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Plastik und Banken? Die Verknüpfung drängt sich nicht auf den ersten Blick auf. Silke Stremlau, Mitglied des Sustainable Finance-Beirates, spricht im Interview über die Rolle von Finanzinstitutionen bei der Plastikverschmutzung.
Unser Verbrauch steigt und steigt. Eine Begleiterscheinung dieses steigenden Verbrauchs ist das, was davon übrigbleibt: ein immer höher anwachsender Müllberg. Aus immer mehr Öl und Gas entstehen immer mehr Einweg-Verpackungen und damit immer mehr Plastikmüll. In den kommenden 20 Jahren dürfte sich die Menge an Plastikmüll in unseren Gewässern verdreifachen. 2050 ist von mehr Plastik- als Fischmasse in unseren Ozeanen auszugehen. Eine weitere Zunahme der Treibhausgas-intensiven Plastikproduktion ist zudem mit dem 1,5 Grad-Ziel unvereinbar. Vor diesem Hintergrund sollten auch Finanzinstitutionen ihre eigene Rolle in der globalen Plastikkrise hinterfragen und überlegen, wie in Zukunft mit Firmen entlang des Plastiklebenszyklus umzugehen ist.
Im Frühjahr 2021 erschien der 8. Dirty Profits Bericht Einweg ohne Ausweg, gefolgt von einer Diskussionsveranstaltung Ende Oktober zu Banken und Einwegplastik. Zur Rolle von Finanzinstitutionen führte Vanessa Müller, Projektkoordinatorin für Dirty Profits bei Facing Finance, ein Interview mit Silke Stremlau. Sie ist Vorständin der Hannoverschen Kassen und stellvertretende Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirates der Bundesregierung.
Wir stehen vor gewaltigen Transformationen unserer gesamten Wirtschaft. Für die Energie-, Verkehrs-, Agrar- und Konsumwende sind massive Investitionen erforderlich, die die Staaten alleine nicht bewältigen können. Daher sind auch private Investitionen, vor allem von institutionellen Investor:innen gefordert, z. B. von Versicherungen, Pensionskassen, Stiftungen und Banken. Diese müssen sich immer mehr die Frage gefallen lassen, ob ihre Investitionen zur sozial-ökologischen Transformation beitragen oder ob sie sie konterkarieren. Geld hat immer eine Wirkung; es hängt nur davon ab, wofür wir es einsetzen. Und damit kann Sustainable Finance entscheidend zur Umlenkung von Geldern beitragen und zwar von nicht-nachhaltigen Branchen in zukunftsfähige Bereiche.
Ehrlich gesagt ist das Thema Plastik noch gar nicht auf der Agenda von institutionellen Investor:innen. Das belegt ja auch eindeutig die Umfrage von facing finance bei den sonst ja engagierten Kirchenbanken. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass es kein klassisches “single issue” ist. Als Nachhaltige Investorin kann ich relativ einfach Produzenten von Landminen oder Unternehmen der Öl- und Kohleindustrie ausschließen, aber im Bereich der Plastikindustrie gibt es sowohl eine Reihe von Produzenten als auch eine Vielzahl von Unternehmen der Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie, die zu den größten Plastikkonsumenten gehören. Wichtig an der Stelle ist sicherlich die Taxonomie der EU, die anhand von sechs Umweltzielen sehr genau definiert, was unter einer nachhaltigen Investition zu verstehen ist. Eines der sechs Umweltziele ist die Kreislaufwirtschaft. Mit diesem Ziel wird ein deutliches Zeichen gegen ein Mehr an Plastik und Einwegverpackungen gesetzt und genauestens definiert, an welchen Kriterien sich eine zirkuläre Wirtschaft messen lassen muss.
Zu Ihrer Frage nach den Steuerungsmöglichkeiten des Finanzministeriums: neben einem deutlichen Eintreten von Berlin in Brüssel für eine ambitionierte Taxonomie würde mir eine Aufnahme von einem Anti-Plastik-Kriterium in die Anlagekriterien für Vermögen des Bundes und der Länder vorschweben. Hier könnte der Bund bei allen seinen eigenen Vermögensanlagen führend werden, indem er sich aktiv für eine Kreislaufwirtschaft einsetzt und zum Beispiel durch Engagement-Strategien auf große Plastikproduzenten einwirkt.
