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„Wir brauchen strategisches Vertrauen“

Die FES Paris organisiert seit über 25 Jahren die deutsch-französischen Strategiegespräche. Im Interview erklärt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Co-Präsident der Gesprächsreihe Nils Schmid, was er sich in den aktuell stürmischen Zeiten von den Gesprächen in Paris erwartet und wo Frankreich und Deutschland besser zusammenarbeiten müssen.

Nach einem Sommer der Ungewissheit, in dem der französische Präsident sich Zeit ließ, um nach den vorgezogenen Neuwahlen eine neue Regierung zu ernennen, ist es dringend geworden, dass sich deutsche und französische Progressive treffen, um gemeinsame verteidigungspolitische und Sicherheitspolitische Herausforderungen zu debattieren.

Was ändert sich, nachdem nun der Konservative Michel Barnier in Paris zum Premier ernannt wurde? Was ändert sich, nachdem Präsident Macrons Position durch die Wahlniederlage geschwächt wurde in den Fragen der Rüstungskooperation? Ziehen die Nachbarn noch an einem Strang?

Das Format des „Cercle Stratégique“ der FES Paris ist erneut Gastgeber für dieses Tête-à-Tête. Seit knapp 25 Jahren lädt die FES Außenpolitiker_innen und Verteidigungspolitische Expert_innen zum vertrauensvollen Dialog ein. Bundestagsabgeordneter Nils Schmid ist der deutsche Co-Präsident des Formats. Wir haben ihn gefragt, wo er in einer instabileren Welt die deutsch-französischen Aufgaben sieht.
 

Das Interview führte Felix Kösterke
 

Herr Schmid, Sie sind der Co-Präsident der deutsch-französischen Strategiegespräche, des Cercle Stratégique, den die FES Paris seit über 25 Jahren organisiert.Ukraine, Rüstungsexporte, NATO - seit Jahrzehnten gab es beim Thema Frieden und Sicherheit für beide Länder nicht mehr so viele Herausforderungen wie heute. Gleichzeitig knirscht es in den bilateralen Beziehungen heftig. Wie steht es um die Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit in Europa?

Diese Zusammenarbeit ist wichtiger denn je. Sie ist aber auch, anders als in der Vergangenheit, mit einer ganz breiten Themenpalette befasst. Die traditionelle Arbeitsteilung, nämlich dass sich Frankreich traditionell sehr stark um Afrika kümmert und Deutschland die Beziehungen zu Russland und zu Osteuropa gestaltet, ist nicht mehr tragfähig. Das ist in gewissem Maße gut, denn weder Frankreichs Bilanz im Sahel noch Deutschlands vergangene Russlandpolitik können sich sehen lassen. Deutschland und Frankreich müssen sich heute um alle außenpolitischen Themen gleichermaßen kümmern und sich dabei sehr eng abstimmen. Leider kam es hier in den letzten Jahren immer wieder zu Missverständnissen.


Wo genau sehen Sie denn die größten Meinungsverschiedenheiten und den größten Redebedarf? Was sollte bei den Deutsch-Französischen Strategiegesprächen nächste Woche im Fokus stehen?

Es bleibt die zentrale Frage, wie stark man auf die NATO und die Sicherheitspartnerschaft mit Amerika setzt und wie die europäische Säule der NATO oder die eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik der EU dort eingebaut werden kann. Da gibt es traditionell unterschiedliche Herangehensweisen in beiden Ländern. Frankreich hat einen gewissen Drang zur Autonomie, während wir in Deutschland sehr stark auf die Partnerschaft mit Washington setzen.

Zum anderen haben wir in den letzten Monaten ein überraschend forsches Auftreten von Präsident Macron, zumindest verbal, bei der Frage der militärischen Unterstützung der Ukraine gesehen. Zusätzlich dürfen wir auch die Krisen und Konflikte im Nahen Osten und in Afrika nicht aus den Augen verlieren.

Bei all diesen Themen ist eine kontinuierliche Absprache, sind gegenseitige Information und Austausch der jeweiligen Einschätzungen unbedingt erforderlich. Ich freue mich darauf beim „Cercle Stratégique“ mehr über die französische Sichtweise zu erfahren. Denn wie bereits gesagt, die enge Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich ist zwingend notwendig.


