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Vielleicht die letzte Chance, unseren Planeten zu retten

Der Zustand der Welt spitzt sich dramatisch zu. Notwendig ist nicht weniger als eine globale Transformation.

Eine Gruppe Menschen steht an einem Ufer auf einer Straße. Der Rest der Straße ist komplett unterwasser. Nur ein kleines Stück Schaut noch hinaus.

Bild: Still submerged von DFID lizenziert unter CC BY 2.0

Der folgende Beitrag erschien im Debattenmagazin Berliner Republik 1/2017 zum Thema "Wer flieht warum?" und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion wiederveröffentlicht.

Der Zustand der Welt spitzt sich dramatisch zu. Notwendig ist nicht weniger als eine globale Transformation. Beim Umdenken und Umsteuern müssen sich Deutschland und erst recht die deutsche Sozialdemokratie mutig an die Spitze stellen.

„Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, die Armut zu beseitigen, ebenso wie wir die letzte sein könnten, die die Chance hat, unseren Planeten zu retten.“ Diesem großen Anspruch, den der vorige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon formulierte, will die Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen gerecht werden, die im September 2015 von allen Mitgliedsstaaten verabschiedet worden ist. Die Agenda ist ein Meilenstein in den internationalen Beziehungen, denn sie schafft die Grundlage dafür, weltweiten wirtschaftlichen Fortschritt erstmals im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit und den ökologischen Grenzen der Erde zu gestalten.

Angesichts des Zustands der Welt ist das ein ehrgeiziges Ziel: Wir müssen nicht nur die Armutsbekämpfung und die Schaffung von guter Arbeit global voranbringen, sondern gleichzeitig auch die Ungleichheit zwischen und innerhalb von Staaten verringern. Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen und die Ungleichheit innerhalb zahlreicher Gesellschaften hat dramatisch zugenommen. Aber auch zwischen Gesellschaften bleibt – trotz eines leichten Rückgangs der Einkommensungleichheit – das Entwicklungsdilemma vieler Länder des Südens bestehen. Das liegt unter anderem daran, dass viele entwickelte Länder Ungerechtigkeit und Armut in andere Gesellschaften auslagern – in Form von billigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen, Landkauf und Umweltverschmutzung.

Die Nachhaltigkeitsagenda fordert daher zu Recht einen universellen Ansatz. Das heißt konkret für die Politik: Es geht nicht nur darum, dass wir in Deutschland irgendetwas ein bisschen besser machen, sondern auch darum, dass die Wechselwirkungen zwischen dem, was in Deutschland geschehen muss, und dem, was international passieren muss – seien es Handelsfragen oder Fragen der Arbeitnehmerrechte –, besser berücksichtigt werden. Damit wir wirklich vorankommen und Menschen nachhaltig aus der Armut herausführen.

Das hat Auswirkungen auf unser wirtschaftliches Verhalten. Denn mit dem ökonomischen Aufstieg von Schwellen- und Entwicklungsländern werden auch die ökologischen Grenzen eines Produktions- und Konsummodells deutlich, in dem nur ein kleiner Teil der Menschheit exklusiv einen großen Teil der natürlichen Ressourcen und Belastungskapazitäten dieser Erde nutzt. Der Living Planet Report des WWF kommt zu dem Schluss, dass die Menschheit bei einem anhaltend hohen Ressourcenverbrauch bis zum Jahr 2030 zwei Planeten, bis 2050 knapp drei Planeten bräuchte, um den Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken.

Der Glaube an die Zukunft geht verloren

Aber auch die Demokratie als solche steht von unterschiedlichen Seiten unter Druck. Die Legitimation junger und alter Demokratien erodiert, da sie die in sie gesetzten Hoffnungen auf Teilhabe, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit nicht erfüllen können. In vielen Ländern wird zudem der Spielraum für Demokratie erheblich eingeschränkt. Demokratische Strukturen werden ausgedünnt, demokratische Prozesse auf Regierungstechniken, Plebiszite und Öffentlichkeitsarbeit verkürzt – bis hin zur politischen Kommunikation als Grundrauschen mit wenig Bezug zur Wahrheit.

