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Für Jeremy Corbyn ist dies keine Frage: Er plädiert für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Bleiben – und reformieren lautet das Credo des Vorsitzenden der britischen Labour Partei.
Bild: Bild: No Urheber: Erich Ferdinand Lizenz: CC BY 2.0
Stimmen die Briten am 23. Juni für einen Austritt ihres Landes aus der EU, werden einige Menschen wohl viel Geld gewinnen. Denn neben Europakritik haben Briten noch eine weitere Lieblingsbeschäftigung: Wetten. Objekt dieses zweifelhaften Vergnügens ist auch der mögliche Brexit. Manche behaupten die Wettquoten seien ein weitaus zuverlässigeres Orakel als sämtliche Umfragen. Wenn dem so sein sollte lautet die Botschaft des britischen Wettanbieters William Hill: Großbritannien wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent in der EU bleiben.
Für den Parteivorsitzenden der britischen Labour Party Jeremy Corbyn wäre dies eine gute Nachricht. Bei aller Kritik am momentanen Zustand Europas hat er sich bei einer Rede deutlich für den Verbleib seines Landes in der EU ausgesprochen. „Bleiben – und Reformieren“ lautet sein Credo, mit dem er die Britinnen und Briten überzeugen möchte, am 23. Juni ihr Kreuz beim „Stay“-Kasten zu setzen. Denn Corbyn ist überzeugt, dass Großbritannien sehr von der EU profitiert und wichtiger noch, dass Europa den vielschichtigen, globalen Herausforderungen nur gemeinsam begegnen kann – sei es der Klimawandel, die Einhegung internationaler Konzerne, Bekämpfung der Steuervermeidung, Terrorismus, Arbeitnehmerrechte oder natürlich die weltweiten Flüchtlingsbewegungen.
Trotzdem verfolgt Corbyn keinen unkritischen Pro-EU-Kurs, sondern betont, dass Europa sich verändern müsse. Nur wolle er diese Veränderungen mit den europäischen Partnern gemeinsam erreichen. Dabei schweben ihm umfangreiche Reformen vor – wie genau diese aussehen sollen, lässt er jedoch offen:
„Die Rede ist von einer demokratischen Reform, die dafür sorgt, dass die EU den Menschen gegenüber verantwortlich ist. Einer Wirtschaftsreform, welche die selbstzerstörerische Sparpolitik beendet und stattdessen Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum ins Zentrum der europäischen Politik rückt. Eine Arbeitsmarktreform, die in einem wirklich sozialen Europa die Arbeitnehmerrechte stärkt und erweitert. Und neue Rechte für Regierungen und gewählte Organe, welche die Überführung von Unternehmen in die öffentliche Hand erleichtert und den Privatisierungsdruck auf öffentliche Dienstleistungen beendet.“
In Großbritannien ist es, wie in vielen weiteren Mitgliedstaaten, weit verbreitet „Brüssel“ für negative Entwicklungen im Land verantwortlich zu machen. Für Corbyn geschieht dies oft zu Unrecht; europäische Entscheidungen hätten diverse positive Effekte für die Bürger_innen Großbritanniens gehabt – bei wichtigen Arbeitnehmerrechten, beim Umweltschutz, bei Verbraucherrechten und natürlich bei der Freizügigkeit. Ebenso klar sagt er, wen er stattdessen für die Urheber einer fehlgeleiteten und schädlichen Privatisierungs- und Deregulierungspolitik hält:
„Manchmal wird argumentiert, wir müssten die EU verlassen, weil durch die Regeln des Binnenmarkts Deregulierung und Privatisierung vorangetrieben werden. Diese Regeln sind sicherlich reformbedürftig. Aber es war nicht die EU, die unsere Bahn privatisierte. Es war die konservative Regierung unter John Major, und viele Bahnstrecken werden heute von Unternehmen bedient, die im Staatsbesitz anderer europäischer Länder sind. Sie haben nicht den Fehler begangen, ihr Land seiner Vermögenswerte zu berauben.“
Es sei zwar leichter der EU die Schuld zuzuschieben für selbstverursachte Probleme, doch sei dies eben weder richtig noch zielführend. Ohne die EU, so befürchtet Corbyn, würde Großbritannien sich hin zu noch niedrigeren Sozialstandards entwickeln. Sein Land würde zu mehr zweifelhafter Berühmtheit in der „Steuervermeidungsbranche“ gelangen und der vollständigen Deregulierung des Marktes gäbe es nichts mehr entgegenzusetzen. Mit der EU jedoch, könne es progressive Politik geben:
„Über eine Zusammenarbeit in Europa können wir unsere Volkswirtschaften weiterentwickeln, soziale Rechte und Menschenrechte bewahren, den Klimawandel bekämpfen und gegen Steuerflucht vorgehen.
Man kann eine bessere Welt nur dann errichten, wenn man sich auf die Welt einlässt, Bündnisse schmiedet und Veränderungen herbeiführt. Trotz aller Fehler und Mängel hat sich die EU dafür als ein wichtiger internationaler Rahmen bewährt.“
Für Corbyn, und viele andere, bleibt also nur zu hoffen, dass die britischen Buchmacher ihrem eigenen Anspruch gerecht werden – und dass nicht nur einige wenige viel gewinnen. Vielleicht ja auch in einer reformierten und besseren EU. So gesehen bietet das Schreckensgespenst Brexit auch Chancen, welche es zu nutzen gilt.
Jeremy Corbyns vollständige Rede können Sie hier in deutscher Sprache nachlesen.
Weiterführende Links:
Roger Liddle und Florian Ranft: Brexit – Was für die EU und Großbritannien auf dem Spiel steht, FES 2015
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