutzungsbedingungen verfügen. Eine kürzlich durchgeführte Studie über Online-Verkäufer auf Alibaba ergab, dass von Frauen geführte Unternehmen zwar die Hälfte der Händler auf Alibaba ausmachen, ihre Durchschnittsumsätze aber geringer sind als die der männlichen Händler.
Frauendominierte Dienstleistungssektoren verschieben sich ebenfalls in den Online-Bereich. In Indonesien und Singapur verzeichnen Online-Gesundheitsplattformen ein starkes Wachstum, in Indien haben Bildungsplattformen wie BYJU’S während der Pandemie ihren Marktanteil rapide vergrößert. Wo die Arbeit im Gesundheits- und Bildungssektor bislang durch Beschäftigungsverträge geregelt war und ein Mindestmaß an Schutz bestand, läuft sie nun Gefahr noch prekärer zu werden. Wir beobachten die nächste Phase der ‚Uberisierung‘, die die gesamte Wirtschaft erfasst hat. Eine große Zahl yon Frauen, die im Dienstleistungssektor tätig sind, wird in schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen gefangen sein. Die ‚Gig-Economy’ wird außerdem zu Rückschritten bei hart erkämpften Rechten wie gleicher Lohn oder Gleichberechtigung von Frauen führen und viele zurück in den häuslichen Bereich drängen. Flexi-Jobs, die es Frauen ermöglichen, die doppelte Belastung von Haushalt und bezahlter Arbeit auf sich zu nehmen, könnten zur neuen Normalität werden. Es wird auch deutlich, dass Frauen von gut bezahlten Jobs im digital umstrukturierten Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. In Asien, das zahlenmäßig mit einem Anteil von 27 Prozent in den Sektoren Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurswesen und Mathematik (im Englischen unter der Abkürzung STEM zusammengefasst) vertreten ist, klingt die Vorstellung von Frauen, die das Internet weiter entwickeln und Datenalgorithmen erstellen, noch wie ein ferner Traum.
Politische Entscheidungsträger_innen in der Region Asien-Pazifik müssen Frauen helfen, anschlussfähiger für die digitale Zukunft zu werden und gleichzeitig den Sexismus im Internet wirksam bekämpfen. Das allein wird jedoch nicht genügen. Noch mehr Fortschritte sind notwendig, um eine neue digitale Wirtschaft zu gestalten, die faire Arbeit für alle bietet. Flexible Gig-Jobs dürfen nicht automatisch prekär sein, Arbeitnehmer_innen unsichtbar werden lassen und sich über Arbeitsrechte und die einschlägige Gesetzgebung hinwegsetzen. Politische Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Chancen von Frauen in der Informationstechnologie sowie Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen in den STEM-Sektoren sind unumgänglich. Eine Zusammenarbeit zwischen regionalen Verbänden, Regierungen und Organisationen der Zivilgesellschaft müssen sich darauf konzentrieren, alternative Modelle für E-Commerce und Beschäftigung in der Tradition genossenschaftlicher und sozialer solidarischer Unternehmen zu schaffen. Eine gleichberechtigte digitale Zukunft ist unvorstellbar, wenn das derzeitige digitale Paradigma mit all seinen strukturellen Ungerechtigkeiten fortbesteht. Deshalb ist es an der Zeit sie neu zu gestalten!
Ankita Aggarwal ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei IT for Change. Ihre Arbeit umfasst akademische, politische und Aktionsforschung in den Bereichen Gender und digitale Gerechtigkeit, wo sie feministische Rahmenbedingungen für die Informationsgesellschaft untersucht.
Dieser Artikel erschien am 23.11.2020 in englische Sprache zuerst auf fes-asia.org.
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