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§218 – Zum Schutze welchen Lebens?

Am 26.6.1992 beschließt der Bundestag nach heftigen Debatten mit den Stimmen von SPD, FDP und Teilen der CDU/CSU eine Reform des §218 und damit ein einheitliches Abtreibungsrecht für ganz Deutschland. Die (bis heute andauernden) Auseinandersetzungen um die rechtlichen Bedingungen von Schwangerschaftsabbrüchen aber bestehen seit seiner Einführung 1871.

Am 24. Juni 2022 entschied der Bundestag die Streichung des §219a, der "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" unter Strafe stellt, und gleichfalls Urteile gegen Ärzt_innen, die seit 1990 auf dessen Grundlage gesprochen wurden, aufzuheben. Parallel dazu wird das Recht auf Selbstbestimmung von Schwangeren weltweit beschnitten und mit ihm sichergeglaubte Paradigmen der Gleichstellung, trotz aller Proteste: Ebenfalls am 24. Juni hat das Oberste US-Gericht das Grundsatzurteil des Supreme Court von 1973, auf dessen Grundlage Abtreibungen in den USA erlaubt waren, gekippt. Die Zuständigkeit geht nun auf die Bundesstaaten über, von denen bereits ca. die Hälfte angekündigt haben, Abtreibungen weitestgehend zu verbieten. Und in Polen etwa dürfen Ärzt_innen nur noch in akuter Lebensgefahr Abbrüche straffrei durchführen. „Und selbst dann zögern inzwischen viele“. – Auch in Deutschland ist nicht ausgeschlossen, dass die Debatten um den §218 wieder lauter werden. Die einen werden an den Erfolg, §219a abgeschafft zuhaben, anknüpfen wollen, die anderen genau darum fürchten und §218 um jeden Preis erhalten oder gar verschärfen wollen. Es sind Debatten, die seit seiner Einführung 1871, also seit über 150 Jahren andauern.
 

150 Jahre §218 – 150 Jahre Protest
 

Mit der Reichsgründung 1871 ging auch die Einführung eines einheitlichen deutschen Strafgesetzbuchs einher, in dem der §218 erstmals aufgeführt wurde.

Fassung vom: 15. Mai 1871

Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleibe tödtet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.

Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.

Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder Tödtung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat.


Die Einordnung von Abtreibungen als Tötungsdelikt ab der Empfängnis war damit rechtlich festgeschrieben, aber von Anfang an gesellschaftlich nicht unumstritten. Die Kriminalisierung ebnete ‚Kurpfuschern‘ den Weg und rief Proteste gegen einen Gebärzwang zugunsten kirchlicher, ehelicher oder bevölkerungspolitischer Pflichten hervor. 1909 brachte der Bund Deutscher Frauenvereine erfolglos eine Petition in den Reichstag ein: Ein reformierter §218, der Straffreiheit im Zusammenhang mit einer Fristenlösung gewährleisten sollte. 1913 führte das Abtreibungsverbot, vor allem innerhalb der Arbeiter_innenbewegung, zur Gebärstreiksdebatte: „Gerade unter den Genossinnen findet man Verteidiger für die Notwendigkeit des Gebärstreiks. Sie schildern lebhaft die Nöte einer Mutter mit acht Kindern, deren Berufs- und Hausarbeiten keine Zeit zum Besuch von Versammlungen übrig lassen“, so der Vorwärts. Das Argument wirtschaftlicher Nöte, also die Kinder auch ernähren zu können oder die gesteigerte Arbeitsbelastung der Mütter, stand hier zunächst im Vordergrund. Zudem: „An den Folgen der geheimen Abtreibung erkranken jährlich 75 000 Frauen und sterben 7500 […] in Deutschland Jahr für Jahr […]. Und so ist es überall, wo der Abtreibungsparagraph sein Unwesen treibt“, schrieb der Vorwärts 1924.

Auch in der Weimarer Republik forderten vor allem Frauenverbände die ersatzlose Streichung des Paragraphen und eine Aufhebung des Verkaufsverbots von Verhütungsmitteln. Organisiert wurde ein Netzwerk aus Sexualberatungsstellen. So regte etwa Marie Juchacz 1929 den Ausbau der Ehe- und Sexualberatung bei der AWO an. Diese dürfe sich nicht nur für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen, sondern müsse sich auch für die Errichtung von Ehe- und Sexualberatungsstellen einsetzen. Doch zu einer Reform kam es trotz aller Bestrebungen nicht. Zu groß waren die politischen Widerstände im Parlament, sodass der Reichstag 1926 Abtreibung lediglich vom Verbrechen zum Vergehen herabstufte. Ein höchstrichterliches Urteil im Jahr 1927, das einen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen als zulässig ansah, war hier richtungsweisender. Bis die Legislative in den 1970er-Jahren nachzog, sollte es als Präzedenzfall dienen.

Im Nationalsozialismus gehörten Abtreibungen nicht mehr zu den Tötungsdelikten, was nicht der Liberalisierung, sondern einer „Auslese“ im Sinne der nationalsozialistischen Rassenpolitik und Eugenik diente. Das ist wenig überraschend, allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Abtreibungen unter eugenischer Indikation bis heute bevorzugt toleriert und bis kurz vor der Geburt möglich sind; seit der letzten Reform des §218 Ende 1995 kann noch im letzten Drittel der Schwangerschaft abgetrieben werden, wenn das Kind schwer behindert zur Welt kommen könnte.

