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Ein "solidarischer europäischer Staat": Diese Idee hatte der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein schon vor 150 Jahren. Ihre Umsetzung ist in Europa leider immer noch weit entfernt.
Bild: von Carolina Georgatou lizenziert unter CC BY-ND 2.0
Über ein „soziales Europa“ wird zwar schon seit Jahrzehnten diskutiert, solange die wirtschaftliche Integration und nationale Sozialsysteme ein allgemeines Gefühl von Wohlstand und Sicherheit nährten, erreichte die Debatte bisher aber nie die akute Dringlichkeit. Es scheint, dass erst die aktuelle Schlagzahl wirtschaftlicher und politischer Krisen, um sich greifende Europaskepsis und besorgniserregende soziale Ungleichheit zu brauchen, damit immer mehr Politikern klar wird, dass etwas geschehen muss.
EU-Politiker_innen wollen zwar die soziale Dimension Europas voranbringen, betonen dabei aber die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Gleichzeitig legt die EU-Kommission nicht nur Krisenstaaten, sondern auch Ländern wie Belgien im Rahmen des Europäischen Semesters nahe, Gewerkschaften weniger Einfluss auf Löhne zu geben. Das ist kein unerheblicher Vorgang, da Gewerkschaften einerseits soziale Ungleichheit verringern, andererseits das Recht auf Kollektivverhandlungen in Artikel 28 der Charta der Grundrechte der EU festgeschrieben ist. Während Artikel 34 die Achtung der Rechte der sozialen Sicherheit verspricht, stellt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs regelmäßig europäische Marktfreiheiten über nationale Sozialgesetzgebung. Wie soll man aus dieser Linie schlau werden?
Die europäische Marktintegration kann nicht auf Dauer so wahrgenommen werden, dass sie Gewinner und Verlierer und damit Ungleichheit innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten produziert. Auf Solidarität als Europas Grundwert zu setzen und nicht scheuklappenhaft auf Wettbewerbsfähigkeit, die Bürger_innen Europas gegeneinander stellt, wäre ein ideeller Anfang. Neben Freiheit und Gleichheit ist Solidarität der zentrale Wert der Sozialdemokratie. Beim Seminar „Europa und Soziale Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, vom 6. bis 8. Oktober 2017, erarbeiteten die Teilnehmer_innen, wie ein sozialdemokratisches Europa aussehen könnte, das auf diesen Werten und den Prinzipien Wohlstand, sozialer Ausgleich und Nachhaltigkeit aufbaut: Soziale Grundrechte und wirtschaftliche Grundfreiheiten müssen europarechtlich gleich behandelt werden. Sozialer Integration soll das gleiche Gewicht gegeben werden, wie der wirtschaftlichen, etwa durch eine soziale Fortschrittsklausel, einen sozialen Stabilitätspakt oder eine europäische Arbeitslosenversicherung.
Die Hoffnung, dass sich die Wütenden und Abgehängten sofort wieder Europa zuwenden, sobald es sich um ihre Probleme kümmert, ist sicherlich naiv. Aber die Politik könnte es ja zumindest mal ausprobieren. Viele Ökonom_innen und Politikwissenschaftler_innen sind sich einig, dass es für das Funktionieren einer Wirtschafts- und Währungsunion und ihre gesellschaftliche Akzeptanz mehr wirtschafts-, haushalts-, arbeits- und sozialpolitische Integration braucht. Die Europapolitiker haben in den guten Zeiten vor diesen Erkenntnissen zu lange die Augen verschlossen. In den schlechten Zeiten fürchten sie sich vor ihrem eigenen Mut und der Bevölkerung, und betreiben zu viel Flickschusterei für Partikularinteressen, statt sich große Würfe für ein europäisches Gemeinwohl zuzutrauen. Unkenrufe einer „Transferunion“ verkennen dabei nicht nur die Notwendigkeit gemeinsamer europäischer Investitionen, sondern vor allem, dass die meisten Europäer__innen selbstbestimmt und von sozialen Leistungen unabhängig leben wollen. Ihnen geht es um Teilhabe und Chancengleichheit, für die die Politik der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu lange zu wenig getan hat. In der Seminardiskussion um mögliche EU-Reformen setzte der SPD-Europapolitiker, Norbert Spinrath, Hoffnung in das Timing der Reforminitiative Emmanuel Macrons und in sein politisches Momentum, um in lange diskutierten Fragen endlich voranzukommen.
Ansprechpartnerin in der Stiftung:
Markus Trömmer
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