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Menschenrechte in Deutschland: Wie der UPR-Prozess und die Empfehlungen des Menschenrechtsrats zu bewerten sind

Deutschland ist bei den Vereinten Nationen auf seine Menschenrechtsbilanz überprüft worden und muss nun innerhalb der nächsten vier Jahre Verbesserungen angehen.


Am 9. November 2023 stand eine Delegation deutscher Regierungsvertreter_innen zum vierten Mal für das Allgemeine Periodische Überprüfungsverfahren (Universal Periodic Review, UPR) vor dem versammelten Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (VN) in Genf. Wie alle Mitgliedstaaten, stellt sich Deutschland regelmässig der Überprüfung der Menschenrechtslage im eigenen Land und erhält Empfehlungen, wie die Lage verbessert werden könnte. Die UPR Deutschlands hat Empfehlungen der anderen Staaten zu Themen wie Rassismus, Diskriminierung, Kinderarmut, Rechte der Frauen und Migrant_innen hervorgebracht. An der Menschenrechtsratssitzung im Frühjahr 2024 musste Deutschland verkünden, welche der insgesamt 346 Empfehlungen angenommen werden. Mit der öffentlichen Annahme vor der Staatengemeinschaft, geht Deutschland eine Verpflichtung ein, die Empfehlungen in den nächsten 4 Jahren umzusetzen. In einem Brief vom Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk an die Bundesauβenministerin Annalena Baerbock vom Juni 2024, benennt dieser die aus seiner Sicht dringendsten menschenrechtlichen Herausforderungen Deutschlands.

Der Brief des Hochkommissars bietet Anlass, um mit Silke Voβ-Kyeck vom Forum Menschenrechte und Frank Schwabe, MdB, Sprecher der AG Menschenrechte und humanitäre Hilfe der SPD-Bundestagsfraktion zu sprechen und nachzufragen, wie sie den UPR-Prozess und die Empfehlungen an Deutschland bewerten.


 

Ihr habt an der Überprüfung Deutschlands am 9. November 2023 in Genf teilgenommen und die Kommentare der Deutschen Delegation mitverfolgt. Wieso ist die UPR ein relevanter Prozess für eure Arbeit?

Dr. Silke Voβ-Kyeck (SVK): Die UPR ist mehr als nur die eigentliche Anhörung in Genf. Die Konsultationen zum Staatenbericht und zur Annahme der Empfehlungen bringen wie kein anderer Prozess Vertreter_innen vieler Ministerien und von Mitgliedsorganisationen des Forum Menschenrechte (FMR) zu einer Vielfalt menschenrechtlicher Themen zusammen. Das ist Mühe bei allen Beteiligten, und nicht alle Ressorts sind mit Begeisterung dabei. Aber der Austausch ist notwendig und macht deutlich, wo die größeren Baustellen der deutschen Menschenrechtspolitik sind. Wichtig—und beim Blick auf andere Länder längst nicht selbstverständlich—ist, dass solche Konsultationen zwischen Regierung und Nichtregierungsorganisationen überhaupt möglich sind.

Frank Schwabe (FS): Durch die UPR wird die Menschenrechtslage in Deutschland in Form eines kooperativen Dialogs unter die Lupe genommen und bewertet. Die Bundesrepublik hat sich den universell geltenden Menschenrechten verschrieben.
 

Das UPR-Verfahren zeigt also, ob wir den Ansprüchen, die wir an uns selbst und an die gesamte Weltgemeinschaft stellen, auch gerecht werden.

Dass Deutschland sich dabei aktiv einbringt und auch Offenheit für Kritik an den Tag legt, ist gut. Eine aktive Menschenrechtspolitik in Deutschland bildet ein unverzichtbares Fundament für glaubwürdige auslandsbezogene Initiativen. Die UPR ist ein willkommener Anlass, den politischen und medialen Fokus auf die Lage der Menschenrechte in Deutschland zu lenken, Leerstellen zu erkennen und konkrete Verbesserungsvorschläge zu diskutieren. Es war für mich als menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion deshalb sehr wichtig, diesen Prozess eng zu begleiten und auch an der Sitzung in Genf teilzunehmen.

 

Welches Thema oder welche Empfehlung ist für eure Arbeit besonders relevant und habt ihr etwas vermisst?

SVK: Für das FMR waren und sind die relevanten Themen der UPR diejenigen, die von der Bundesregierung und anderen politisch Verantwortlichen weniger oder nicht gerne als Menschenrechtsthemen wahrgenommen werden. In diesem Prozess wurde beispielsweise das Thema Armut in Deutschland zu wenig in seiner menschenrechtlichen Dimension verstanden. Hierzu gab es leider auch nur wenige konkrete Empfehlungen an Deutschland. Wichtig sind für unsere Arbeit auch die Bereiche, wo die Problematik immer noch unterschätzt oder kleingeredet wird, etwa in Bezug auf Rassismus und Diskriminierung. Schließlich sind solche Themen wichtig, wo Deutschland gerne als menschenrechtlicher Vorreiter gesehen werden möchte, aber Defizite offensichtlich sind. Der Anspruch an eine feministische Außenpolitik findet leider in der Innenpolitik keine Entsprechung.

