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Ein Interview mit dem Kinderschutzbund Hamburg zur Integrationsbegleitung von Kindern, Jugendlichen und Familien mit Fluchtgeschichte.
Mehr als fünf Jahre ist es her, dass viele Menschen - darunter auch viele allein reisende Minderjährige - auf der Flucht nach Deutschland kamen. Ehrenamtliche Unterstützer_innen erleichterten in dieser Zeit vielen Menschen das Ankommen erheblich und halfen bei Behördengängen und dem Sichzurechtfinden in der neuen Umgebung.
Der Kinderschutzbund in Hamburg bietet seit dieser Zeit eine Begleitung für geflüchtete Kinder, Jugendliche und Familien sowie interessierte Ehrenamtliche an, die in einem Pat_innenschaftsprojekte oder im Vormundschaftsprojekt zusammenkommen (wollen). Wir fragten die Projektkoordinatorinnen Elena Menne und Lilith Buchartowski wie die Situation heute ist.
FES: Seit 2015 ist die Zahl der Menschen, die in Deutschland ankommen, kontinuierlich gefallen, ähnlich wie der Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Situation von Geflüchteten. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Lilith Buchartowski und Elena Menne: Dass inzwischen weniger Menschen neu in Deutschland ankommen, heißt nicht, dass diese nicht auf Hilfe angewiesen sind und auch nicht, dass Diejenigen, die schon eine Weile hier sind, keiner Unterstützung mehr bedürfen. Integration ist ein kontinuierlicher und langfristiger Prozess. Mit unseren Ehrenamtsprojekten für geflüchtete Zielgruppen machen wir darauf aufmerksam, wie wesentlich die persönliche und freiwillige Begleitung für die Integration von Kindern, Jugendlichen und Familien mit Fluchthintergrund ist. Viele Geflüchtete, die sich Unterstützung durch Pat_innen oder Vormünder_innen wünschen, sind schon einige Zeit in Hamburg, kennen allerdings noch immer nur wenig Leute in und aus Hamburg. Sie fühlen sich einsam und isoliert. Während die Situation geflüchteter Menschen in den Jahren 2015 und 2016 medial überall präsent war, gerät sie inzwischen immer stärker aus dem Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Der persönliche Kontakt zu Menschen in der neuen Heimat ist allerdings nicht nur direkt nach der Ankunft, sondern auch im Laufe des „Sich-Einlebens“ absolut entscheidend für die Integration. Deshalb bringen wir in Hamburg ganz verschiedene Menschen zusammen, die im Alltag sonst eher nebeneinander als miteinander gelebt hätten.
Letztes Jahr ist die mediale Präsenz durch die verheerenden Umstände auf Lesbos wieder angestiegen, nicht zuletzt durch den Brand im Flüchtlingscamp von Moria. Das haben wir insofern gemerkt, als dass viele Anfragen für eine Patenschaft für einen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten kamen. Die Bilder regten dazu an, aktiv werden zu wollen. Viele, die es seit 2015 wollten, aber nicht geschafft haben, meldeten sich letztes Jahr. Außerdem waren viele durch die Coronapandemie in Kurzarbeit und hatten so mehr Zeit sich zu engagieren.
In den letzten Jahren sind auch durch Ihre Arbeit dauerhafte Netzwerke von Menschen, ehemaligen Teilnehmenden an ihren Programmen und beteiligten Institutionen entstanden, die sicherlich viel zum Thema gelingende Integration zu sagen hätten. Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Punkte?
Persönlicher Kontakt in Form von freiwilligen Pat_innenschaften und Vormundschaften ist absolut wertvoll für die Integration geflüchteter Menschen, weil sich Leute begegnen, die sonst im Alltag wahrscheinlich nicht zueinander gefunden hätten und langfristige Beziehungen entstehen können, von denen beide Seiten profitieren.
Um all die herausfordernden Strukturen, Regeln und bürokratischen Prozesse in Deutschland zu verstehen und zu überstehen, sind viele geflüchtete Menschen auf die freiwillige und parteiliche Unterstützung von hiesigen Kontakten angewiesen. Sie leisten eine sehr wesentliche Vermittlungs- und Übersetzungsarbeit, die die Integration sehr positiv beeinflussen kann.
Es gibt in Hamburg eine tolle Infrastruktur zur vielseitigen professionellen Unterstützung und Beratung von geflüchteten Menschen, um deren Integration zu erleichtern. Diese muss allerdings erstmal entdeckt, verstanden und nutzbar gemacht werden. Ehrenamtliche Unterstützer_innen stellen hier eine wichtige „Brücke“ zwischen den Geflüchteten und dieser Unterstützungslandschaft dar: Sie begleiten, vermitteln und erklären mit Geduld, Elan und Interesse.
Pat_innenschafts- und Vormundschaftsprogramme leben ja vom Vertrauen, das durch Begegnungen und Gespräche aufgebaut wird. Wie kann das unter Coronabedingungen gewährleistet werden?
Die Herausforderung lieg in Corona-Zeiten darin, die Verbindung nicht zu verlieren, auch wenn der persönliche Kontakt nur eingeschränkt möglich ist. Die Ehrenamtlichen und auch die Kinder, Jugendlichen bzw. Familien, müssen jetzt kreativ werden und mit der Unterstützung durch den Kinderschutzbund neue Wege der Kontaktgestaltung finden, mit denen sie sich auch wohl fühlen: Es finden Videotelefonate statt, große Räume für den Kontakt mit Abstand werden aufgetan und die Spaziermuffel zum Rausgehen motiviert. Solange beide Seiten an dem Weiterbestehen der Patenschaft oder Vormundschaft interessiert sind, konnten bisher immer individuell passende Lösungen besprochen werden.
Eine Pat_innen- oder Vormundschaft zu übernehmen, ist eine große Verantwortung. Was ist die wichtigste Frage, die sich Interessent_innen stellen sollten?
Kann ich mir vorstellen, ein Kind, einen Jugendlichen oder eine Familie mit Fluchthintergrund für einen gewissen Zeitraum verbindlich zu begleiten und bin ich offen und neugierig, für die Themen, die in diesem Zusammenhang auf mich zukommen könnten?
Kann man eine Zwischenbilanz ziehen, was das Pat_innenschafts- und Vormundschaftsprogramm einerseits für die jungen Geflüchteten und andererseits für die Ehrenamtlichen bringt?
Es entstehen langjährige Beziehungen, die für beide Seiten bedeutsam, emotional und interessant sind. Ehrenamtliche erweitern ihren Horizont, erleben Sinn in ihrer Tätigkeit und haben die Möglichkeit, sich in die Lage der Kinder, Jugendlichen und Familien zu versetzen. Nicht selten erleben sie ganz direkt, mit welchen strukturellen, bürokratischen oder auch individuellen Herausforderungen Menschen, die sich integrieren wollen, zu tun bekommen. Sie spüren, welche entscheidende Rolle eine Person spielen kann, die in Behörden daneben sitzt, bei der Ausbildungssuche hilft oder einen Ort darstellt, der außerhalb der Jugendwohnung oder der Wohnunterkunft liegt. Die Kinder, Jugendlichen oder Familien, die wir mit Pat_innen oder Vormünder_innen bekannt machen, erfahren, dass da Jemand an ihrer Seite ist und auch mal außerhalb von Öffnungszeiten und Terminen beraten und unterstützen kann. Sie machen die Erfahrung, dass es in der neuen Heimat Menschen gibt, die sich ehrlich interessieren, ihre Hilfe anbieten und sich mitfreuen, wenn Integration schrittweise gelingt.
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