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Geschlechtergerechtigkeit – Eine Priorität, nicht nur Anspruch

Das FES Policy Lab Rebuild Beyond Exploitation präsentiert Visionen und politischen Forderungen zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit in Asien in einem Umfeld voller Herausforderungen.


Autorinnen: Natalia Figge und Priyanka Kapar


Eine geschlechtergerechte Zukunft für Asien gestalten

Die Region Asien-Pazifik ist bekannt für ihre kulturelle, politische und wirtschaftliche Vielfalt. Trotz beträchtlicher Fortschritte in den Bereichen soziales und wirtschaftliches Wachstum ist Geschlechtergerechtigkeit noch immer ein in weiter Ferne liegendes Ziel. Ostasien und die Pazifikregion stehen im Global Gender Gap Report an vierter Stelle mit einem Geschlechterparitätsindex von insgesamt 69,2 Prozent. Südasien liegt mit einem Index von 63,7 Prozent auf dem siebten Platz (Weltwirtschaftsforum, 2024). Von Lohnunterschieden und begrenzter sozialer Sicherung bis hin zu mangelnder Repräsentation und Lücken im Gesetz sind die komplexen Faktoren der geschlechtsspezifischen Diskriminierung im Gefüge von Gesellschaftsstrukturen und Wirtschaftssystemen verwoben.

Das Regionalprojekt zu Geschlechtergerechtigkeit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) erkannte die hartnäckig fortbestehenden Herausforderungen bei der Erreichung von Geschlechtergerechtigkeit in Asien und lud deshalb 2022 zu einem Policy Lab mit dem Titel Rebuild Beyond Exploitation (RBE): Visions and Policies for a Gender-Just Future in Asia ein. Ziel des Projekts war es, anhand einer Vielzahl unterschiedlicher Formate und einer Reihe politischer Empfehlungen zur Förderung einer gleichberechtigten und gerechten Gesellschaft systemische geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten anzugehen. Diese Initiative diente als Plattform für die Erstellung eines Fahrplans für tiefgreifende Veränderungen, um die zugrundeliegenden Ursachen der Geschlechterungleichheit zu bekämpfen. Das Ergebnis dieses Prozesses, Asia in Transformation: Visions and Policies for a Gender-Just Future wurde im September 2024 veröffentlicht.
 

Die tiefen Wurzeln der Geschlechterungerechtigkeit aufdecken

Frauen in Asien und der Pazifikregion stehen vor erheblichen Hindernissen, wenn es um den Zugang zu Gleichberechtigung und Chancengleichheit geht. Wo es eine fortschrittliche Politik gibt, ist deren Umsetzung bisher langsam oder ungenügend. In wirtschaftlicher Hinsicht stoßen Frauen auf Herausforderungen wie prekäre Arbeitsverhältnisse, Diskriminierung am Arbeitsplatz,  begrenzte Weiterbildungschancen, geringe Vertretung in Gewerkschaften, Lohngefälle, mangelnde oder fehlende soziale Sicherung sowie eine wachsende digitale Geschlechterkluft. Weiterhin leiden Frauen in der Region an Zeitarmut, da sie einen überproportional großen Anteil der unbezahlten Sorgearbeit schultern.  

In der Politik bleibt die Repräsentation von Frauen weiterhin eine Herausforderung. Obwohl Quoten und für Frauen reservierte  Posten zu einem Anstieg der politischen Beteiligung von Frauen geführt haben, ist es noch immer eine schwere Aufgabe, ihnen größeren Einfluss auf der Entscheidungsebene zu  verschaffen. Diese mangelnde Repräsentation schränkt ihre Fähigkeit ein, Politik mitzugestalten und verhinderten so die Entwicklung und Umsetzung einer inklusiven Politik, die die Bedürfnisse der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen berücksichtigt.

Diese Probleme werden durch tief verwurzelte patriarchalische Normen und traditionelle kulturelle Praktiken erschwert, durch welche geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung aufrechterhalten werden. In vielen asiatischen Ländern fehlt noch immer eine umfassende sexuelle Aufklärung, der Zugang zu Verhütungsmitteln für unverheiratete Frauen und Jugendliche, sichere Abtreibungen und andere Leistungen im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit. Dies führt oft zu einer Stigmatisierung, wenn man offen über Themen wie Sexualität und Lust spricht.

Um diese Ungleichheiten zu überwinden, braucht es gezielte Bemühungen für einen systemischen Wandel, der nicht nur die oberflächlichen Gründe in Angriff nimmt, sondern auch die strukturellen Ursachen gründlich untersucht und bekämpft.
 

Zu einem systemischen Wandel aufrufen

Ein geschlechtergerechtes Asien erfordert bewusste Bemühungen von Seiten aller, um die grundlegenden Ursachen der vorherrschenden Ungleichheiten zu bekämpfen. Aus diesem Grund präsentiert das Ergebnis des RBE Policy Lab unter dem Titel Asia in Transformation (Asien im Umbruch) eine umfassende Reihe an politischen Empfehlungen, die auf eine Bekämpfung dieser tief verankerten Probleme abzielen. Schwerpunkt der Empfehlungen ist die Sicherung von gleichberechtigten Zugangschancen und Chancengleichheit wobei soziale und kulturelle Normen gefördert werden sollen, um die Geschlechtergerechtigkeit in der gesamten Region voranzutreiben.

