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Gewerkschafter*innen verbanden auf dem L7-Gipfel vom 12–13. Mai 2022 praktische Forderungen mit einer breiteren konzeptionellen Reflexion. Ein Bericht von Mirko Herberg.
„Wir müssen präziser und in einer für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verständlichen Sprache definieren, was wir von den Staats- und Regierungschefs in dieser Zeit der Krise erwarten!“ Yasmin Fahimi, die neu gewählte DGB-Vorsitzende und erstmalig Gastgeberin des L7-Gipfels, verschwendete in ihrer Rede keine Zeit mit leeren Worten, sondern forderte direkt praktische Maßnahmen:
Die neue geopolitische Konstellation erhöhe die Dringlichkeit der Solidarität und der Suche nach sozial gerechten Lösungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der ganzen Welt, so Fahimi.
Die 40 teilnehmenden Gewerkschafter*innen verbanden auf dem zweitägigen Gipfel in der FES am 12. und 13. Mai 2022 praktische Forderungen für Beschäftigte im globalen Norden und Süden mit einer breiteren konzeptionellen Reflexion. Marianna Mazzucato, Autorin des Buches „Das Kapital des Staates“, forderte eine Debatte über die Frage, „wie wir Werte schaffen können, bei denen der öffentliche Zweck im Mittelpunkt steht, und wie man sie sozial verteilen kann“. Um die Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich bewältigen zu können, braucht es staatliche Institutionen mit gesellschaftlichen Missionen, die die wirtschaftlichen Entscheidungen nicht mehr ausschließlich in die Hände von Investoren und Managern legen.
In der Praxis würde dies bedeuten, Arbeitnehmer*innen mit an den Tisch zu holen, um den sozialgerechten Übergang von Anfang an gemeinsam zu definieren und gemeinsam zu entscheiden, mit welchen Mitteln die vereinbarten Ziele erreicht werden sollen. Transformationsräte würden bei regionalen Entwicklungsplänen eine große Rolle spielen, ebenso wie nationale Investitionsbanken oder öffentliche Klimafonds. Indem man die Arbeitnehmer*innen in eine echte Entscheidungsposition bringt, würde man eine der größten Transformationshürden überwinden: das mangelnde Vertrauen der Beschäftigten in Regierungen und Unternehmen, insbesondere im globalen Süden. Ein neuer Gesellschaftsvertrag und eine neue Arbeitsweise zwischen Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und dem Staat seien daher dringend erforderlich. Laut Mazzucato und den anwesenden Gewerkschaftsführer*innen seien Regeln zu setzen und einzuhalten. Konditionalitäten seien beispielsweise ein wichtiges Instrument, um die Richtung des Wandels vorzugeben: die Festlegung von CO2-Preisen, die Bindung von Rettungsgeldern an klar messbare Klimaziele oder die Vergabe öffentlicher Aufträge nur bei Zahlung von Tariflöhnen.
Um die Richtung der Wertschöpfung zu lenken, neue Märkte zu schaffen und die Spielregeln festzulegen, bedarf es staatlicher Kapazitäten. Die Pandemie hat vielen Gesellschaften eine harte Lektion erteilt. Nach jahrelangen Kürzungen der öffentlichen Haushalte und der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen waren die Gesundheitssysteme überfordert, die Krankenhäuser unterbesetzt und Arbeitnehmer*innen ohne Schutzausrüstung. Viele Staaten waren nicht in der Lage, einen wirksamen sozialen Schutz zu bieten und die Beschäftigten für ihre Einkommensverluste zu entschädigen. Daher sei ein anderer langfristiger Ansatz erforderlich, der Geld zur Verfügung stellt und in öffentliche Dienstleistungen investiert, Wertschöpfungsketten verkürzt, nationale Egoismen überwindet und die Bedürfnisse der Gesellschaften in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns stellt. Dies gilt auch angesichts der aktuellen Lebensmittel- und Energiepreiskrise infolge des russischen Kriegs in der Ukraine. Folgerichtig fordert die L7-Erklärung „die Staats- und Regierungschefs der G7 auf, alles zu tun, was nötig ist, um Ernährungssicherheit, Markt- und Finanzstabilität zu gewährleisten“.
Die Frage, wie Wertschöpfungsketten so umgestaltet werden können, dass sie den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen gerecht werden, stand wiederholt auf der Tagesordnung. Einerseits wurde eine proaktive Industriepolitik gefordert, um die Produktion von benötigten Gütern in geografischer Nähe zu ermöglichen und Abhängigkeiten zu verringern. Andererseits müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen durch eine gerechtere Handelspolitik und gemeinsame Standards für die sozialen und ökologischen Verpflichtungen der Unternehmen wiederhergestellt werden. Daher wurde die G7 aufgefordert, „eine gemeinsame Grundlage für international anerkannte, verbindliche Standards für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht zu vereinbaren“. Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil bekundete seine Absicht, den Zugang zu Rechtsmitteln und Monitoringsystem zu verbessern, um die Rechte der Arbeitnehmer*innen in globalen Wertschöpfungsketten wirksamer zu schützen.
Schließlich dürfe die aktuelle Krise nicht die Herausforderungen des digitalen Wandels überschatten. Christina Colclough von The Why Not Lab teilte ihre Analyse der Menschenrechtsverletzungen durch digitale Unternehmen. Sie wies auf die reale Gefahr, dass „durch die anhaltenden Trends der Dataifizierung, der Geschäftsmodelle digitaler Plattformen und der Überwachung der Beschäftigten „Arbeit zu einer Ware wird“. Sie forderte die Gewerkschaftsführer*innen auf, Kompetenzen innerhalb der Gewerkschaften aufzubauen, um in der Lage zu sein, algorithmische Systeme mitzuverwalten. Derzeit würden diese massiv in Unternehmen eingeführt – jedoch ohne angemessene Kontrolle durch die Arbeitnehmer und oft ohne jegliche Rechte auf den Zugang zu den erzeugten Daten. Colclough rief außerdem dazu auf, das Konzept des „freien Datenflusses“ in Frage zu stellen, das derzeit in den WTO-Verhandlungen über den elektronischen Handel gefordert wird. Wenn man sich darauf einigen würde, hätten die Länder nicht mehr die rechtliche Möglichkeit, die Spielregeln festzulegen - das komplette Gegenteil der Absicht der L7-Debatte, die Wertschöpfung wieder in „gesellschaftliche Missionen“ zu legen, über die der Staat, Unternehmen und Beschäftigte gemeinsam entscheiden.
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