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Die Versorgung von ukrainischen Geflüchteten wird in Bulgarien vor allem von Ehrenamtlichen geschultert. Ein Artikel der Journalistin Maria Cheresheva
Zwei Monate nach Beginn der russischen Militärinvasion in der Ukraine kennt Adelina Banakieva, eine Freiwillige aus Sofia, nicht die genaue Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine, für deren Unterkunft und Unterstützung sie bereits gesorgt hat. „Derzeit kümmere ich mich um 26 Personen, nur die Erwachsenen, ohne die Kinder mitzuzählen. Und daneben ich weiß nicht wie viele Katzen und Hunde“, erzählt sie.
Seit Jahren unterstützt sie Kinder mit Behinderungen und ihre Mütter in Bulgarien, weshalb sie unter den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine auch mit einigen der herausforderndsten Fällen konfrontiert ist - Kinder mit Zerebralparese und Epilepsie. Adelina vermittelt diese Fälle ins Ausland, weil es in Bulgarien weder Mechanismen gibt, um eine angemessene Behandlung für sie zu gewährleisten, noch Möglichkeiten für ihre Eltern, einen Job aufzunehmen. Und sie tut es allein, ohne die Hilfe der Institutionen. Sie wird jedoch von Spender_innen, Freiwilligen und Medien unterstützt. „Ich habe das Gefühl, auf einer Autobahn zu fahren und keine Zeit zu haben, auf mein Navi zu schauen, und ich weiß nicht, wohin ich fahre. So geht es im Moment allen Freiwilligen“, kommentiert Adelina.
In Bulgarien, wie auch in vielen anderen Ländern, waren es Freiwillige und zivilgesellschaftliche Organisationen, die als erste den beispiellosen Zustrom von Geflüchteten empfingen, der durch den Krieg gegen die Ukraine verursacht wurde. Blitzschnell organisierten sich die bulgarischen Bürger und Bürgerinnen, öffneten ihre Häuser für die Ukrainerinnen und Ukrainer und begannen, sie sowohl von den Landesgrenzen als auch aus den ukrainischen Grenzgebieten zu transportieren. Mit Hilfe von Privatunternehmen und Nichtregierungsorganisationen übernahmen sie die Bereitstellung von humanitärer und psychologischer Unterstützung, Kinderbetreuung, Kultur- und Unterhaltungsaktivitäten, um ein bisschen Normalität in den neuen Alltag der Schutzsuchenden in unserem Land zu bringen. Und wenn dies auch in den ersten Tagen der Krise angesichts der größeren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des zivilgesellschaftlichen Sektors als normal angesehen werden konnte, so merkt man im dritten Monat nach Beginn der militärischen Aktivitäten Müdigkeit und Unzufriedenheit mit der schwerfälligen Reaktion der Institutionen unter den Freiwilligen .
Nach Angaben des Ministerrats auf dem offiziellen Regierungsportal zur Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge, hatten bis zum 18. April fast 195.000 ukrainische Bürger und Bürgerinnen die Landesgrenzen überschritten, und etwas mehr als 91.000, darunter 35.000 Kinder, entschieden sich zu bleiben. Die veröffentlichten Daten zeigen auch, dass im Rahmen des Programms für den Einsatz humanitärer Hilfe für Vertriebene aus der Ukraine, das Mitte März in Kraft getreten ist, mehr als 50.000 ukrainische Staatsbürger und -Bürgerinnen in Hotels oder staatlichen und lokalen Regierungsgebäuden untergebracht sind. Somit wurde über ein Drittel der Schutzsuchenden aus der Ukraine von der bulgarischen Zivilgesellschaft und Privatpersonen aufgenommen.
Allerdings birgt die unkontrollierte private Unterbringung von Geflüchteten, im häufigsten Fall Mütter mit Kindern, Risiken, wie Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung und Arbeitsausbeutung sowie Obdachlosigkeit, erklärt Diana Dimova. Sie ist Gründerin und Vorsitzende von „Mission Wings“ - eine Stiftung aus Stara Zagora, die die schutzbedürftigsten Gruppen in der bulgarischen Gesellschaft unterstützt. Sie selbst hat seit Beginn der Krise viele ähnliche Fälle erlebt und ukrainischen Frauen geholfen, in betreuten Wohnungen untergebracht zu werden. Allerdings gilt das staatliche Programm zur Unterbringung Schutzsuchender nur bis Ende Mai und derzeit plant die Regierung keine Verlängerung. Das Programm stellt den Unterbringungseinrichtungen 40 BGN (ca. 20€) pro Tag und Flüchtling für Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung.
Das Programm wurde von Anfang an kritisiert, weil es nur Unternehmen und staatliche Einrichtungen als Empfänger finanzieller Unterstützung legitimiert, während es die Ausgaben der freiwilligen Helfer für die Geflüchteten nicht berücksichtigt. Außerdem sei das Programm nicht nachhaltig, insbesondere mit Blick auf die nahende Tourismussaison im Sommer.