Der Glaube an die Zukunft ist vielen unserer Gesellschaften abhandengekommen. Es fühlen sich nicht nur immer mehr Menschen vom sozialen Fortschritt ausgeschlossen, sondern mit ihren Ängsten, Bedürfnissen und Biografien von den Institutionen und ihren Verantwortlichen auch nicht mehr repräsentiert. Das Verlangen nach Orientierung ist groß, denn viele spüren heute, dass business as usual keine Option mehr ist.

Auf den Kontroll- und Sicherheitsverlust vieler Menschen haben sich die diversen Spielarten des reaktionären Populismus bereits einen Reim gemacht. Sie setzen auf Ressentiment getriebene Politiken, auf Nationalismus und die Absage an internationale Kooperation. Mit neuen Freund-Feind-Schemata geben sie sicherlich Orientierung und schieben dem konkreten Unsicherheitsempfinden vieler Menschen eine Deutung unter, doch ihre Versprechen vermitteln nur Scheinsicherheiten. Denn der Rückzug auf Identitätspolitiken und ins Nationale wird die Krisen schlicht weiter verstärken, aber vor allem hat er den globalen Herausforderungen nichts entgegenzusetzen.

Das Recht auf ein menschenwürdiges Leben

Was es als echte Orientierung dagegen bräuchte, wäre so etwas wie eine globale Übereinkunft, die versucht, das Recht auf ein menschenwürdiges Leben für alle mit den ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten in Einklang zu bringen; die die Welt als Ganzes wahrnimmt, aber auch die konkreten und akuten Lebensumstände vor Ort mit ihren Härten und Widrigkeiten. Eine Vereinbarung, auf deren Ziele sich Staaten verpflichten, die aber offen ist für die Beteiligung vieler Menschen, Institutionen und Organisationen; die nicht bürokratisch verordnet, sondern das Ergebnis eines breiten Meinungsbildungsprozesses ist; die Kooperation und nicht Konfrontation in den Mittelpunkt stellt. Eine Übereinkunft, die Vertrauen zwischen und innerhalb von Gesellschaften stärken kann und nicht Spaltung befördert und Misstrauen sät; die das Gemeinwohl entwickelt statt partikulare Interessen zu bedienen, seien sie religiöser, ethnischer oder ökonomischer Natur; die im Hier und Heute ansetzt, die aber dennoch mittelfristig die „Transformation unserer Welt“ anstrebt und die mit Blick auf den gerechten Übergang niemand zurücklässt.

Diese globale Übereinkunft haben die Staats- und Regierungschef der Welt in New York mit der Nachhaltigkeitsagenda („Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“) bereits verabschiedet. Aufgabe und Anspruch der Agenda ist es, einen globalen Entwicklungsfahrplan zu entwerfen, bei dem Armuts-, Entwicklungs- und Umweltagenda miteinander verknüpft werden. Die darin enthaltenen 17 nachhaltigen Entwicklungsziele traten an die Stelle der 2015 ausgelaufenen acht Millenniumsentwicklungsziele. Die neuen Ziele sind jedoch keinesfalls die Wiederkehr des immer Gleichen. Die Agenda bildet die komplexen Lebensumstände in der globalisierten Welt besser ab, indem sie auch strukturelle Herausforderungen adressiert, die in der alten Millenniumsagenda nicht oder nur unzureichend vorkamen. Dazu gehören menschenwürdige Arbeit, die Reduzierung von Ungleichheit, nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster aber auch Friedensfragen. Und vor allem verbindet sie soziale Fragen mit den großen Herausforderungen der ökologischen Nachhaltigkeit, wie dem Schutz des Klimas, der Meere und der Böden.

