Chennais Streben nach einer grünen und inklusiven Zukunft
Die schnelle Urbanisierung in Chennai macht die Stadt anfällig für die Auswirkungen von ungeplantem Wachstum und Klimawandel. Ein Fotoessay mit Bildern von Shruti Kulkarni.
In Chennai, Hauptstadt von Tamil Nadu und eine von Indiens sechs Megastädten, leben rund 10.9 Millionen Menschen. Berichten zufolge ist das Ziel der Lokalregierung, die Wirtschaftsleistung von Tamil Nadu bis 2030 auf 1 Billion Dollar zu steigern. In Folge dieses wirtschaftlichen und allgemeinen Wachstums der Stadt steht Chennai nun vor großen Herausforderungen bei Landmanagement und Wasserwirtschaft, Wohn- und Landrechten und Mobilität. Die anfälligsten Gruppen in der Stadt spüren bereits die Folgen dieser Probleme, und es wurde eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um nicht nur die Stadt zu verbessern, sondern auch die Lebensqualität ihrer Einwohnerinnen und Einwohner. Diese Fotoreportage stellt einige der Herausforderungen und Lösungen vor.
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Chennais ausgedehntes Straßennetz verbindet die Außenbezirke mit dem Stadtzentrum. |
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
Ökologische Sanierung, Verdrängung und Umsiedlung
Über 30 Prozent der Bevölkerung von Chennai lebt in informellen Ansiedlungen an den Flüssen Adyar und Cooum und am Buckingham Canal. In den letzten Jahrzehnten haben Siedlungs- und Gewerbeabfälle diese in dreckige Abwasserkanäle verwandelt. Um der Stadt ihre Flüsse zurückzugeben, wurde 2006 mit ihrer ökologischen Sanierung begonnen. Der Adyar erholt sich bereits, und es gibt Anzeichen dafür, dass sich Flora und Fauna verbessert haben. Im Zuge der Sanierung wurden die Slums entlang der Wasserläufe von Chennai geräumt und die Menschen in mehrstöckige Mietshäuser in Siedlungen wie Kannagi Nagar und Semmancheri am Stadtrand von Chennai umgesiedelt.
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„In Kannagi Nagar zu wohnen ist, als würdest du auf einer Insel leben. Wir sind allen egal, niemand kümmert sich um uns,“ erzählt Kowsalya, Bewohnerin einer der ersten Umsiedlungskolonien.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
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Shamala hat ihr gesamtes bisheriges Leben in Lock Nagar am Buckingham Canal verbracht. Entlang der Wasserläufe von Chennai leben viele Menschen in Angst vor einer Räumung ihrer Siedlungen |
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
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Rosy betreibt einen kleinen Teeladen am Cooum bei Egmore. Sie lebt hier seit vielen Jahrzehnten und hat Angst, im Zuge der Flusssanierung umgesiedelt zu werden.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
Viele der Mietskasernen werden schlecht instand gehalten, und unzureichende Basisdienstleistungen wie Wasser- und Stromversorgung, Schulen und Krankenhäuser haben die Not der Menschen hier verschlimmert. Außerdem haben viele Bewohnerinnen und Bewohner durch die Umsiedlung ihre Existenzgrundlage verloren. Lange Pendelstrecken zum Arbeitsplatz haben viele dazu gezwungen, ihren Job aufzugeben. Kannagi Nagar wird manchmal als Ghetto der Kriminellen bezeichnet, aber die Menschen, die in diesen endlosen Reihen von 23.700 Häusern leben, hoffen lediglich auf ein Leben in Würde.
