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Der Global Compact for Migration bietet Staaten die Chance, ihre Beziehungen zu Migrant_innen zu verbessern. Nicht alle nutzen dieses Potenzial.
Bild: Full house at the side event "Labour migration and the Global Compact for Migration: Ensuring Rights, Protections and a Decent Work Agenda," New York, 15 May 2018 von Global Coalition for Migration
Ein Mangel an menschenwürdiger Arbeit in der Heimat ist in lateinamerikanischen Ländern ein Push-Faktor für Migration. Der Anstieg von Migrationsbewegungen aus Venezuela, Haiti und Zentralamerika Richtung Südamerika und gen Norden bricht Rekorde, so Kelly M. Fay Rodriguez, Anwältin für Arbeitsrecht, Aktivistin und aktuelle Programmleiterin für das Amerika-Programm bei Solidarity Center.
Dieses von Rodriguez identifizierte Muster bestätigt neue wirtschaftliche Analysen zur Globalisierung und deren Konsequenzen. Demnach bietet die Globalisierung nur wenige Chancen für Mittel- und Niedrigverdiener_innen in Entwicklungsländern, selbst wenn Volkswirtschaften Wachstum verzeichnen.
Während der VN-Verhandlungen des Global Compact for Migration im Mai diesen Jahres in New York fand eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihren Partnern unterstützte Nebenveranstaltung statt, bei der Arbeitsmigration das zentrale Thema war. Der Global Compact for Migration ist das erste zwischenstaatlich verhandelte Abkommen, das alle Aspekte von Migration abdeckt.
Mariano Schuster von der Zeitschrift Nueva Sociedad sprach mit Kelly M. Fay Rodriguez, die die Situation rund um die Arbeitsmigration in Amerika und die fortlaufenden Entwicklungen und Versprechen im Zuge der neuesten Verhandlungsrunde des Global Compact for Migration erläutert.
Schuster: Wie sieht die derzeitige Situation von Migrant_innen in Lateinamerika aus? Was für Migrationsbewegungen sind zu beobachten, welche Gründe für Migration liegen vor und welche Hindernisse müssen Migrant_innen bewältigen? Wie sieht die gegenwärtige Situation bezüglich Arbeitslosigkeit, Armut und Entbehrung aus, die die Menschen dazu zwingt auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen aus ihrer Heimat zu fliehen?
Rodriguez: Migration ist in Amerika nichts Neues, aber wir sehen mehr und mehr „Push-Faktoren“ für Migration in den Herkunftsländern, wie etwa den Mangel an nachhaltiger Arbeit, Klimakatastrophen und allgemeine physische und wirtschaftliche Unsicherheit. Diese Push-Faktoren überwiegen allmählich gegenüber den „Pull-Faktoren“ wie ein verhältnismässig höheres Einkommen oder bessere Arbeitsmöglichkeiten in den Zielländern.
Im Laufe der letzten Jahre wurde ein rekordbrechender Anstieg von Migration aus Venezuela, Haiti und Zentralamerika sowohl Richtung Südamerika als auch gen Norden verzeichnet. Unglücklicherweise sind Menschen im Transit mit einer Vielfalt an Hindernissen konfrontiert, wie beispielsweise wirtschaftlicher Not und Ausbeutung, physischer und sexueller Gewalt, Hunger und leider auch dem Tod. Viele Migrant_innen sind ebenfalls dem Risiko ausgesetzt, dass ihren Familien zusätzliche Not, Schaden oder Gewalt droht, wenn Zahlungen an Drittparteien entlang der Route nicht befriedigt werden.
Einige Staaten haben wichtige Schritte unternommen, um neue Migrant_innen zu empfangen und zu unterstützen. Andere Regierungen jedoch tun sich damit schwer, bestehende institutionelle Leistungen und Programme gemäß den Anforderungen der neuen Bewohner_innen und ihrer Zielgemeinden anzupassen, ungeachtet etablierter internationaler Standards und Leitlinien zu dem Thema.
Kann man eine klare und präzise Differenzierung zwischen Wanderarbeiter_innen und Migration im Allgemeinen ziehen? Welches sind die bemerkenswertesten Erfahrungen von Wanderabeiter_innen in Lateinamerika?
Die International Labour Organization (ILO) schätzt, dass es allein im Jahr 2013 ungefähr 150 Millionen Wanderarbeiter_innen gab. Ein nur kleiner Teil der generellen Migrantenpopulation reist im Rahmen von offiziellen Programmen für Arbeitsmigration ein. Diese Programme geben Gastarbeiter_innen normalerweise temporäre Visa unter prekären Arbeitsverhältnissen. Arbeitgeber bevorzugen diese Programme oft deswegen, weil sie eine schwächere Position der Arbeitnehmer_innen bedeuten und somit mehr Möglichkeiten zur Ausbeutung bieten.
Wenn der legale Migrationsstatus vom Arbeitgeber abhängt, ist es weit weniger wahrscheinlich, dass Arbeitnehmer_innen nach besseren Löhnen verlangen oder Lohnwucher und unsichere Arbeitsbedingungen an Autoritäten melden. Offizielle Programme für Arbeitsmigration bieten ebenso oftmals Gelegenheit für grobe Menschenrechtsverletzungen, wie beispielsweise Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft und andere Formen von Menschenhandel.
Wie kann der Global Compact for Migration den Kampf von Arbeitsmigrant_innen unterstützen und wie kann er in Lateinamerika Anwendung finden?