Das darf man auf jeden Fall erwarten. Denn wer Geld – vor allem im großen Stil – anlegt, hat eine Verantwortung, wo er oder sie es anlegt und welche Art von Wirtschaft damit unterstützt wird. Manchmal lerne ich Banker kennen, die ihre Geldanlage immer noch mehr als eine Art Roulette oder ein Hin- und Herschieben abstrakter Zahlen begreifen. Letztendlich müssen aber auch sie sich die Frage gefallen lassen, in was für einer Welt sie leben wollen. Und durch die vielen, kleinen Kreditentscheidungen, die jeden Tag in den Banken getroffen werden, und die über 10-20 Jahre zurück gezahlt werden, entscheiden Banker:innen über die Zukunft unserer Wirtschaft. Wird in eine Wirtschaft mit Paris-Kompatibilität investiert? Trägt der Kredit zur Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme bei? Oder nicht? Natürlich sind nicht alle Verantwortlichen in den Finanzinstitutionen gleich Nachhaltigkeitsexperten. Hier braucht es dringend eine Bildungsoffensive, ebenso wie in Aufsichtsräten, Ministerien und Aufsichtsbehörden. Und sicherlich ist es auch eine Überforderung des Finanzmarktes, die Rettung der Welt zu verlangen. Aber der Finanzmarkt spielt eine große Rolle und ich verlange von den Akteuren, dass sie diese Rolle annehmen, akzeptieren und sich an ihr messen lassen.
Ich gehe in den nächsten Jahren von einer sehr drastischen Erhöhung des CO2-Preises in Europa und weltweit aus, da die Politik erkennt, dass sie über die Internalisierung externer Kosten sehr viel schneller den Umbau in Richtung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft leisten kann als über weitere Selbstverpflichtungen. Das Umweltbundesamt geht von einem Preis um die 180 Euro pro Tonne CO2 aus, um die wahren Preise der Erderhitzung widerzuspiegeln. Plastik besteht aus Erdöl und dürfte durch einen höheren CO2-Preis deutlich teurer werden. Als Bank oder institutionelle:r Investor:in muss ich also die finanziellen Risiken in meinem Portfolio aufgrund von Klimarisiken und CO2-Preis nicht nur im Hinblick auf die originären, energieintensiven Industrien, wie Kohle, Öl, Chemie, Stahl, Verkehr und Immobilien beachten und einpreisen, sondern auch auf die mittelbaren Industrien. Und wenn klar ist, dass die Plastikindustrie genauso viel CO2 emittiert wie die Kohleindustrie, sind hier die finanziellen Risiken aufgrund des Klimawandels für die Bankportfolien evident.
Ich wünsche mir, dass sie die Kraft des nachhaltigen Finanzmarktes für die sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft erkennen und nutzen. Sustainable Finance ist mehr als Divestment.
Dazu wäre es hilfreich, wenn sie viele unserer 31 Empfehlungen des Sustainable Finance Beirats schnell angehen würden, da Deutschland in den letzten Jahren einfach Zeit verschenkt hat. Ein „Quick Win“ wäre es, zuerst die umweltschädlichen Subventionen abzuschaffen, die das Umweltbundesamt identifiziert hat. Und danach den CO2-Preis erhöhen mit einem sozialen Ausgleich, ebenso wie die weitere Internalisierung externer Kosten. Dann erst, wenn die Preise die soziale und ökologische Wahrheit widerspiegeln, kann der Finanzmarkt Gelder auch richtig allokieren.
Break Free From Plastic (2020): Branded Vol. III – Demanding Corporate Accountability for Plastic Pollution. Pp. 41-45. Zugriff am 9.11.2021 über: https://www.breakfreefromplastic.org/wp-content/uploads/2020/12/BFFP-2020-Brand-Audit-Report.pdf
Greenpeace US (2019): Throwing Away The Future: How companies still have it wrong on plastic pollution “solutions”. Zugriff am 9.11.2021 über: https://www.greenpeace.org/usa/wp-content/uploads/2019/09/report-throwing-away-the-future-false-solutions-plastic-pollution-2019.pdf
Woolven, James für die Ellen MacArthur Foundation (25.05.2021): The solution to plastic pollution. Zugriff am 9.11.2021 über: https://ellenmacarthurfoundation.org/articles/the-solution-to-plastic-pollution.
Banken spielen eine zentrale Rolle in der durch Konzerne wie Shell, Nestlé oder Amazon verursachten globalen Plastikverschmutzung.
Yvonne Blos (international)Yvonne.Blos(at)fes.de
Max Ostermayer (national)Max.Ostermayer(at)fes.de
Claudia Detsch (Europa / Nordamerika)Claudia.Detsch(at)fes.de
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