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von Robby Riedel
Die Corona-Krise beeinträchtigt weite Teile unseres Lebens – das gesellschaftliche Miteinander und die Wirtschaft gleichermaßen. Auch wenn sich leichte Anzeichen einer konjunkturellen Erholung abzeichnen, erleben wir gegenwärtig dennoch einen wirtschaftlichen Einbruch historischen Ausmaßes. Klar ist bereits jetzt: Die Bewältigung der Krisenfolgen und damit die Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft stellt eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit dar und wird die politischen Entscheidungsträger_innen über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, beschäftigten.
Kapitalmarktunion ist zentrales Anliegen der EU-Kommission
Nach Ansicht der EU-Kommission nehmen die Kapitalmärkte eine tragende Rolle ein, um den europäischen Wirtschaftsraum international wettbewerbsfähig zu gestalten. Daher hat sich die Kommission schon vor Jahren die Weiterentwicklung des gemeinsamen Kapitalbinnenmarktes groß auf die Fahne geschrieben. Bereits im Jahr 2015 hat sie hierfür einen detaillierten Aktionsplan im Rahmen der sogenannten Kapitalmarktunion (Capital Markets Union – CMU) vorgelegt, der beschreibt, welche Stellschrauben nachgezogen werden müssten, um die Kapitalmärkte in Europa international wettbewerbsfähig zu gestalten und einen echten Kapitalbinnenmarkt zu schaffen.
Auch in der aktuellen Corona-Krise werden die Kapitalmärkte als ein wichtiger Schlüssel zur Genesung der europäischen Wirtschaft angesehen. Doch nach anfänglichen Fortschritten unter der Juncker-Kommission mit zahlreichen Maßnahmenpaketen ist allerdings aus Sicht vieler Marktteilnehmer_innen die Umsetzung der Kapitalmarktunion ins Stocken geraten. Sie sehen insbesondere aufgrund einer Vielzahl bestehender regulatorischer Hürden erhebliche Schwachstellen. Deshalb soll ein neuer Aktionsplan im Herbst 2020 dem Projekt wieder neues Leben einhauchen.
Hintergrund der Kapitalmarktunion ist, dass Europa nach Ansicht der Befürworter_innen unter einer flächendeckend schwachen Investitionstätigkeit leidet. Begründet wird dies in erster Linie mit der restriktiven Kreditvergabe der Banken sowie mit zu hohen bürokratischen Hürden bei der Unternehmensfinanzierung. Genau das soll sich mit der CMU ändern, indem u. a. das Angebot an Unternehmensfinanzierungen erweitert, die Kapitalmarktfinanzierung vor allem zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen gefördert, die Abhängigkeit von einer Bankenfinanzierung verringert und der Markt für Verbriefungen wiederbelebt werden soll. Mithilfe liberalisierter Kapitalmärkte sollen Unternehmen zukünftig leichter an frisches Geld gelangen und so für eine florierende Wirtschaftstätigkeit sorgen können.
Investitionen in die Transformation der Wirtschaft dringend notwendig
Zweifelsohne besteht eine große aktuelle Herausforderung darin, vorhandenes, liquides und Anlage suchendes Kapital in dringend notwendige reale Investitionen zu lenken. In Europa sind massive Investitionen in die Erneuerung und den Ausbau der Infrastruktur, in einen zukunftsfähigen ökologischen Umbau der Energieversorgung, in Energieeffizienz, in einen flächendeckenden Ausbau der Breitbandnetze, in Bildung und Ausbildung, aber auch in andere Bereiche zwingend notwendig. Darüber hinaus bedarf es Investitionen in den Aufbau und Erhalt industrieller Strukturen sowie deren ökologische Modernisierung, und schließlich ist in vielerlei Hinsicht einen Ausbau hochqualitativer öffentlicher und privater Dienstleistungen erforderlich.
Grundsätzlich ist aber fraglich, ob eine Stärkung der Kapitalmarktfinanzierung zur Lösung der vorhandenen Investitionsschwäche beitragen kann. Denn die Ursache für einerseits niedrige Investitionen bei andererseits hohem Kapitalangebot liegt an grundsätzlichen ökonomischen Fehlentwicklungen der vergangenen Dekaden.
