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Der Staatskollaps in Libyen stand lange im Schatten des syrischen Bürgerkriegs. Die Schließung der Balkanroute bringt den Mittelmeerstaat nun wieder in den Fokus von Politik und Medien.
Bild: Bild: ENI Oil platform Bouri Urheber: Cipiota Lizenz: CC BY-SA 3.0
Als 2011 in Damaskus und anderen syrischen Städten noch demonstriert wurde, war in Libyen der Bürgerkrieg bereits in vollem Gange. Doch während sich die westlichen Staaten in Syrien bis heute nicht zu einem direkten Eingreifen durchringen konnten, wurde in Libyen die Intervention geprobt. Vielleicht erhoffte man sich, dass ein schnell durchgeführter und vor allem erfolgreicher Eingriff nicht nur das großflächige Wüstenland befrieden würde, sondern die ganze Region stabilisieren könnte – der „Arabische Frühling“ war schließlich gerade hochaktuell. Es kam anders, der „Regime Change“ von außen brachte in Libyen nicht die Demokratie, sondern den Staatszerfall, und Syrien mitsamt dem Arabischen Frühling haben sich in einen Albtraum aus Zerstörung, Krieg und Flucht verwandelt. Zudem hat die Intervention das noch junge Konzept der Schutzverantwortung diskreditiert. Zu allem Übel ist Libyen zum wichtigsten Schlachtfeld des sogenannten Islamischen Staates außerhalb des Irak und Syrien geworden. Alles in allem ein Scherbenhaufen.
Auch für die gemeinsame europäische Außenpolitik war die Entscheidung zur Bombardierung Libyens ein Tiefpunkt, denn Deutschland als temporäres Mitglied des Sicherheitsrats enthielt sich bei der Abstimmung über die Resolution. Und Italien, das Land mit den engsten Beziehungen zu und größten Interessen in Libyen, war zwar zunächst gegen ein militärisches Eingreifen, unterstützte dieses dann aber doch, aus Sorge in eine isolierte Position gegenüber den wichtigsten Verbündeten zu geraten, schreibt Roberto Aliboni vom Instituto Affari Internazionale (Rom) in seiner neuen Studie „Italiens Libyenpolitik – Zwischen Krisenmanagement und strategischen Interessen“ für das FES-Büro in Rom.
Italien kommt eine Schlüsselrolle in der Außenpolitik der EU-Staaten mit Libyen zu. Denn das EU-Gründungsmitglied ist nicht nur ein Nachbar des nordafrikanischen Staates, Italien pflegt auch seit der Zeit als Kolonialmacht von 1911 bis 1947 enge wirtschaftliche Beziehungen mit Libyen. Selbst während der Gaddafi-Zeit blieben die Kontakte jenseits revolutionärer Rhetorik eng, ja exzellent und kulminierten 2008 im „Freundschafts-, Partnerschafts- und Kooperationsvertrag“ – man erinnert sich an Gaddafi in Rom im mitgebrachten Beduinenzelt. Wichtig sind die italienischen Interessen im Energiesektor – das Land bezieht den größten Teil seines Öls aus Libyen und ist dessen bedeutendster Handelspartner. Der Ölkonzern ENI ist das größte Unternehmen Italiens und zu 30 Prozent in Staatsbesitz.
Mit der Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge ist Libyen nun wieder in den Fokus der Welt- oder zumindest der europäischen Öffentlichkeit gerückt. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres haben mehr als 2.100 Menschen auf der gefährlichen Überfahrt nach Italien ihr Leben verloren. Mehr als 49.000 haben es nach Europa geschafft, so Amnesty International.
Aufgrund der Energie-, Sicherheits-, und Migrationspolitik hat die Krise in Libyen auf der außenpolitischen Agenda Roms höchste Priorität, schreibt Roberto Aliboni. Die Regierung Renzi unterstützt die Vermittlungsbemühungen der UN und sei gar bereit, eine Führungsrolle zu übernehmen, auch militärisch: Einsatzpläne mit einer 5.000 Mann starken Truppe würden vom Generalstab vorbereitet. Denn die „Stabilisierung der politischen Institutionen“ habe die höchste Priorität, so Aliboni. Rom sei entsprechend auch bereit, moderate Islamisten in der Regierung der Nationalen Einheit zu akzeptieren. Dies steht im Gegensatz zur französischen Regierung - da diese die Linie Ägyptens unterstützt und gegen die Beteiligung der Muslimbrüder ist.
Dass es die Regierung der Nationalen Einheit in Libyen überhaupt gibt, ist der Einigung von letztem Dezember geschuldet. Auch die deutsche Diplomatie hat ihren Beitrag mit der Ausrichtung einer großen Konferenz im Juni 2015 in Berlin geleistet. Und vor zwei Monaten besuchten Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault Tripolis. Ihren sozialdemokratischen italienischen Kollegen Paolo Gentiloni hatten sie nicht dabei. Das muss nichts heißen, gemeinsame Reisen von Außenministern sind die Ausnahme. Allerdings sollten sich wenigstens die großen EU-Staaten auf eine gemeinsame Linie verständigen. Eine Wiederholung des kleinlichen Spiels um Flüchtlingsquoten kann sich die EU nicht leisten. Der UN-Sonderbeauftragte für Libyen Martin Kobler erwartet, dass dieses Jahr über 100.000 Flüchtlinge von Libyen aus versuchen werden Europa zu erreichen. Vielen Beobachter_innen scheint diese Zahl eher niedrig angesetzt zu sein.
weiterführende Links:
Roberto Aliboni: Italiens Libyenpolitik – Zwischen Krisenmanagement und strategischen Interessen, FES 2016
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