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Über Motive und fehlende Definitionen in der Debatte um Fluchtursachen. Ein Interview mit Dr. Benjamin Schraven.
Bild: Benjamin Schraven von privat
Bild: Darfur refugees in Chad von ©2018 European Union / photo by Dominique Catton lizenziert unter CC BY-ND 2.0
Benjamin Schraven ist Wissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn und arbeitet zu den Themen Migration, Flucht und Klimawandel. In seiner kürzlich veröffentlichten Studie, untersucht er die deutsche Debatte um Fluchtursachenbekämpfung der letzten Jahrzehnte. Wir sprachen mit ihm über die Ergebnisse seiner Studie.
FES: Sie schreiben in ihrer Studie von unterschiedlichen Motiven in der deutschen Debatte um Fluchtursachen ? Welche sind diese?
Benjamin Schraven: Es gibt hier mindestens drei Motive: Zum einen gibt es da quer durch die verschiedenen politischen Lager und Parteien, die Vorstellung, dass wir derzeit so etwas wie den Anfang einer „Völkerwanderung“ oder einer „Invasion“ – vor allem aus Afrika – erleben. Dies ist durch die verfügbaren Zahlen so nicht gedeckt.
Dann neigt man in der Debatte zu den Ursachen von Flucht und irregulärer Migration auch dazu, je nach politischen Überzeugungen, einzelne und teilweise eher vermeintliche Ursachen, eine mehr oder weniger monokausale Erklärungskraft zuzuschreiben. Nach dem Motto „Fluchtursache Armut“, „Fluchtursache Klimawandel“, „Fluchtursache Agrarsubventionen“ oder „Fluchtursache Rüstungsexporte“ – wenn man diese als „Hauptfluchtursachen“ definieren möchte, so hält dies einer empirischen Überprüfung nicht stand. Die Ursachen für Flucht und irreguläre Migration sind sehr komplex und multidimensional.
Und schließlich gibt es da noch das Motiv, dass die „Fluchtursachenbekämpfung“ vor allem „unsere“ Aufgabe – also die der Deutschen oder Europäer – sei. Das zeugt natürlich von einer besonderen deutschen Hybris.
Gibt es denn eine wissenschaftliche Definition von Fluchtursachen?
Nein, wie bei anderen Begrifflichkeiten aus dem Bereich Migration auch, gibt es keine (wissenschaftliche) Definition von Fluchtursachen, die allgemein anerkannt wäre.
Es gibt also viele Erzählungen aber keine Definition von Fluchtursachen. Welche (Arbeits-)Definition würden Sie vorschlagen?
Zunächst mal muss man anerkennen, dass es im wirklichen Leben – unabhängig von der eng gefassten völkerrechtlichen Definition von „Flüchtling“ – kaum möglich ist, eine genaue Grenze zwischen Flucht bzw. erzwungener Migration und freiwilliger Migration zu ziehen. Da gibt es sehr viele Grautöne.
Wenn man dies mitberücksichtigt und auch irreguläre Migration und gemischte Wanderungen miteinbezieht, kann man sicherlich unterscheiden zwischen strukturellen Ursachen wie fragiler Staatlichkeit oder wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit, die für gewöhnlich eine komplexe Gemengelage ergeben (s. o.), und unmittelbaren Ursachen wie bewaffneten Konflikten oder Naturkatastrophen.
Der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird bei der „Fluchtursachenbekämpfung“ eine besondere Rolle zugeschrieben. Wie sieht diese aus?
Nun, die Entwicklungszusammenarbeit soll ja vor allem mit Mitteln der Wirtschafts- bzw. Beschäftigungsförderung Jobs in Entwicklungsländern schaffen. Die Idee dahinter ist natürlich, dass so wirtschaftliche Perspektiven geschaffen werden, die (potentielle) Migrant_innen davon abhalten sollen, überhaupt erst nach Europa migrieren zu wollen. Dabei wird verkannt, dass das Verhältnis zwischen (wirtschaftlicher) Entwicklung und Migration gemeinhin ein positives ist: Wenn Löhne und Beschäftigung wachsen, steigt in den allermeisten Fällen auch das Bedürfnis nach (regulärer) internationaler Mobilität.
Können Sie hier ein Beispiel geben?
Diesen Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung kann man gut am wirtschaftlichen Aufstieg einiger bevölkerungsreicher Schwellenländer wie Indien, Pakistan, Mexiko oder China in den letzten Jahren bzw. Jahrzehenten ablesen. Das sind nämlich auch die Länder, aus denen schon seit einiger Zeit ein Großteil der weltweit Migrierenden stammt.
Sind die Erwartungen, die von der Politik an die EZ gerichtet werden, zu hoch? Wo liegen die Grenzen der EZ?
Ja, die EZ kann sicherlich nicht die Probleme des globalen Südens alleine lösen. Im Verhältnis zu den deutlich höheren ausländischen Direktinvestitionen oder den Rücküberweisungen von Migrant_innen, die in Entwicklungs- und Schwellenländer fließen, erscheint das Niveau der EZ schon beinahe bescheiden.
Die Mittel der EZ landen aber – entgegen der (alten) Klischees – weder größtenteils in den Taschen korrupter Eliten noch wird damit nur so ein bisschen „Gedöns“ wie ein paar Dorfbrunnen finanziert.
Die EZ kann durchaus einen wichtigen Beitrag zu besseren politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Verhältnissen im globalen Süden leisten. Die entscheidenden Impulse für mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung müssen aber aus den Ländern selber kommen.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist die Einrichtung einer Kommission „Fluchtursachen“ vereinbart. Wie könnte diese Kommission aussehen? Welche Impulse könnten von ihr ausgehen?
Es bedarf hier, denke ich, einer Kommission, die möglichst breit aufgestellt ist und auch die unterschiedlichsten zivilgesellschaftliche Vertreter_innen, Wissenschaftler_innen oder auch Verbandsvertreter_innen beinhaltet.
Ich würde mir wünschen, dass wir durch die Arbeit der Kommission zu einer insgesamt deutlich breiteren gesellschaftlichen Debatte über die Ursachen von Flucht und irregulärer Migration gelangen, die der Komplexität des Themas gerecht wird.
Dies sollte eine Debatte sein, die natürlich auch beleuchtet, welchen Anteil etwa Rüstungsexporte oder unsere Lebens- und Konsumweise im globalen Norden an den Ursachen von Flucht und irregulärer Migration haben – ohne sich aber in Pauschalisierungen zu verlieren oder z. B. die Rolle von lokalen Eliten in den Herkunftsländern zu marginalisieren.
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