Das Hausbankenprinzip hat sich bewährt
Die Vorteile einer Unternehmensfinanzierung über Banken liegen auf der Hand. Die Hausbankenbeziehung zwischen Unternehmen und den Banken erlaubt ein besseres Monitoring, oftmals auch aufgrund langjähriger bestehender Geschäftsbeziehungen. Die flächendeckende Präsenz von Kreditinstituten und die damit einhergehenden Vor-Ort-Kenntnisse über die strukturellen Bedingungen und die konjunkturelle Lage ermöglichen es den Banken, Chancen und Risiken eines Geschäftsengagements besser abzuwägen. Sollten temporäre Schwierigkeiten bei einem Unternehmen auftreten, lassen sich Bewältigungsstrategien durch direkte Kommunikationswege und Ansprechpartner_innen zielgenauer adressieren. Auch gibt es die Möglichkeit der Nachverhandlung über die Kreditkonditionen. Vor allem in den aktuell herausfordernden Zeiten zeigt sich eindrücklich, dass Banken und Unternehmen vielerorts gewillt sind, gemeinsam die prekäre Lage zu bewältigen und eine Lösung zu finden, wenn vorübergehend finanzielle Schwierigkeiten bei Unternehmen auftreten. Diese, insbesondere für kleine und mittelgroße Unternehmen relevanten Vorteile und Möglichkeiten sind in der Regel bei einer Finanzierung über den Kapitalmarkt nicht vorhanden.
Gerade in der aktuellen Corona-Krise hat sich die Kreditfinanzierung also wieder als sehr verlässlich erwiesen. Die deutschen Sparkassen haben beispielsweise ihr Neugeschäft mit kleinen und mittelgroßen Unternehmen im laufenden Geschäftsjahr gegenüber den Vorjahren ausgebaut. Mit den Genossenschaftsbanken verhält es sich ähnlich. Von einer Kreditklemme kann zumindest in Deutschland nicht die Rede sein – wohl auch dank beherzten staatlichen Eingreifens mit Notfall- und Liquiditätshilfen für angeschlagene Unternehmen.
Die Banken auf ihre Kernfunktion zurückführen
Sowohl die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 als auch die aktuelle Corona-Krise haben die Ineffizienz der freien Finanzmärkte, deren Volatilität und deren Begünstigung prozyklischen Herdenverhaltens offenbart. Auch die tief greifende Bankenkrise von vor über zehn Jahren ist nicht auf Fehlentwicklungen im klassischen Kreditgeschäft bzw. der Unternehmensfinanzierung zurückzuführen. Vielmehr sind die Probleme bei den Banken gerade dadurch entstanden, dass sie sich von diesem traditionellen Geschäftsmodell verabschiedet haben und zunehmend selbst zu Akteuren auf den Finanzmärkten wurden, ihr Investment-Banking ausgeweitet und verstärkt Eigenhandel betrieben haben.
Solange Banken sich als aktive Akteure der globalen Finanzmärkte verstehen, werden sie auch in Zukunft immer wieder in den Strudel von Finanzkrisen geraten. Um langfristig ein nachhaltiges System der Unternehmens- und Investitionsfinanzierung zu schaffen, kommt es folglich darauf an, die Bedeutung der Finanzmärkte wieder auf ein angemessenes Maß zu reduzieren, parallel die Banken zu stabilisieren und auf ihre Kernfunktion der Einlagenverwaltung und Kreditvergabe zurückzuführen.
Unternehmen haben ein Nachfrage- und weniger ein Finanzierungsproblem
Das Hauptproblem, mit dem sich Unternehmen und allen voran kleine und mittelgroße Betriebe konfrontiert sehen, ist in erster Linie die fehlende Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen und weniger der Zugang zur Finanzierung. So geben 13 Prozent der in Europa tätigen kleinen und mittelgroßen Unternehmen die geringe Nachfrage als Haupthemmnis ihrer Geschäftsaktivität an, wohingegen lediglich 5,6 Prozent fehlende externe Finanzierungsmöglichkeiten als ihr Manko erachten. Wer düstere Geschäftsaussichten mit wegbrechenden Märkten hat, wird nicht investieren und somit auch keine Finanzierungsmöglichkeiten nachfragen. Die Kapitalmarktunion mit dem Anliegen, Unternehmen alternative Finanzierungen abseits des klassischen Bankkredits zu ermöglichen, führt somit am eigentlichen Problem der Unternehmen vorbei. Gerade in der aktuellen Corona-Krise zeigt sich das mit Nachdruck.
Ungeklärte Aufsichtsfragen
Vor dem Hintergrund, dass mit der geplanten Kapitalmarktunion ein gemeinsames Binnenmarktprojekt vorangetrieben und Geschäftsbeziehungen verstärkt grenzüberschreitend stattfinden sollen, sind wirksame und flächendeckende Aufsichtsstrukturen umso wichtiger. Die Kapitalmarktunion und die damit notwendig werdende Vereinheitlichung der Aufsicht droht jedoch zu einem Absinken der Aufsichts- und Kontrollbefugnisse zu führen.