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Transfrauen aus Ernavur kämpften für ihre Wohnrechte und gegen Diskriminierung und Stereotypisierung. Während des COVID-19-Lockdowns betrieben sie eine Gemeinschaftsküche und versorgten die Bedürftigen mit kostenlosem Essen.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
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Die andere Seite von Kannagi Nagar - von einer Gruppe aus Künstlern aus aller Welt und auf Initiative der St+art India Foundation in einen öffentlichen Kunstbezirk verwandelt. |
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
Landrechte und Recht auf Lebensunterhalt
Fischergemeinden entlang der 14 Küstendörfer von Chennai sind mit den schwerwiegenden Folgen der schnellen Urbanisierung und des Klimawandels konfrontiert. Einerseits sind der Anstieg des Meeresspiegels und die Küstenerosion die größten natürlichen Gefahren, andererseits bedrohen Erschließungsprojekte die Lebensgrundlage der Fischerinnen und Fischer. 2010 schlug die Regierung den Bau einer Hochautobahn vor, die mitten durch die zu diesen Dörfern gehörende Gezeitenzone führen sollte. Im Zuge des Baus dieser Hochstraße sollte eine Umnutzung der Gegend erfolgen. Damit würden die Fischergemeinden verdrängt werden, viele Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren, und die Meeresumwelt würde ernsthaft bedroht. Einige Strände in diesem Küstenbereich sind Brutplätze der stark gefährdeten Oliv-Bastardschildkröte. Saravanan, Fischer und Koordinator des Coastal Resource Center (CRC), stellte Nachforschungen über das Projekt an und erfuhr, dass das von ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen genutzte Land als Ödland eingestuft und somit für Erschließungsprojekte freigegeben war. Das Projekt wurde gestoppt, als die Fischergemeinden protestierten.
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Durch den Raubbau an Ressourcen und extreme Klimaereignisse werden Fischerinnen, die vom Verkauf ihres Fangs leben, härter von schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen getroffen und oft zur Migration gezwungen, um neue Arbeit zu finden.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
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Fischergemeinschaften werden von zwei Seiten bedroht: auf der einen Seite durch den Anstieg des Meeresspiegels, auf der anderen durch die Ausbreitung der Städte in Richtung ihrer Küstendörfer. „Da ist immer die Angst vor extremem Wetter am Meer, aber wir haben nie etwas anderes gemacht als zu fischen,“ sagt der Fischer N. Ravi.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
„Das Wachstum der Stadt ist nur dann nachhaltig, wenn sich gemeinsam mit ihr auch die umliegenden Küstendörfer entwickeln,” sagt Saravanan vom CRC. Er erstellt eine Karte der Küstendörfer, um die Fischergemeinschaften vor Verdrängung und der Beanspruchung ihres Landes zu schützen.
Saravanan hat Fischerdörfer kartiert, um die traditionellen Landrechte der Fischerinnen und Fischer zu belegen. „Wir wissen schon immer, dass das Gemeindeland den Fischerdörfern gehört. Es gab keine Dokumente, die das bewiesen, deshalb kartieren wir nun unsere Dörfer, um unser Gemeindeland zu schützen,“ sagt er. Das Coastal Resource Center hat bisher über 150 Dörfer in Tamil Nadu kartiert und führt auch Schulungen zu diesem Thema in anderen Bundesstaaten durch.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
Fischerinnen und Fischer aus Pulicat (Pazhaverkadu) starteten eine Kampagne gegen die Ausweitung des vom Konzern Adani betriebenen Hafens, die ihre Existenzgrundlage und die Feuchtgebiete von Ennore-Pulicat bedroht.
Ein resilientes Chennai und der Weg in die Zukunft
Gemäß Quellen bei der Entwicklungsbehörde für den Großraum Chennai werden mehrere Vorhaben für nachhaltiges Wachstum des dritten Masterplans für 2026 vorweggenommen. Ihr Schwerpunkt liegt auf erschwinglichem Wohnraum für die Armen und einen blau-grünen Ansatz für Landnutzung und den Schutz von Gewässern. Es gab Konsultationen mit Vertreter_innen der Transgender-Community, Menschen mit Behinderungen und Mitgliedern der Fischergemeinden, um ihre jeweiligen Ansprüche zu verstehen. Durch den Strategieplan Vision 2023 will die Regierung die Stadt Chennai slumfrei machen, indem sie Wohnraum für die Armen zur Verfügung stellt.