 

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“


Nach 1945 wurde die Rechtslage der Weimarer Republik weitestgehend wiederhergestellt. In der Praxis wurden nun nicht nur medizinische, sondern auch soziale Beweggründe einbezogen.

Erst die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt nahm sich einer Reform des §218 an. Die Positionen in den Bundestagsdebatten 1974 gingen dabei so weit auseinander wie die in der Gesellschaft. Die sogenannte sexuelle Revolution hatte nicht nur Schlagzeilen über die Kommune 1 und die Pille produziert, sondern vor allem politisch-allgemeine und persönlich-individuelle Freiheiten und Rollenbilder verhandelt, sexuelle und medizinische Aufklärung vorangebracht und feministischen Bewegungen neue Aufmerksamkeit geschenkt. Konservative sowie die katholische Kirche wähnten den Werteverfall von Ehe und Familie.

Die Koalition aus SPD und FDP favorisierte eine Regelung, die das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren betont – eine „Fristenregelung“, bei der ein Abbruch grundsätzlich bis zur zwölften Woche straffrei bliebe. Dagegen stand die Einordnung aus großen Teilen der CDU/CSU des Embryos als „individuelles menschliches Leben“ vom Zeitpunkt der Empfängnis an (Paul Mikat). Insgesamt plädierten CDU/CSU für eine „Indikationsregelung“, die Abtreibungen an eine Reihe medizinischer und ethischer Voraussetzungen knüpfte.

Die Fristenregelung als „entscheidende[r] Schritt hin zur […] sozialen Gleichstellung der Frauen“ (Elfriede Eilers, SPD) sollte sich nicht durchsetzen. Der Paragraf 218 hatte Bestand, als „ein schwer erträglicher Restbestand sozialer Ungerechtigkeit des vorigen Jahrhunderts“ (Willy Brandt). Zwar stimmte der Bundestag mit knapper Mehrheit für das Fristenmodell, doch der Bundesrat tat es ihm nicht gleich. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Fristenregelung 1975 gar für verfassungswidrig nach Artikel 2 des GG, der u.a. besagt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Demnach galt es das Recht des Embryos gegenüber dem der Schwangeren zu schützen.

So wurde 1976 erneut eine Reform beschlossen, die Abtreibungen unter Strafandrohung für Schwangere und Ärzt_innen verbot. Straffreiheit galt unter dem ärztlich attestierten Umstand „besonderer Bedrängnis“ der Schwangeren – definiert durch vier Indikatoren: medizinisch, eugenisch, kriminologisch, sozial – innerhalb der ersten zwölf Wochen.

In der DDR hingegen hatte seit 1972 die Fristenlösung bis zur zwölften Woche gegolten, ohne Offenlegung von Motiven, ohne zu erfüllende Formalia. Nach der Wiedervereinigung wurde eine Vereinheitlichung nötig. Das heute in Deutschland geltende Abtreibungsstrafrecht wurde 1995 beschlossen:

Ein Schwangerschaftsabbruch ist demnach rechtswidrig; Straffreiheit für Schwangere und Ärzt_innen besteht innerhalb der ersten zwölf Wochen und nach attestierter Konfliktberatung. Eine wichtige Neuerung: Liegt eine medizinische oder kriminologische Indikation vor, ist ein Abbruch nicht rechtswidrig.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 218 Schwangerschaftsabbruch

(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder

2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht.

(3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.
 

Die aktuelle Gesetzeslage mit ihren zu erfüllenden Auflagen bringt in der Praxis viele Fallstricke mit sich. Sie gilt, ohne, dass ein flächendeckendes Beratungsangebot gegeben ist; ausreichend Ärzt_innen in allen Regionen Deutschlands, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, gibt es nicht – das Durchführen von Abtreibungen kommt im Lehrplan für Medizinstudierende nicht einmal vor. Und bis vor kurzem waren die Informationen über Schwangerschaftsabbrüche nicht für alle offen zugänglich. Das Verbot sorgt darüber hinaus auch für Rechtsunsicherheit bei Ärzt_innen: Ungewollt Schwangere , die selbst medizinische Versorgung benötigen, müssen damit rechnen, dass die Behandlung zu Gunsten des Embryos ausgerichtet ist, was die Gesundheit der Schwangeren gefährdet.

Es gibt also erheblichen Nachbesserungsbedarf: Auf einige der hier skizzierten, teils bereits seit dem 19. Jahrhundert diskutierten Fragen sind bis heute keine befriedigenden Antworten gefunden. Und es ist wichtig die Debatten über Carearbeit, eine ausreichende medizinische Versorgung und Beratungsangebote weiterzuführen, wenn man über bevölkerungspolitische Erwartungen an Individuen sprechen will. Es sollte aber allenfalls ergänzendes Beiwerk sein, wenn wir über ein Recht auf oder Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen (bis zur 12. Woche) sprechen, denn keine dieser anderen Debatten vermag die Antwort auf die hier einzig relevante Frage zu geben: Warum ist eine Schwangere in der Bringschuld, sich einem Staat, einer Gesellschaft gegenüber zu erklären, wenn sie über ihren eigenen Körper bestimmt?

Mascha Schlomm

 

Weiterführende/verwendete Literatur:
 

Zentrale Genderkoordinatorin

Dr. Stefanie Elies

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Stefanie.Elies(at)fes.de

 

Redaktion

Dorina Spahn

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