Darüber hinaus können grenzüberschreitende Insolvenzverfahren erhebliche Probleme nach sich ziehen, da unterschiedliche Verfahrensweisen in den Rechtsräumen die Gläubiger_innen verschiedener Herkunft ungleich behandeln könnten. Erklärtes Ziel der Kapitalmarktunion ist es infolgedessen auch, die unterschiedlichen Insolvenzverfahren europaweit zu harmonisieren. Auch diesbezüglich ist jedoch zu befürchten, dass im Zuge dessen ein Abbau insolvenzrechtlicher Standards erfolgt. Zudem wären nationale Sonderwege wie die aktuell in der Corona-Pandemie praktizierte Aussetzung des Insolvenzantragsverfahrens hierzulande unter einem einheitlichen Regime schwerlich möglich.
Die systemischen Risiken würden zunehmen – Regulierungsarbitrage denkbar
Zentrales politisches Anliegen und gesellschaftlicher Konsens nach der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise war es, systemische Risiken im Finanzsystem dauerhaft abbauen zu wollen. Allerdings ist durch die Forcierung der Kapitalmärkte eine Kehrtwende weg von diesem Ziel zu befürchten. Denn die Kapitalmarktunion fördert eine enge Vernetzung der internationalen Kapitalströme. Politisch sollte aber gerade darauf hingewirkt werden, systemische Risiken durch regulatorische Maßnahmen zu reduzieren, statt sie – wie durch die Kapitalmarktunion – weiter zu befördern. Im Sinne der Finanzmarktstabilität bedarf es keines stark vernetzten Finanzgeflechts zwischen Finanzintermediären, sondern eine breit angelegte, gut diversifizierte, regional geprägte Bankenlandschaft mit gut kapitalisierten Banken.
Handlungsalternativen zur Kapitalmarktunion
Es bringt unter dem Strich wenig, neue Finanzprodukte oder Finanzmärkte für kleine und mittlere Unternehmen zu schaffen. Damit werden grundlegende Probleme nicht gelöst, möglicherweise aber neue Instabilitäten geschaffen. Zudem führt dieser Ansatz an den Bedürfnissen der Unternehmen vorbei. Die Wiederherstellung eines funktionierenden Bankensystems mit der Rückbesinnung auf das traditionellen Bankgeschäft wäre zielführender, um die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Dazu bedarf es der Förderung einer lokalen und regionalen Bankenlandschaft mit einer flächendeckenden Vor-Ort-Präsenz. Dort, wo Finanzierungsengpässe – etwa bei jungen Unternehmen – auftreten, sollten Förderbanken verstärkt als Intermediäre auftreten und sollte die öffentliche Hand durch entsprechende Förderprogramme unterstützend wirken.
Die Unternehmen haben in erster Linie mit der wegbrechenden Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen zu kämpfen und nicht mit fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten. Daher reicht ein verbesserter Kapitalzugang nicht aus, um den Investitionsstau hierzulande, aber auch innerhalb Europas, zu beheben. Impulse zur Stärkung der öffentlichen Nachfrage sind deshalb unerlässlich. Öffentliche Investitionen fördern den sozialen Zusammenhalt, sichern die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und damit die guten Arbeitsplätze von morgen. Gleichzeitig kann eine sozial gerechte, ökologische Transformation unserer Wirtschaft angesichts von Klimawandel, Globalisierung und Digitalisierung nur mit mehr öffentlichen Investitionen in den Breitbandausbau, in eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, in eine bezahlbare Energiewende und den Klimaschutz sowie in Forschung und Entwicklung gelingen.
Klar ist aber auch: Die Finanz- und Kapitalmärkte benötigen eindeutige Spielregeln. Eine wirksame Regulierung der Finanz- und Kapitalmärkte wirkt sich positiv auf das Wirtschaftswachstum aus. Zweifelsohne bleibt die mögliche Risikomigration in andere Teile des Finanzsystems, wie dem Schattenbankensystem, eine wesentliche Herausforderung für Aufsichts- und Regulierungsbehörden. Hier müssen auf internationaler Ebene Anstrengungen intensiviert werden, die einer solchen Umgehung von Regulierung einen Riegel vorschieben.
Dr. Robby Riedel ist Referatsleiter für Verteilungspolitik und Marktregulierung beim DGB Bundesvorstand.
Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Vorabveröffentlichung. Die Langfassung des Textes ist als WISO direkt erschienen.
von László Andor
von Fabian Lindner
von Jörg Bibow
von Oliver Röpke
Yvonne Blos (international)Yvonne.Blos(at)fes.de
Max Ostermayer (national)Max.Ostermayer(at)fes.de
Claudia Detsch (Europa / Nordamerika)Claudia.Detsch(at)fes.de
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