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Die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede in Europa wachsen. Das widerspricht dem europäischen Geist und ist eine Gefahr für die Union. Dem muss entgegengesteuert werden.
Bild: Bild: inequality=conflict patch Urheber: craftivist collective Lizenz: CC BY 2.0
Manchmal bedarf es des Blicks von außen, um zu begreifen, was die europäische Einigung eigentlich bedeutet: Auf seinem Deutschlandbesuch sagte Barack Obama: "Sie ist eine der größten politischen Errungenschaften der Neuzeit– eine Union des Wohlstands und des Friedens." Dass diese große Errungenschaft von vielen Europäern nicht so innig geliebt wird, wie Präsident Obama es als Amerikaner sieht, hat viel mit enttäuschten Erwartungen zu tun. Die europäische Idee fußt auch darauf, dass sich die Lebensverhältnisse in den unterschiedlichen Regionen angleichen. In den vergangenen Jahren ist das Gegenteil passiert: Die wirtschaftlichen Unterschiede sind gewachsen, so lag die Wirtschaftskraft der osteuropäischen EU-19-Mitglieder (außer dem wirtschaftlich starken Slowenien), bei unter 50 Prozent des durchschnittlichen europäischen BIP. Auch in den von der Staats- und Finanzkrise besonders betroffenen Ländern Südeuropas entwickelt sich die Wirtschaftskraft eher auseinander: Vor allem Griechenland und Portugal erreichen nur rund 55 Prozent der durchschnittlichen Wirtschaftskraft - und das nach mehr als 30 Jahren EU-Mitgliedschaft.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass den Mitgliedsländern Instrumente makroökonomischer Steuerung fehlen, weil diese auf die EU übertragen wurden. Der wiederum fehlen die notwendigen Kompetenzen und finanziellen Mittel für eine geeignete Struktur- oder gar eine Finanzausgleichspolitik. „Zur nationalen Ohnmacht gesellt sich die Ohnmacht auf supranationaler Ebene“, sagt daher Carsten Kühl. Der frühere Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz hat für die FES Möglichkeiten analysiert, dieser Situation zu entkommen.
Es ist ja nicht so, dass die Europäische Union nicht einige wirtschaftspolitische Instrumente hätte: Im Zuge der multiplen Krise initiierte die EU eine Finanzmarktregulierung und schuf mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Möglichkeit, hochverschuldete Länder vor dem Staatsbankrott zu bewahren. „Diese Maßnahmen halten den Patienten am Leben und sichern den Status-quo“, resümiert Carsten Kühl. "Eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa sei so nicht zu erreichen. Dezidiert auf Konvergenz angelegte Instrumente wie der Strukturfonds verfehlten ebenso ihre Wirkung. Die eher bescheidene Summe von 51,13 Milliarden Euro, die 2015 über dieses Instrument verteilt wurde, komme schließlich allen Mitgliedsländern zugute - nicht nur den besonders strukturschwachen". Die Möglichkeit auf die spezifischen Bedingungen in den europäischen Staaten einzugehen, fehlt im Bereich der wirtschaftspolitischen Steuerung und des Fiskalpakts. Auch hier kommen gleiche Ziele und Instrumente für sehr unterschiedliche wirtschaftliche Situationen zum Einsatz; letztlich sind Länder mit strukturellen Überschüssen und jene mit großen Defiziten der gleichen strengen Haushaltsdisziplin unterworfen. Für die Einhaltung europäischer Zielvorgaben müssen Mitgliedsländer häufig Sozialleistungen kürzen und durch gezielte Deregulierung versuchen, komparative Konsolidierungspotentiale zu schaffen.
„Die Instrumente sind ungeeignet, wettbewerbsschwachen Volkswirtschaften oder Krisenstaaten die nötigen ökonomischen Impulse zu verleihen“, sagt Carsten Kühl im Interview mit dem Portal des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die Umstände für eine Vertiefung der europäischen Integration sind denkbar schlecht: Die politische Krise um die Verteilung von Geflüchteten hat dies ebenso gezeigt, wie die wachsende nationalistische Stimmung in vielen Mitgliedsländern. Darauf, dass einer verstärkten wirtschafts- und finanzpolitischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene im Zeichen einer Fiskalunion zur Zeit fast unüberwindbare Hürden im Weg stehen, hat auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann jüngst hingewiesen.
Dennoch: An einem Umbau der Währungs- zu einer funktionsfähigen Fiskalunion führt für Carsten Kühl kein Weg vorbei - wenn auch „in kleinen Schritten“, wie er sagt. Mehr Europa, mehr zwischenstaatliche Solidarität und in letzter Konsequenz auch andere, stärkere europäische Institutionen, das sind die Schlagwörter einer solchen Reform für den früheren rheinland-pfälzischen Finanzminister. Die Alternativen zu einer solchen vertieften Integration, so schwer durchsetzbar sie auch erscheinen mag, sind wenig erbaulich: Sie bedeuteten, die wirtschaftlichen Ungleichheiten in Europa zu konservieren, oder aber makroökonomische Steuerungsmechanismen an die Einzelstaaten zurückzugeben. Und damit letztlich die europäische Integration in Frage stellen. Der Weg Europas zu einem Raum des Friedens und des Wohlstands ging in den vergangenen Jahren in die andere Richtung, hin zu mehr Zusammenarbeit und mehr Integration. Die Fiskalunion würde diesen Weg weitergehen.
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Sebastian Dullien: Die Euro-Zone nach vier Jahren Krisenmanagement und Ad-Hoc-Reformen: Was bleibt zu tun? WISO Diskurs, Dezember 2014, FES
Michael Dauderstädt: Wachstumsstrategien für Südeuropa: Italien, Spanien, Portugal, Griechenland. FES 2016
Paula Boks: „Europa in den Parteien: Wege der Beteiligung“ Politik für Europa - 2017plus 21.04.2016
Arne Schildberg: EU-Umfrage: Was wollen die Bürgerinnen und Bürger? Politik für Europa - 2017plus, 08.02.2016
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