Die Ansätze der Nachhaltigkeitsagenda zielen somit inhaltlich wie auch in ihrem politischen Veränderungsanspruch weit über die Entwicklungspolitik, so wie wir sie kennen, hinaus. Sie sind zudem universell und bilden eine Transformationsagenda für alle – für klassische Entwicklungsländer ebenso wie für Industrieländer. Und wenn die Ziele erfolgreich umgesetzt werden sollen, dann müssen sie systematisch von den Politikern der entwickelten Länder aufgegriffen werden. Das Politikverständnis der Nachhaltigkeitsagenda unterscheidet sich auch grundsätzlich vom technokratischen Fokus der Millenniumsziele. Mit ihrer – sicher teilweise widersprüchlichen – Vision einer sozial-ökologischen Transformation erinnert die neue Agenda jedoch eher an andere universelle Erklärungen. Die Stärke (und das Risiko) der Agenda liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie auf soziale Mobilisierung setzt und es verschiedensten Akteuren ermöglicht, ihre politische Praxis in den Nachhaltigkeitszielen zu begründen.

Was Sozialdemokraten jetzt tun sollten

Bei der Nachhaltigkeitsagenda handelt es sich nicht um feel good-Ziele, sondern um den Versuch, den ökologischen und sozialen Raum für eine sichere Entwicklung der Menschheit zu beschreiben und was die Länder dafür tun müssen. Und es verfällt auch niemand in Naivität: Vieles ist widersprüchlich, wird lange umkämpft bleiben und auf starke Widerstände stoßen. Aber trotz des Ausblicks auf eine aktuell grimmige Weltlage sind die Bedingungen für progressive Politik gar nicht so schlecht. Der Wunsch nach Veränderung ist bei vielen Menschen groß. Das Pariser Klimaabkommen und die Nachhaltigkeitsagenda haben gezeigt, dass globale Kooperation auch in Zeiten der Rückkehr von Krieg und Nationalismus als politisches Mittel funktionieren kann.

Auch die Rede von der „Alternativlosigkeit“ ist haltlos. Denn mittlerweile wurden Energiewenden und alternative Stadt- und Agrarpolitiken begonnen; Vorschläge für eine radikale Bankenreform vorgelegt; konkrete Maßnahmen zur weiteren Einhegung der Finanzmärkte, zur Reduzierung von Ungleichheit und zur Umsetzung von guter Arbeit weltweit präsentiert; und im Rahmen der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ Ansätze für neue Wohlstandsmodelle entwickelt. Das intellektuelle Fundament für eine Transformation ist gelegt. Nun kommt es auf den Gestaltungswillen und die Durchsetzungskraft der Akteure an.

Das ist auch eine Chance für die SPD. Denn die nachhaltigen Entwicklungsziele stecken mit Blick auf die Themen nicht nur einen globalen und nationalen Ordnungsrahmen für sozialdemokratische Politik ab. Zu ihrer Verwirklichung braucht es auch Prinzipien und Strategien, die sozialdemokratisches Denken und Handeln in der Vergangenheit ausgezeichnet haben und die jetzt angesichts der politischen Lage insgesamt erneuert werden müssen. Dazu gehört die Einsicht, dass trotz aller Schwierigkeiten am Aus- und Aufbau verbindlicher internationaler Regelwerke und effizienter globaler Institutionen kein Weg vorbei führt. Dazu gehört das Vertrauen in die Menschen, mit ihren Fähigkeiten zur Problemlösung beizutragen und ihnen die Möglichkeiten, Instrumente und Plattformen dafür zu geben. Dazu zählt Bündnisfähigkeit, weil für eine Transformation beides nötig ist: eine Veränderung in Parlamenten, Regierung und Staat sowie starke Partner in der Gesellschaft, zum Beispiel Gewerkschaften und soziale Bewegungen, mit denen konkrete Projekte jenseits der Regierungsebene angestoßen werden können. Schließlich braucht es die Fähigkeit des Zusammendenkens und „Zusammenhandelns“ unterschiedlicher, teilweise widersprüchlicher Logiken, wie etwa das Verhältnis von ökologischen und sozialen Herausforderungen, von langfristigen Zielen und konkreter Politik, von nationaler und globaler Ebene.