Zurzeit sind die meisten Ukrainer_innen in den Hotels an der Schwarzmeerküste untergebracht. Zum einen aufgrund der zahlreichen freien Betten, aber auch, weil sie selbst die bulgarischen Badeorte als Touristen kennen und lieber auf Vertrautes setzen. Außerdem gibt es in den Regionen von Varna und Burgas bedeutende russisch- und ukrainischsprachige Gemeinschaften, die die Neuankömmlinge maßgeblich unterstützen. Dies führt jedoch zu einem übermäßigen Anstieg der Zahl der Menschen, die in Küstenstädten und Ferienorten leben. Diese sind nicht in der Lage, für Zehntausenden von Müttern mit Kindern die Gesundheits-, Sozial- und Bildungsdienste bereitzustellen, die sie benötigen.
„Wir stehen vor einer humanitären Katastrophe. Die Touristensaison beginnt Ende Mai und das Unterkunftsprogramm läuft aus. Die Regierung erwägt, diese Menschen in Winterresorts zu bringen. Ist es das, was wir mit diesen Menschen machen werden: sie zum Meer und Skifahren bringen und sie alle sechs Monate umsiedeln lassen? Das sind traumatisierte Kinder, Menschen, die nicht wissen, was sie tun sollen, wohin sie gehen sollen, mit vielen unterschiedlichen Bedürfnissen“, kommentierte Diana Dimova.
Das Kabinett hat noch keine Pläne bekannt gegeben, wie und wohin es beabsichtigt, die mehr als 50.000 Menschen, die derzeit entlang der Schwarzmeerküste untergebracht sind, umzusiedeln. Laut Krassimira Velichkova, Beraterin der stellvertretenden Premierministerin Kalina Konstantinova, werden derzeit Daten über die verfügbaren Plätze in den Urlaubsorten von staatlichen Unternehmen und Gesellschaften gesammelt, auf die Geflüchtete aus der Ukraine umverteilt werden könnten.
Derzeit befindet sich die neue Regierung in einer Situation, in der sie eine Flüchtlingspolitik von Grund auf aufbauen muss. „Wir befinden uns nicht nur in einer Notsituation, die für jeden schwer zu bewältigen wäre, und das liegt nicht daran, dass unsere Systeme nicht funktionieren, sondern auch daran, dass wir oft auf heftigen Widerstand von allen Seiten stoßen", räumt Krassimira Velichkova ein. Gleichzeitig arbeitet die Regierung derzeit an drastischen Gesetzesänderungen in verschiedenen Bereichen, um ukrainischen Flüchtlingen ein möglichst vereinfachtes Verfahren zu gewährleisten, damit diese „wieder auf die Beine kommen“ und soziale Unterstützung und Gesundheitsrechte erhalten können. Denn derzeit haben Geflüchtete nur Zugang zu Krankenhausbehandlungen. „Institutionen sind langsame Maschinen, es braucht Zeit, alles zu schreiben", betont sie.
Im Jahr 2021 verabschiedete das 3. Kabinett Borisov eine neue Nationale Migrationsstrategie (2021-2025). Bemerkenswert ist, dass der Titel der alten „Nationale Strategie zu Migration, Asyl und Integration (2015-2020)“ lautete, im Namen der neuen Strategie aber die Wörter „Asyl und Integration“ ausgelassen wurden. In Wirklichkeit jedoch hat keine der beiden Strategien je eine Wirkung gehabt, da kein zugehöriger Aktionsplan und Finanzrahmen verabschiedet wurde. Das Ergebnis ist laut einem in der Asylum Information Database (AIDA) veröffentlichten Bericht das achte „Nulljahr“ für die Integration in im Land.
Trotz der positiveren Einstellung gegenüber den Geflüchteten die vor der russischen Aggression fliehen, unterscheidet sich der Umgang mit ihnen in sozialer Hinsicht nicht wesentlich von dem mit den Menschen, die vor Konflikten im Nahen Osten und in Nordafrika fliehen. Empfänger_innen von vorübergehendem Schutz haben Zugang zu einer einmaligen finanziellen Unterstützung der Sozialhilfeagentur in Höhe von bis zu 375 BGN (etwa 190€), auf die sie praktisch etwa zwei Monate warten.
Die Regierung gewährt ihnen keine andere Form der finanziellen Unterstützung, da sie erwartet, dass sie so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt eintreten. Laut dem Minister für Innovation und Wachstum, Daniel Lorer, haben Arbeitgeber 150.000 offene Stellen für Ukrainer in den Sektoren IT, Transport, Tourismus und anderen ausgeschrieben, eine Zahl, die von Atanaska Todorova von CITUB, dem Bund der unabhängigen Gewerkschaften in Bulgarien, als übertrieben bewertet wird. „Wo sind diese Arbeitsstellen – das kann uns niemand beantworten“, erklärt sie. „Wir können sagen, dass etwa 1.000 Menschen eine Arbeit aufgenommen haben – von den 83.000, die im Land geblieben sind (das Interview wurde am 13. April geführt – Anmerkung der Autorin). Das ist ein sehr geringer Prozentsatz, berücksichtigt man, dass sie die Möglichkeit haben legal zu arbeiten und ihnen im Vergleich zu anderen Flüchtlingen geholfen wird“, ergänzt sie. Auch das Gehalt sei ein Problem. Denn laut der Gewerkschafterin wird in den meisten Jobs Mindestlohn bezahlt. Dies bedeutet, dass Geflüchtete, die in der Regel Frauen mit einem oder mehreren Kindern sind, mit 710 BGN (ca. 360€) pro Monat ihre Miete bezahlen und ihre Familien ernähren müssen.
