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Energiepolitik in Europa: Keine Wärme ohne Rauch

Exzessive Stromrechnungen und exorbitante Gaspreise treiben europaweit Menschen in Notsituationen. Zeit, dass sich etwas ändert.

Bild: von mathias the dread / photocase.de lizenziert unter Basislizenz 5.0

Als im Winter 2016 eine Frau in Katalonien starb, nachdem ihr der Strom wegen unbezahlter Rechnungen abgestellt worden war, löste dies eine Welle der Empörung aus: In ganz Spanien gingen die Menschen gegen die sogenannte „Energiearmut“ - jenem Problem, das Menschen haben, die sich die Kosten für Strom, Gas oder Heizöl nicht leisten können - auf die Straße und stellten sowohl Behörden als auch Energieversorger für ihre Untätigkeit an den Pranger.Dabei ist das Schicksal der 81-jährigen Rentnerin nur das Paradebeispiel für ein europaweites Problem, dem noch immer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Eine Studie in zwanzig europäischen Ländern der OECD zeigte letztes Jahr, dass im Schnitt knapp zehn Prozent aller Menschen Schwierigkeiten haben, ihre Energierechnungen zu bezahlen. Konkret heißt das: Sie geben mehr als zehn Prozent ihres Einkommens für Strom und Heizung aus und liegen mit dem Geld, was ihnen danach zum Leben bleibt, unter der jeweiligen Armutsgrenze in ihrem Land.

Energie verkommt zum Luxusgut

Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Bereits seit Jahren sind Verbraucher_innen in Europa Beeinträchtigungen durch steigende Energiepreise ausgesetzt. Allein in Deutschland haben sich die Ausgaben für Strom in einem Durchschnittshaushalt vom Jahr 2000 bis 2015 etwa verdoppelt. Laut Angaben der EU-Kommission liegen die Preissteigerungsraten für Energie in den meisten Ländern deutlich über der Inflationsrate. So geraten insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen häufig in Zahlungsschwierigkeiten, die oft in Notsituationen münden. Anders als auf anderen Märkten besteht keine Möglichkeit eines kompletten Marktaustrittes, da es sich bei Energie um ein unverzichtbares Gut handelt.

Die kürzlich erschienene Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung „Fighting Energy Poverty in Europe – Responses, Instruments, Successes“ von Prof. Dr. Christoph Strünck widmet sich explizit der Frage, wie Energiearmut in Europa bekämpft werden kann. Anhand der Fallbeispiele Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich sowie Großbritannien wird zunächst die jeweilige Situation der europäischen Staaten näher beleuchtet um daraus Schlussfolgerungen für eine effektivere und progressivere Energiepolitik zu ziehen. Erstaunlicherweise zeigt sich bereits an den diversen Fallstudien, dass es kein einheitliches Verständnis von Energiearmut und möglichen Maßnahmen zu deren Bekämpfung gibt.

Menschenunwürdige Situation in Bulgarien

Nicht nur ist die Datengrundlage in allen Beispielländern defizitär, darüber hinaus könnten die energiepolitischen Hintergründe als auch die ökonomische Situation nicht unterschiedlicher sein. Während in Dänemark Energiearmut nicht mal als relevantes Thema in Politik und Öffentlichkeit betrachtet wird, illustriert insbesondere ein Blick nach Bulgarien wie verheerend sich energiepolitische Ratlosigkeit in einem der ärmsten Länder Europas auswirken kann. Hier gehören die Preise für Gas zu den höchsten im europäischen Raum, die enorme finanzielle Belastung der Verbraucher_innen kann auch durch die knappen Heizkostenzuschüsse der Regierung nicht aufgefangen werden. Dies führt laut einer Befragung von EU-SILC dazu, dass zwei Drittel der Bevölkerung dazu gezwungen sind, das Heizen der Wohnung im Winter einzuschränken  und so in menschenunwürdigen Bedingungen zu leben.

Dabei sind es laut Strünck gerade „schutzbedürftige Haushalte“, die durch finanzielle Hilfen, Sozialtarife und Gebäudesanierungen gefördert werden müssten. Insbesondere in Deutschland  werden diese durch mehrfache Benachteiligung staatlicher Maßnahmen stark diskriminiert. Für zukünftige energiepolitische Rahmensetzungen schlägt der Autor eine gesicherte und erschwingliche Basisversorgung für bedürftige Haushalte vor. Mehr noch plädiert er dafür, dass einkommensschwache Haushalte vermehrt von Effizienzsteigerungen profitieren oder auch gestiegene Energiekosten stärker in der Grundsicherung zu berücksichtigen. Insgesamt kommt er jedoch auch zu dem Schluss, dass Energiearmut unterschiedliche Facetten hat und Symptom verschiedener sozialer Probleme sein kann. Dementsprechend schwierig sei es auf komplexe Problemlagen eine einheitliche und systematische Antwort zu finden. Eindeutig ist jedoch, dass eine sozial sensible Verbraucher- und Energiepolitik, die sich stärker um einkommensschwache Haushalte kümmert, mehr denn je gefragt ist.

Ansprechpartner in der Stiftung

Robert Philipps

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