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Eine menschenzentrierte Arbeitsmigrationspolitik setzt die Mitwirkung der Diaspora voraus, sagt Dr. Rachid L’Aoufir von der Afrikanisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft.
Die Mitgliedsorganisationen der Afrikanisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft (A.D.A.G.E.) engagieren sich seit vielen Jahren politisch und operationell für die transnationale Arbeits- und Bildungsmobilität. Wir sprachen mit dem Vorstandsvorsitzenden von A.D.A.G.E., Dr. Rachid L’Aoufir.
Rachid L’Aoufir: Zuerst müsste im Inland ein passendes Klima herrschen, das bis in die Personalabteilungen zum Abbau von Denk- und institutionellen Blockaden beitragen würde, z. B. bezüglich der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und der Kultur der Arbeitszeugnisse. Zweitens, die Logik der Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten müsste der Bevölkerung besser vermittelt werden. Im Alltag realisiert nicht jeder, dass die Bundes- und Länderministerien den Auftrag haben, die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, etwa im Bereich der Gesundheit. Eine mutige Kommunikationskampagne sollte erklären, dass wenn im Inland nicht genug Fachkräfte gewonnen werden können, dann muss man diese im Ausland anwerben. Drittens, da es um die wirtschaftliche und politische Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands geht, sollte die Bundesregierung, in Abstimmung mit den Arbeitgebern und der Diaspora, strategischer vorgehen, wozu eine systematische Strukturierung des globalen Arbeitsmarktes und der gezielte Aufbau von transnationalen Talentpipelines für verschiedene Sektoren gehört.
Die Bundesregierung verhandelt aktuell den Abschluss bilateraler Migrationsabkommen mit der Absicht, sowohl die internationale Arbeitsmobilität als auch die Rückführung von Personen ohne Aufenthaltserlaubnis zu regeln. Der Vorteil dieser Abkommen ist, dass sie einen völkerrechtlichen Rahmen bieten, in dem Regierungen ihre gegenseitigen Erwartungen formulieren können. Dies trägt zur Versachlichung der Debatten bei, weg vom Krisenmodus hin zu strategischen Überlegungen. Der Erfolg der Umsetzung hängt allerdings von der Stabilität der diplomatischen Beziehungen und von der Effizienz der administrativen Prozesse in der Praxis der Auswanderer ab, z. B. in Bezug auf die Visabeschaffung.
Gehälter, von denen man eine Familie ernähren kann, der Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung, eine respektvolle Arbeitsatmosphäre und ein gutes Bildungssystem für die Kinder sind wichtige Kriterien. Für Zuwanderer, die in Deutschland bleiben wollen, sind ein unkomplizierter Familiennachzug und Weiterbildungsmöglichkeiten wichtig. Diskriminierung aufgrund der Herkunft darf nicht passieren. Um die Aufstiegschancen in Deutschland gerechter zu verteilen, muss die Vermittlung der deutschen Sprache sowohl für die Erwachsenen als auch für ihre Kinder verbessert werden. Aus der Perspektive der Diaspora sollte das Potential der Zugewanderten, die bereits in Deutschland sind und das hiesige Gesellschaftssystem kennen, besser ausgeschöpft werden. Hier liegen enorme Ressourcen brach.
Diasporaorganisationen werden nach meinem Kenntnisstand nicht direkt einbezogen. Es gibt aber Kanäle, über die die Diaspora ihre politischen Positionen der Bundesregierung mitteilen kann. Auf der operationellen Ebene wenden sich Durchführungs- und Arbeitgeberorganisationen nur sehr punktuell an Diasporaorganisationen, z. B. für die Anbahnung von Kontakten im Herkunftsland, für Vorintegrationsmaßnahmen oder um den Perspektivwechsel in der Programmentwicklung zu erleichtern. Um Machtasymmetrien abzubauen, müssen Kooperationsformen entwickelt werden, über die das Wissen und die Dienstleistungen der Diasporaorganisationen unbürokratisch und fair entlohnt werden können. Der Mehrwert wäre, dass Diasporaorganisationen den Migrationsprozess, von der Identifikation der Talente im Herkunftsland bis zu deren Arbeitsaufnahme im Zielland, aus einer Hand flexibel, lebensweltnah und menschenzentriert begleiten könnten. Die Interessen der Zuwanderer und die Herausforderungen mit Blick auf ihre soziale Integration würden vom Anfang an mitgedacht, was zu nachhaltigeren Lösungen führen würde.
In der Inlandsarbeit sind zahlreiche Diasporaorganisationen in der sozialen und beruflichen Integration von Einwanderern tätig und arbeiten hierfür vertrauensvoll mit kommunalen Ämtern zusammen. Viele dieser Aktivitäten sind dank öffentlicher Finanzierungen möglich. Der weitere Abbau von institutionellen Hürden beim Zugang zu diesen öffentlichen Mitteln würde viel Potential freisetzen. In der Auslandsarbeit vernetzen Diasporaorganisationen Stakeholder von der kommunalen bis zur transnationalen Ebene, bauen Multi-Stakeholder Kooperationen auf, transferieren Wissen und Informationen, organisieren internationale Jugend- und Fachkräfteaustausche, wirken als Korrektiv in staatlichen Konsultationen und organisieren die qualifizierte Weiterbildung von Zielgruppen. Der Staat müsste diese Zwischenräume, die den strukturierten Übergang von einer Gesellschaft in die andere ermöglichen, viel besser anerkennen und fördern.
Dank zuverlässiger transkontinentaler Internetinfrastrukturen würden sich vielfältige Formen der Fernarbeit und der temporären oder permanenten Auswanderung ergänzen. Die Politiken wären menschen- und familienzentriert, transkontinentale Arbeits- und Bildungsräume würden entstehen, in denen Fachkräfte sich ohne wesentliche Status- und Einkommensverluste sowohl im Ziel- als auch im Herkunftsland beruflich einbringen könnten. Die Talente würden, in enger Kooperation mit den Bildungsbehörden der Drittstaaten, bereits im Bildungssystem identifiziert und gefördert. Zahlreiche binationale Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen, attraktive Modelle der zirkulären Migration, ausgefeilte Stipendienprogramme erleichterten die transnationale Mobilität auch dank Abschlüssen und Zertifikaten, die in beiden Ländern anerkannt wären. Private Bildungsunternehmer, die Sprach- oder Berufsschulen betreiben, würden im Hinblick auf die transnationale Arbeitsmobilität auf Grundlage eines strengen Qualitätsmanagements arbeiten. Die Berufsbilder wären weltweit angeglichen und international anerkannte Weiterbildungsmöglichkeiten würden die Karriereentwicklung unterstützen. Das Recht auf Freizügigkeit würde viel mehr Menschen erreichen.
Das Interview führte Alexander Rosenplänter.
Dr. Rachid L’Aoufir berät öffentliche Verwaltungen, Forschungseinrichtungen und Wohlfahrtsverbände in Sachen internationale Zusammenarbeit und diversitätsorientierte Organisationsentwicklung. Er hat zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen ins Leben gerufen, vor allem, um den Zugang von jungen Menschen zum Arbeitsmarkt zu erleichtern und um die Stimme der Diaspora politisch hörbar zu machen. Er sitzt der entwicklungspolitischen Bundesdachorganisation Afrikanisch-Deutsche Arbeitsgemeinschaft e. V. (A.D.A.G.E.) vor. Über Transnational Corridors e. V. leitet er transnationale Vorhaben.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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