Das Ambitionsniveau ist noch zu niedrig

Dies alles muss die SPD nun einbringen, wenn es darum geht, die nachhaltigen Entwicklungsziele systematisch in der deutschen und internationalen Politik zu verankern. Als einflussreicher Akteur hat Deutschland eine besondere Verantwortung. Drei Ansätze stehen dabei im Vordergrund:

Erstens: die Relevanz der Agenda für nachhaltige Entwicklungsziele in Deutschland und wie diese durch nationale Politik umgesetzt werden können. Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen gegen krasse Ungleichheiten bei der Einkommens- und Vermögensverteilung oder eine geschlechtergerechte Bezahlung. Die von der Bundesregierung zu Jahresbeginn verabschiedete Neuauflage der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist dabei sicherlich ein Anfang. Allerdings ist das Ambitionsniveau gerade mit Blick auf die sozialen Ziele in Deutschland noch zu gering, der Wachstumsbegriff zu konventionell und auch die internationale Verantwortung Deutschlands wird nur sehr vage beschrieben.

Denn zweitens muss deutsche Politik so ausgerichtet werden, dass sie der globalen Zielerreichung nicht entgegensteht oder sich negativ auf andere Länder auswirkt. Dazu gehören zum Beispiel ein konsequentes Monitoring der Beschlüsse des Nationalen Aktionsplans für Menschenrechte und Unternehmen sowie eine gesetzlich verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen, falls weniger als die Hälfte dieser Unternehmen die im Aktionsplan verankerten Standards nicht hinreichend umsetzen; die Bekämpfung der Steuerflucht und illegitimer Finanzströme; ambitionierte Klimaschutzziele sowie eine Umstellung der Produktions- und Konsummodelle, um den ökologischen Fußabdruck in Deutschland, aber auch global zu reduzieren.

Und schließlich werden wir uns drittens dafür einsetzen, dass Deutschland seine wichtige Rolle in den internationalen Beziehungen einbringt, um einen globalen Ordnungsrahmen zu schaffen, der es anderen, schwächeren Ländern ermöglicht, ihren Beitrag zur Zielerreichung zu leisten. Wichtige Vorhaben sind dabei faire Handels- und Investitionsregime, eine umfassende Reform der internationalen Finanzmärkte sowie geregelte, sichere und verantwortungsvolle Migrationsregime.

Die Chance zur echten Alternative besteht

Sicher, das sind alles dicke Bretter. Und Alternativen führen auf unbekanntes Terrain, auf dem wir alle nicht besonders trittfest sind. Sie machen einen angreifbar in Zeiten, in denen die Fixierung auf akutes Krisenmanagement einen immer breiteren Raum einnimmt. Doch davor sollten wir uns nicht fürchten. Realisten sind diejenigen, die die Realität zum Maßstab ihres Handelns machen. Wenn sich die sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Bedingungen so gravierend verändern wie in den vergangenen Jahren, dann betreiben nicht diejenigen Realitätsverweigerung, die daraus ein Umdenken und Umsteuern ableiten, sondern diejenigen, die davon ausgehen, dass alles so weitergehen kann wie bisher, die sich im Status Quo einrichten oder scheinbar simple Lösungen präsentieren. Die Nachhaltigkeitsagenda bietet die Chance auf eine echte Alternative unter sozialdemokratischen Vorzeichen. Wir sollten sie nutzen.

Zentrale Genderkoordinatorin

Dr. Stefanie Elies

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Stefanie.Elies(at)fes.de

 

Redaktion

Dorina Spahn

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