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Timon Mürer

EU-Haushaltsstreit: Römisches Roulette?

'Rien ne va plus' zwischen Rom und Brüssel? Die römische Spendierlaune ist gefährlich, doch ebenso ideenlos ist das Sparmantra der Kommission.

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Jetzt wurden sie also eingeführt, die Rentenreform und das Bürgereinkommen. Mitte Januar beschloss die italienische Regierung diese „Wohltaten“. Beide waren Kernstücke der Wahlprogramme der Regierungsparteien „Movimento Cinque Stelle“ (M5S) und der Lega. Letztere setzte besonders auf die Rentenreform, die es um die 350.000 Italiener_innen ermöglicht, bereits mit 62 Jahren in Rente zu gehen. Die Kosten dafür sind allein in diesem Jahr mit 4 Milliarden Euro veranschlagt, bis 2020 sollen sie auf bis zu 8 Milliarden jährlich wachsen. Cinque Stelle dagegen wollte unbedingt das Bürgereinkommen, eine Art Grundsicherung, die es damit erstmals in Italien geben wird. Auch dieses ist mit massiven Mehrausgaben verbunden.

Vorausgegangen war ein monatelanger Streit mit der Brüsseler Kommission. Hier stieß man sich an der Missachtung der Euro-Stabilitätskriterien. Da die Republik Italien nach Griechenland die zweithöchste Schuldenlast in der Euro-Zone drückt – sie liegt bei 131% des Bruttoinlandsprodukts –, gelten für sie nochmals besondere Vorgaben. In der Tat stimmt das Auseinanderstreben  zwischen der schwächelnden Wirtschaft einerseits und höheren Ausgaben andererseits skeptisch. Der Ökonom Gianfranco Viesti stellt in der Studie „Der italienische Haushaltsentwurf 2019 - Erste Analysen und Bewertungen“ für  das Auslandsbüro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung fest, dass „insgesamt […] Zweifel darüber [bestehen], ob der Haushaltsentwurf die von der Regierung gesetzten Wachstumsziele tatsächlich erreichen kann“. Die Regierung in Rom operiert wohl mit bewusst geschönten Zahlen. Auch das eigene parlamentarische Haushaltsbüro „hat die Wachstumsprognosen der Regierung nicht bestätigt.“

Die Zukunft solls bezahlen

Die simple Frage „wer soll das bezahlen?“ wird mit „die Zukunft“ beantwortet, sprich höheren Schulden. Und hier beißt sich der Hund auch selbst in den Schwanz. Denn die Finanzmärkte reagierten ob möglicher neuer Schulden nervös. Das Resultat davon: Der sogenannte Spread, der Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen, steigt und damit die Zinslast für den Staat. Weniger Geld für die eigentlich wichtigen Dinge.

Schlussendlich hat die Kommission bei dem Tauziehen mit Rom den längeren Atem gehabt. Das anvisierte Defizit von 2,4% der Wirtschaftsleistung wurde auf 2,04% angesetzt. Rom kann also nicht alle Ausgaben wie gewollt umsetzten. Ist das nun ein Erfolg der Vernunft?

Stabilitätskriterien über alles

So ganz will man sich die Position Brüssels nicht ohne weiteres zu eigen machen. Denn die italienische Wirtschaft kann nach Jahren des Sparens durchaus Wachstumsimpulse und umfangreiche Investitionen benötigen. Zudem ist der Aufbau sozialstaatlicher Strukturen und mehr Mittel zur Armutsbekämpfung zu begrüßen. Doch der Spielraum der Euro-Stabilitätskriterien ist so eng, dass man sich fragen muss, ob eine eigenständige Wirtschaftspolitik überhaupt noch möglich ist. Unschön ist auch, dass anscheinend mit zweierlei Maß gemessen wird, wurden doch Macrons milliardenschwere Zugeständnisse an die Gelbwesten von Währungskommissar Moscovici die Brüsseler Absolution erteilt.

Nicht nur vor dem Hintergrund, dass Griechenland fast totgespart wurde, hat der italienische Publizist Thomas Fazi in seinem Beitrag „Illusion: Die EU lässt sich demokratisieren“ im IPG-Journal davon gesprochen, dass eine demokratische Reform von und eine keynesianische Wirtschaftspolitik in der EU schlicht Illusion sind. Er fordert daher eine Rückentwicklung der EU und mehr Nationalstaat. Das klingt arg defätistisch, zudem steht das Beispiel Portugals dem entgegen. Hier hat man sich zunächst innerhalb der Sparpolitik, mittlerweile jenseits dieser aus der Wirtschaftskrise herausgearbeitet.

Dennoch bleibt die Skepsis, ob das europäische Institutionengefüge tatsächlich so politisiert werden kann, dass eine andere als die vorherrschende, rein marktorientierte Politik möglich wäre. Das Tina-Mantra (there is no alternative), die Verträge und die Rechtsprechung lassen wenig erhoffen. Doch ist auch die Hoffnung, dass man im übersichtlichen nationalstaatlichen Rahmen dem global (oder zumindest europäisch) flottierenden Kapital nochmals Herr werden könnte, eine Illusion. Kurz: Gut europäisch durchgewurstelt.

Ansprechpartnerin in der Stiftung

Beate Martin

Viesti, Gianfranco

Der italienische Haushaltsentwurf 2019

Erste Analysen und Bewertungen
Rom, 2018

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