Der Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM) bietet Staaten die bedeutende Chance, zu Staatspolitiken und -praxen in Bezug auf Migration Position zu beziehen. Obwohl der Global Compact nicht bindend sein wird, wird er Staaten dennoch Standards vorgeben. Zudem hat der Compact das Potential, Verbesserungen im nationalen Umgang mit der eigenen Migrantenpopulation anzuregen.
Einer der beiden Ko-Leiter des Prozesses ist Botschafter Juan José Gómez Camacho, ständiger Vertreter Mexikos bei den VN. Es gab erhebliche Fortschritte darin, wesentliche Rechte von Migrant_innen und Schutzmaßnahmen für Wanderarbeiter_innen (einschliesslich internationaler Arbeitsstandards) in die Entwurfsdokumente aufzunehmen. Allerdings versuchten andere Staaten wiederum, arbeitnehmer_innen- und migrant_innenfeindliche Empfehlungen voranzubringen.
Für Gewerkschaften wird es sowohl auf der nationalen als auch der internationalem Ebene wichtig sein, während der Regierungsverhandlungen und Einführungsprozesse engagiert und aktiv zu bleiben, um Obiges zu verhindern. Ebenso sollte dies sicherstellen, dass sich die Standards und Implementierungen des Compacts eine positive Wirkung auf Staaten haben. Hinsichtlich dessen, sollten diese sich dann für Praktiken einsetzen, die menschenwürdige Arbeit für Migrant_innen fördern und schützen und auch den Missbrauch und die Ausbeutung von Wanderarbeiter_innen eindämmen.
Was sind die Hauptkontroversen um den Global Compact for Migration? Welche Staaten sind progressiv und welche konservativ? Welche Positionen vertraten lateinamerikanische Länder?
Die Debatte um Legalisierung versus Amnestie für irreguläre Migrant_innen war recht umstritten, sehr zur Sorge der Arbeiterbewegung. Denn Formalisierung ist der Schlüssel mit dem gleiche Rechte und Schutz gewährleistet sowie Missbrauch und Ausbeutung von Migrant_innen verhindert werden können. Einige Länder, die zur Zeit Migrant_innen im Rahmen von regulären, zeitlich begrenzten Programmen für Migration nur limitierte Rechte zusprechen, machten bei der letzten Verhandlungsrunde einen Vorschlag. Dieser soll eine strenge Bestimmung eliminieren, die empfahl, dass Arbeitnehmer_innen im Rahmen von Visaprogrammen ihre Arbeitgeber wechseln können.
Die Arbeiterbewegung kritisiert die Eliminierung dieser Formulierung. Denn wenn der Einwanderungsstatus von einem bestimmten Arbeitgeber abhängt, sind Arbeitnehmer_innen häufiger Opfer von Missbrauch oder gezwungen, extrem unzulängliche oder unwürdige Arbeitsbedingungen anzunehmen. Arbeitgebern so viel Kontrolle über den legalen Status ihrer Angestellten zu geben, öffnet systematischem Missbrauch und Ausbeutung die Türen und könnte sogar zu sklaverei-ähnlichen Zuständen führen.
Lateinamerikanische Staaten haben mitunter die progressivsten Positionen, wenn es darum geht, die Rechte von Migrant_innen und Wanderarbeiter_innen im Compact zu schützen. Sie sind Teil einer Koalition von etwa 21 Staaten der Region sowie aus Asien, die sich als „like-minded“ (gleichgesinnte) bezeichnen. Während der Verhandlungen haben diese Staaten zwingende Forderungen geäußert, die klare Pfade zur Regularisierung, die Einbeziehung von Rechten und den Zugang zu sozialen Dienstleistungen und menschenwürdiger Arbeit für alle unabhängig vom Einwanderungsstatus verlangen.
Sie haben sich ausgiebig mit der Rolle von Gewerkschaften in dieser Art von Prozess beschäftigt. Wie verhalten diese sich heutzutage? Was für Strategien verfolgen sie, um diejenigen Menschen zu unterstützen, die gezwungen sind auszuwandern?
Gewerkschaften können eine wirklich entscheidende Rolle im Leben von Wanderarbeiter_innen spielen. Als Organisation bilden sie eine Brücke zwischen Arbeiter_innen mit dauerhaftem, temporärem und irregulärem Einwanderungsstatus, einschließlich ihrer Familien und Gemeinschaften.
Zur Zeit werden Gewerkschaften ständig und zunehmend angegriffen; Mitgliederzahlen sinken weltweit aufgrund von Regierungs- und Arbeitgeberangriffen. Daher ist es für die Arbeiterbewegung umso wichtiger, die Bedürfnisse und Interessen von Wanderarbeiter_innen und anderen Arbeitnehmer_innen, wie People of Color, die systematischer und institutioneller Diskriminierung ausgesetzt sind, einzubeziehen und zu einer Priorität zu machen. Wir können Arbeitsbedingungen für alle verbessern wenn wir den Standard für die heben, die am meisten ausgebeutet werden. Die Kernaufgabe von Gewerkschaften ist schließlich, Arbeitnehmer_innen im Kollektiv zu vereinigen um mehr Gerechtigkeit an unseren Arbeitsplatz und in unser Leben zu bringen.
This article originally appeared in English on FES Connect.
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Vor einigen Tagen hat eine weitere Karawane von Migrant_innen aus Honduras, die auf dem Weg in die USA ist, Guatemala und Mexiko erreicht.
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Yvonne Blos (international)Yvonne.Blos(at)fes.de
Max Ostermayer (national)Max.Ostermayer(at)fes.de
Claudia Detsch (Europa / Nordamerika)Claudia.Detsch(at)fes.de
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