Unklar ist auch, wie angesichts des Mangels an Plätzen in städtischen Kinderkrippen und Kindergärten auch für bulgarische Familien die Frage der Kinderbetreuung für die tausenden ukrainischen Kinder geregelt werden soll, damit ihre Mütter arbeiten können. Auch der Zugang zu Bildung ist aufgrund von Problemen mit den Impfausweisen ukrainischer Kinder und der Sprachbarriere eine Herausforderung. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft hat bereits angekündigt, dass das Bildungssystem bis zu 60.000 Kinder aufnehmen kann. Die Frage, was getan wird, wenn in den nächsten Monaten mehrere hunderttausend Menschen in Bulgarien ankommen, bleibt unbeantwortet. „Wir haben keine Politik für sie. Wir haben keine Politik, für gar nichts", so Adelina Banakieva, die Freiwillige Helferin aus Sofia.
Die Beraterin der stellvertretenden Premierministerin Krassimira Velichkova bestreitet nicht, dass der Staat bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert hat. Gleichzeitig würdigt sie als Errungenschaft, dass 80 Prozent der im Land untergebrachten ukrainischen Bürger und Bürgerinnen bereits vorübergehenden Schutz genießen – ein ziemlich hoher Prozentsatz verglichen mit dem EU-Durchschnitt. Zu Beginn der Ukraine-Krise gab es fünf verfügbare Zentren der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge, derzeit werden bereits an 175 Stellen im Land Dokumente bearbeitet. Für sie war die Entscheidung, ukrainische Familien zunächst in Ferienhotels unterzubringen, die richtige, denn die andere Alternative seien Zelte gewesen.
Die freiwillige Helferin Adelina Banakieva ist überzeugt, dass die Freiwilligen bereits am Ende ihrer Kräfte und Fähigkeiten sind und dass es höchste Zeit ist, dass der Staat seine Rolle übernimmt. „Was sich abzeichnet ist, dass wir uns nicht um diese Menschen kümmern können. Wir sind auf freiwillige Helfer und Helferinnen angewiesen und danken ihnen sehr. Ich will nicht, dass man sich bei mir bedankt. Ich will davon befreit werden. Ich habe meinen Job, meine Familie, mein Kind, das noch minderjährig ist, aufgegeben, um die Arbeit des Staates zu tun!“, betont sie.
Die Vorsitzende von „Mission Wings“, Diana Dimova teilt die Meinung, dass derzeit etwa 75 Prozent der Last bezüglich der Aufnahme und Betreuung von Geflüchteten aus der Ukraine von Privatpersonen und Freiwilligen getragen wird. „Institutionen können nicht einfach mit den Schultern zucken und sagen: Ich weiß nichts, geht damit um, wie ihr könnt! Ich sehe das überall, im ganzen Land“.
Trotz der Belastung und der Enttäuschung über die schwache institutionelle Reaktion ist sie jedoch optimistisch, dass die aktuelle Krise zu einer qualitativen Veränderung für alle Flüchtlinge und Migranten in Bulgarien führen könnte. „Ich habe mich sehr geärgert über all die kleinen Schlachten, die wir für die „unerwünschten Flüchtlinge“ aus dem Süden nicht gewinnen konnten. Aber irgendwann habe ich meine Meinung geändert und mir gesagt, dass diese Situation jetzt auch seine Vorteile hat. (...). Wir haben keine bessere Chance, die Politik zu verändern, um die Situation für alle Menschen zu verbessern“, ist ihre Überzeugung.
Maria Cheresheva ist eine freiberufliche Reporterin und Radiomoderatorin in Sofia. Sie arbeitet als freie Korrespondentin für den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF. In ihrer Arbeit widmet sie sich vor allem sozialen und politischen Themen, Menschenrechten und Migration. Ihre Arbeit wurde in einer Reihe von internationalen Medien veröffentlicht, darunter Balkan Insight, OCCRP, Deutsche Welle, BBC und Ethical Journalism Network. Als ehemalige bulgarische Korrespondentin des Balkan Investigative Reporting Network hat sie an einer Reihe von grenzüberschreitenden Recherchen gearbeitet, die sich vor allem mit Waffenschmuggel befassten.
Sie hat einen Bachelor-Abschluss in Europastudien von der Sofia Universität St. Kliment Ohridski und ist eine der Gründerinnen der bulgarischen Sektion der Association of European Journalists (AEJ), einer internationalen Gruppe für Pressefreiheit. Die AEJ-Bulgarien setzt sich für die Förderung eines freien, unabhängigen und ethischen Journalismus im Lande ein.
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