Was muss sich ändern, damit Frankreich und Deutschland besser kooperieren können, damit diese Abstimmung auch wirklich funktioniert und es vielleicht zu weniger Missverständnissen im bilateralen Verhältnis kommt?

Wir müssen noch intensiver, vor allem auch über vermeintlich nicht so wichtige Themen frühzeitig in den Austausch gehen. Beispielsweise, was die Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent anbelangt. Da reden Deutschland und Frankreich vielleicht noch zu häufig aneinander vorbei. Ganz zentral, so wünsche ich mir das, sollte es insgesamt weniger Überraschungen geben. In dem Sinne, dass der Partner nicht überrumpelt wird. Zum Beispiel von Äußerungen oder Initiativen des jeweils anderen, die man im Vorfeld nicht absehen und nicht besprechen konnte. Genau da hat es in der Vergangenheit oft unnötig gehakt. Das mag ein wenig mit den unterschiedlichen strategischen Kulturen und Politikstilen in Deutschland und Frankreich zusammenhängen, ist aber dennoch sehr störend. Wir brauchen heute mehr strategisches Vertrauen, und das erwächst nur aus belastbaren und vorhersehbaren Absprachen.


Beide Länder stecken aktuell in innenpolitisch und ökonomisch schwierigen Zeiten und scheinen wenig Kapazität zu haben, Ideen für Europas Sicherheit zu entwickeln, geschweige denn als Führungsmächte in Europa voranzugehen. Was braucht es, damit kein gefährliches Vakuum innerhalb der EU entsteht, vor allem auch im Hinblick auf die Wahlen in den USA?

Wir brauchen Stabilität bei den Regierungen und Verlässlichkeit in den bilateralen Beziehungen wie in der Europapolitik. Das ist in Deutschland gewahrt, wo eine Koalitionsregierung zwar streiten mag und manchmal schwierig ist, aber in der Regel bis zum regulären Wahltermin im Amt bleibt. Also haben wir auf deutscher Seite noch bis Herbst 2025 Verlässlichkeit und Stabilität. In Frankreich haben wir in den letzten Jahren hingegen einen dauernden Wechsel an der Regierungsspitze und an der Spitze der Ministerien erlebt. Eine langfristige Zusammenarbeit und Abstimmung ist da eigentlich nur auf der Ebene des Staatspräsidenten und der Präsidialverwaltung im Élysée-Palast konstant möglich. Das macht aber, wenn das die einzige Konstante ist, die fachliche Zusammenarbeit auf der Ministerialebene und darunter schwierig und es ist kaum möglich persönliche Beziehungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock arbeitet seit 2021 zum Beispiel schon mit dem dritten französischen Außenminister zusammen. Und bald schon wird der oder die nächste in den Quai d’Orsay einziehen, das macht es nicht leicht, gemeinsam die langen Linien zu planen.


Was erwartet man denn aus deutscher und europäischer Perspektive von der neuen Regierung Michel Barniers? Man kennt ihn ja schon lange. Wird er in der Lage sein, der französischen Außen- und Verteidigungspolitik eine Linie zu geben?

Wir sollten keine überzogenen Erwartungen an Michel Barnier und seine neue Regierung haben. Ich denke, sie wird eher kurzlebig sein. Ein großer Vorteil ist natürlich, dass er ein überzeugter Europäer ist und man ihn in Europa gut kennt. Als Brexit-Unterhändler und ehemaliger EU-Kommissar hat er sein Verhandlungsgeschick und seine proeuropäische Haltung bewiesen. Sehr nachteilig ist, dass er praktisch nur ein Premierminister von Marine Le Pens Gnaden sein wird. Wenn er wirklich Politik machen und gestalten will, also Gesetze durch das Parlament bringen möchte, ist er auf politische Unterstützung angewiesen. Da er in Opposition zur stärksten Kraft in der Nationalversammlung, also gegen die progressive Nouveau Front Populaire ernannt wurde, ist er auf eine Tolerierung und die Unterstützung durch die Rechtsradikalen angewiesen. Das ist weder für Frankreich noch für Europa eine gute Situation. Auch deshalb ist der bevorstehende Dialog für mich sehr wichtig, ich bin auf die Einschätzung meiner französischen Gesprächspartner nächste Woche mehr als gespannt.


Herr Schmid, danke für das Gespräch.

 

Zentrale Genderkoordinatorin

Dr. Stefanie Elies

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Stefanie.Elies(at)fes.de

 

Redaktion

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