FS: Die Empfehlungen der Staaten sowie der nationalen und internationalen NGOs umfassen eine breite Palette von Themen. Einige der Themen, die auch für die Sozialdemokratie und für mich eine wichtige Rolle spielen, wurden zudem vom VN-Menschenrechtskommissariat und von einschlägigen NGOs sowie dem Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) in den Vordergrund gestellt. Hervorheben möchte ich Handlungsempfehlungen, welche die bessere Durchsetzung von sogenannten WSK-Rechten (wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte) betreffen und mit Themen wie Kinderarmut, Wohnungslosigkeit oder inklusive Bildung verbunden sind. Es gab aber auch eine Reihe von Empfehlungen zu Themen wie Gewalt gegen Mädchen und Frauen, der Umgang mit Geflüchteten und Rassismus in Deutschland, die für uns besonders wichtig sind. Es muss zudem auch immer wieder betont werden, dass ein umfassender Klimaschutz auch menschenrechtlich relevant ist.
 

Deutschland hat entschieden, welche Empfehlungen angenommen werden. Wie bewertet ihr die Entscheidung in Bezug auf die für euch relevanten Themen?

SVK: Es ist gut, dass die Bundesregierung sich mit der Annahme vieler Empfehlungen zum besseren Schutz gegen häusliche Gewalt bekennt. Davon allein ist aber noch keiner der 14.000 fehlenden Frauenhausplätze geschaffen. Auch das Bekenntnis zur Reduzierung sozialer Ungleichheit ist positiv, ersetzt aber keine Gesamtstrategie, die Menschen langfristig aus der Armut holt. Die zahlreichen Empfehlungen zur Bekämpfung von Rassismus, Diskriminierung und Hasskriminalität akzeptiert die Bundesregierung größtenteils, doch Rassismus in den Institutionen will sie bedauerlicherweise nicht anerkennen. Doch nur wenn die strukturellen und institutionellen Dimensionen von Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung klar benannt werden, können sie wirkungsvoll angegangen werden.
 

Es gilt jetzt also, die Empfehlungen nicht in der Schublade verschwinden zu lassen, sondern konkrete politische Maßnahmen folgen zu lassen.

FS: Deutschland hat die meisten Empfehlungen angenommen, was ich sehr erfreulich finde. Besonders wichtig sind hierbei die bereits benannten WSK-Rechte und Themen wie Kinderarmut oder Wohnungslosigkeit. Dazu hat sich die Bundesregierung bereits vor den Ergebnissen der UPR, z.B. im aktuellen Koalitionsvertrag, einiges vorgenommen und schon manches vorangebracht. Wie die angenommenen Empfehlungen durch die Bundesregierung im Einzelnen umgesetzt werden sollen bzw. wie ein nachvollziehbarer Prozess der Umsetzung und Überprüfung aussehen könnte, ist teilweise eine offene Frage. Zum Bespiel gibt es bei Themen Antidiskriminierung sowie Umgangs mit Geflüchteten in Deutschland eine ganze Reihe an angenommenen Empfehlungen. Das zeigt, dass wir hier einiges an Nachholbedarf haben. Ich erhoffe mir deshalb, dass die (angenommenen) Empfehlungen weitere Motivation zur Umsetzung von menschenrechtlichen Vorhaben sein werden. Ganz wichtig ist hierbei, einen nachvollziehbaren Umsetzungsprozess zu definieren, der uns ermöglicht, den Umsetzungsstand zu monitoren und zu überprüfen.

 

Nun geht es um die Umsetzung der Empfehlungen auf nationaler Ebene. Wie werdet ihr in den nächsten vier Jahren in eurer Arbeit versuchen sicherzustellen, dass die Empfehlungen umgesetzt werden?

SVK: Die Mitgliedsorganisationen des FMR und seine thematischen Arbeitsgruppen sind auf vielen Ebenen und zu vielen Anlässen mit Bundesregierung und Bundestag im Austausch, um eine wirksame und konsistente Menschenrechtspolitik im Allgemeinen und die Umsetzung der UPR-Empfehlungen im Besonderen einzufordern. Die UPR ist eine wichtiger, aber nicht der einzige Prozess im VN-Kontext. So muss Deutschland beispielsweise demnächst berichten, wie es seine Verpflichtungen aus dem Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umsetzt. Auch dazu wird es Konsultationen und einen Parallelbericht des FMR geben.

FS: Beim UPR-verfahren geht es nicht nur darum, Missstände zu benennen, sondern auch darum, für Verbesserungen zu sorgen. Hierbei spielt das Parlament eine wichtige Rolle: Wir haben etwa im Menschenrechtsausschuss die Möglichkeit, die Bundesregierung um Unterrichtung zu bitten, wie sie bestimmte menschenrechtspolitische Vorhaben umzusetzen gedenken. Davon haben wir in Vergangenheit oft Gebrauch gemacht (z.B. beim Thema Wohnungslosigkeit) und werden es auch weiterhin tun. Dafür können die durch die Bundesregierung angenommenen Empfehlungen eine Art Leitfaden sein. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen NGOs beim Umsetzungsprozess ist auch ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Menschenrechtspolitik ist ja eine Querschnittsaufgabe; je nach Thema können verschiedene Ausschüsse beteiligt sein: der Innenausschuss beim Thema Rechte von Geflüchteten oder Rassismus, das Familienministerium beim Thema Gewalt gegen Frauen, das Bauministerium beim Thema Wohnungslosigkeit usw. Teil unserer Aufgaben als Menschenrechtspolitiker_innen ist es, in der parlamentarischen Arbeit andere Kolleg_innen für Menschenrechtsthemen zu sensibilisieren.

 


Dr. Silke Voß-Kyeck beobachtet und analysiert für das "Forum Menschenrechte" die Entwicklungen im VN-Menschenrechtsrat. Als freie Autorin schreibt sie nicht nur über Menschenrechte.

Frank Schwabe, MdB, istSprecher der AG Menschenrechte und humanitäre Hilfe der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der Fraktion der Sozialdemokraten, Demokraten und Grünen (SOC) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.

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