Auf der Grundlage einer Untersuchung der Geschlechtergerechtigkeit in der Bekleidungsbranche spricht sich das Policy Lab für umfassende Wirtschaftsreformen aus. Dazu gehört eine Politik, welche die Durchsetzung von Arbeitsgesetzen, die Sicherung gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen stärkt, besonders in Branchen, in denen Frauen stark vertreten sind. Die Durchsetzung gerechter Arbeitsstandards und die Förderung eines wirtschaftlichen Stärkung von Frauen durch gezielte Unterstützungsmaßnahmen sind wesentliche Schritte hin zu einer größeren wirtschaftlichen Gerechtigkeit.

Die Erweiterung sozialer Sicherungssysteme ist ebenfalls ein zentraler Schwerpunkt des Projekts. Um Lücken zu schließen, die durch die jüngsten Wirtschaftskrisen offengelegt wurden, ist es von fundamentaler Bedeutung, umfassende soziale Sicherungsnetze zu schaffen, die alle Menschen auffangen, insbesondere in informellen und anfälligen Branchen. Diese Ausweitung zielt darauf ab, eine robuste Unterstützung für diejenigen zu gewährleisten, die am meisten von wirtschaftlichen Schwankungen betroffen sind. Ein inklusives und ganzheitliches soziales Sicherungssystem erfordert einen starken politischen Willen und eine Form der Staatseinnahmen, die den Lebensstandard aller verbessert.

Die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist ein weiterer entscheidender Problembereich. Hierbei ist es essenziell, rechtliche Rahmenbedingungen und Unterstützungssysteme zu stärken, um die Überlebenden zu schützen. Hierzu gehört auch die Ausarbeitung und Durchsetzung von Gesetzen, die Schutz und leicht zugängliche Unterstützungssysteme zur Verfügung stellen. Die Revitalisierung und Transformation der Gewerkschaften ist nicht nur wichtig, um diese Probleme kollektiv anzugehen, sondern auch um inklusive und sichere Arbeitsplätze aktiv zu fördern.

Darüber hinaus tragen Frauen in Asien überproportional stark die Last der unbezahlten Sorgearbeit zu Hause, was sie nicht nur zeitarm macht, sondern sich auch auf ihre Chancen in der Welt der bezahlten Arbeit auswirkt. Das Policy Lab untersucht Regelungen zum Erziehungsurlaub für Väter in Asien und fordert eine inklusive Politik im Hinblick auf den Elternschaftsurlaub, die sicherstellt, dass die Männer sich aktiv in die Kinderbetreuung einbringen. Auf diese Weise stellt es tief verankerte Geschlechtsstereotypen in Frage und spricht sich für eine gerechte Umverteilung der Rollen in der Sorgearbeit aus.

Das Projekt betont zudem, wie wichtig es ist, Zugang zu umfassenden Gesundheitsleistungen im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit zu gewährleisten. Es setzt sich für eine Politik ein, die Themen wie Lust und positive Sexualität in den Diskurs über sexuelle und reproduktive Gesundheitsrechte aufnimmt und dessen Schwerpunkt erweitert, damit dieser über die reine Familienplanung hinausgeht und einen ganzheitlicheren Ansatz umfasst.
 

Fazit: Zum gemeinsamen Handeln anregen

Die Ergebnisse des RBE Policy Lab der FES, Asia in Transformation, unterstreichen, dass für Geschlechtergerechtigkeit in Asien mehr vonnöten ist als nur eine schrittweise Politikanpassungen – sie erfordert eine systemische Umverteilung von Macht und Ressourcen. Regierungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und andere relevante Akteur_innen können von diesen vorausdenkenden Empfehlungen profitieren, um eine gerechtere und gleichberechtigtere Zukunft in der Region zu gestalten.

Die Erkenntnisse und Empfehlungen von Asia in Transformation können wertvoll sein für all diejenigen, die sich für einen tiefgreifenden Wandel hin zur Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Unsere Gesellschaften entwickeln sich ständig weiter, und regelmäßig entstehen neue Herausforderungen. Geschlechtergerechtigkeit sollte eine Priorität sein, wenn wir diese Herausforderungen angehen, damit sie nicht nur eine Bestrebung bleibt, sondern zur greifbaren Realität wird.

 


Über die Autorinnen

Natalia Figge ist Büroleiterin des FES-Büros Nepal und Leiterin des Regionalprojekts Gender Justice in Asia der FES.  

Priyanka Kapar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Regionalprojekts Gender Justice bei der FES Nepal.

Zentrale Genderkoordinatorin

Dr. Stefanie Elies

030 26935-7317
Stefanie.Elies(at)fes.de

 

Redaktion

Dorina Spahn

030 26935-7305
dorina.spahn(at)fes.de

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