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„Es wird noch mindestens 10 Jahre dauern, bis Chennai behindertenfreundlich wird,” sagt Sathish Kumar, ein Bocciaspieler.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
Tamilvanan im Rollstuhl auf dem Weg nach Hause. Das Museum der Möglichkeiten, eine vor kurzem vom staatlichen Beauftragten für das Wohlergehen von Menschen mit Behinderungen in Partnerschaft mit der Organisation Vidya Sagar gestartete Initiative, könnte das Leben von Menschen wie ihm verbessern, indem sie sich für inklusive Arbeitsplätze, Spielflächen und Lebensraum für Menschen mit Behinderungen einsetzt.
Im Juni 2019 brachte die Chennai Corporation, die Stadtverwaltung von Chennai, in Partnerschaft mit 100 Resilient Cities, einem Programm der Rockefeller Foundation, eine Resilienzstrategie auf den Weg. Man setzte auf urbanen Gartenbau in Dachgärten mit dem Ziel, Nahrungssicherheit, Ernährung und Ausbildung zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Familien in den Umsiedlungskolonien zu gewährleisten. Das Projekt Water as Leverage wurde für das Regenwassermanagement, die Milderung des Effekts städtischer Wärmeinseln und zur Förderung naturbasierter Lösungen zur Deckung des Wasserbedarfs geschaffen.
Jedoch sagt der aus Chennai stammende Autor Nityanand Jayaraman bei unserem Besuch in Pulicat, wo die Erweiterung des Adani-Hafens noch immer ausgesetzt ist: „Technische Lösungen sind nicht die einzige Antwort auf die Herausforderungen, vor die Urbanisierung und Klimawandel die Stadt Chennai stellen. Wir brauchen politische Veränderungen, und es müssen auch die Herausforderungen im Bereich der Landnutzung angesprochen werden.”
Ein inklusives, nachhaltiges Wachstum erfordert strategische und umfassende politische Maßnahmen, die die Bedürfnisse und Bestrebungen auch der am stärksten gefährdeten Gemeinschaften berücksichtigt, um zu gewährleisten, dass alle in der Stadt gemeinsam wachsen.
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Die kostenlöse Beförderung von Frauen in Bussen der Regierung hat zum Empowerment von Frauen aus geringen Einkommensschichten beigetragen.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
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Shanu, eine Transfrau, ist bei der Müllabfuhr der Stadtverwaltung von Chennai angestellt.
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Friedrich-Ebert-Stiftung / Shruti Kulkarni
Um für eine Entwicklung im wahrsten Sinne des Wortes zu sorgen, muss sich Chennai sowohl mit kurz- als auch langfristigen Aspekten von Küstenentwicklung, Wohnbau und Umsiedlung, Lebenschancen, Verkehrsanbindung, sozialen und ökologischen Auswirkungen von Projekten, sozialer Gleichstellung und ökologischer Sanierung befassen.
Die von Saravanan oder den Fischerinnen von Pulicat geführten Initiativen - Programme für inklusives Wachstum und für verbesserten und nachhaltigen Wohnraum und ökologische Sanierung - könnten sich als die richtigen Wege erweisen, um Chennai zu größerer Resilienz zu führen und zu einer Stadt zu machen, in der alle in Würde und mit gleichen Wachstumschancen leben können.
Shruti Kulkarni ist eine unabhängige Filmemacherin, Fotografin, Dichterin und Künstlerin. Sie hat als Filmberaterin und Videodokumentarin für Organisationen in den Bereichen Entwicklung, Nachhaltigkeit und Umwelt & Umweltschutz gearbeitet. Ihre Filme behandeln eine Vielfalt an Themen von Sanierung und Wiederaufbau nach Tsunamis über Lebensgrundlagen von Küstengemeinschaften, Wiederaufbau nach Katastrophen bis hin zu nachhaltiger Architektur und Lebensräume. Mehr über ihre Arbeit erfahren Sie unter shrutikulkarni.format.com.
Dieser Fotoessay erschien in englischer Sprache im Original auf asia.fes.de
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