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Rückblick auf die Fachkonferenz "Zukunft des ländlichen Raums"

Um die "Zukunft des ländlichen Raums" ging es in der diesjährigen Fachkonferenz der KommunalAkademie und der Bundes-SGK. Im Rückblick lesen Sie, welche Chancen und Herausforderungen auf die ländlichen Regionen 2020 warten!

Bild: von Alexander Lehmann

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Berlin – das soziale Labor Deutschlands. Hamburg – das Tor zur Welt. München – das Oktoberfestmekka. Große Städte bekommen viel von der Aufmerksamkeit, um die die ländlichen Regionen ringen müssen. So schmückt sich das Land auch mit großen Slogans, Beckum als „der Mittelpunkt Westfalens“, das Saarland gar als „der Mittelpunkt Europas“. Doch es braucht ein besonderes Augenmerk, denn das Land ist keine Minikopie der Stadt. Der ÖPNV: Nicht überlastet wie in den Städten, sondern vielfach ab 18 Uhr abends nicht vorhanden. Die Gesundheitsversorgung: Rettungswagen kämpfen nicht mit zugeparkten Straßen, sondern mit extrem langen Anfahrten über Landstraßen. Der Klimaschutz: Auf dem Land soll der erneuerbare Strom aus Windkraft erzeugt werden, den die Städte brauchen, aber selbst nicht liefern können. Wo die Stadt nicht mehr weiß, wohin mit all den Zuzüglern, verwaltet das Land zum Teil den Leerstand.

Weit weg von gleichwertigen Lebensverhältnissen

„Die Zukunft des ländlichen Raums“ war daher das Thema der Fachkonferenz, zu der die KommunalAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung und die Bundes-SGK eingeladen hatten. Die Vorsitzende der SKG in Hessen und Landrätin des Landkreises Marburg-Biedenkopf, Kirsten Fründt, wusste, wovon sie sprach, als sie die 35 Teilnehmenden aus ganz Deutschland begrüßte: „80 Prozent der Hessen leben im ländlichen Raum und trotzdem wird zu wenig gemeinsam an den Herausforderungen des ländlichen Raums gearbeitet.“ Auch Anne Haller, Leiterin der KommunalAkademie, betonte in ihrem Grußwort das Auseinanderdriften, nicht nur zwischen den unterschiedlichen Landesteilen, sondern zwischen Stadt und Land. „Wir sind weit weg von gleichwertigen Lebensverhältnissen“, wie sie hinsichtlich des ländlichen Raums feststellte. Der Disparitätenbericht der FES, der erst im Juni 2019 erschienen ist, hätte dies erneut gezeigt.

Land in Sicht - aktuelle Lage und Maßnahmen

Manfred Sternberg, Geschäftsführer der Bundes-SGK, skizzierte daran anschließend anschaulich mit aktuellen Zahlen, wie es auf dem Land im Vergleich zur Stadt  aussieht. Auffällig war beispielsweise der hohe Handlungsbedarf im Bereich der Daseinsvorsorge in den neuen Bundesländern, den der vorgestellte Raumordnungsbericht von 2017 aufzeigte, denn dort ist der Anteil von dünn besiedelten Landkreisen besonders hoch. "Wir wollen lebenswerte und attraktive ländliche Räume", so hat es sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag von 2018 vorgenommen, wie Sternberg weiter ausführte. Daher wurde die Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" eingesetzt, die im Juli 2019 ihren Bericht vorlegte. "Arbeitsplätze in strukturschwache Regionen bringen", "eine faire Lösung für Altschulden finden", "Engagement und Ehrenamt stärken" - nur drei von insgesamt 12 Maßnahmen, die die Kommission in ihrem Papier vorschlug. Der Geschäftsführer unterstrich die Forderungen: "Das Ehrenamt ist die tragende Säule eines lebendigen und bürgerschaftlichen Engagements auf dem Land", und hob die Wichtigkeit des Vereinslebens hervor. Er identifizierte darüber hinaus politische Handlungsfelder wie die Sicherstellung der Gesundheitsvorsorge und der Mobilität sowie einer nachhaltigen Landwirtschaft im Sinne des Klimatschutzes. In diesen Bereichen gelte es, verstärkt anzusetzen, um den ländlichen Raum attraktiv zu machen.

Klimaschutz auf dem Land

"Klimaschutz durchdringt alle Themen: Mobilität, Landwirtschaft, Gebäude und natürlich die Energiewende", so leitete Anne Haller das nächste Thema ein, für das Björn Weber vom Deutschen Institut für Urbanistik seine Präsentation zur Verfügung gestellt hatte. Die ländliche Region habe eine besondere Bedeutung für den Klimaschutz - und vice versa! Vor allem bei der Strom- und Wärmeerzeugung durch Wind, Solar- und Biomasseanlagen sei das Land in Sachen Nachhaltigkeit schon weit vorn. Trotzdem seien Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohner_innen in vielen Klimaschutzprogrammen unterrepräsentiert. Es fehle oft an zeitlichen und fachlichen Ressourcen, auch das liebe Geld stelle ein Problem dar. Dabei liege in den Kommunen ein großes Potential: kurze Wege in der Bürokratie und dezentrale Nutzung regionaler Wertschöpfung sind die Vorteile von kleinen Kommunen. So böten sich Dorferneuerungspläne oder Bürgerenergiegenossenschaften an, bei denen sich die Bürger_innen für eine lokale Energieversorgung zusammentun. In Zukunftswerkstätten können alle lokalen Akteur_innen gemeinsam an Plänen für ihr Dorf arbeiten. Denn eins ist klar - ohne die Beteiligung und die Akzeptanz der Bürger_innen kann es nicht funktionieren. Hilfreich sei auch ein_e Klimaschutzmanager_in, eine Stelle, bei der alle Fäden zusammenlaufen und wo Klimaschutzmarketing betrieben wird. So könne man beispielsweise das "klima- und insektenfreundliche Dorf" ausrufen und so die Bevölkerung mobilisieren, sich mit Klimaschutz lokal und niedrigschwellig zu beschäftigen.

Mobilität in der ländlichen Region

Klimaschutz und Mobilität können nicht mehr ohne einander gedacht werden. Daher beschäftigte sich eine Werkstatt mit der "Mobilen Vision für unsere Kommune 2039". Jan Strehmann vom Deutschen Städte- und Gemeindebund und Moritz Kirchesch von der Deutschen Vernetzungstelle Ländliche Räume konnten mit reichlich Input vorlegen. Einerseits wächst die Zahl an mobilen Alternativen zum eigenen PKW, sei es das schnell verfügbare Leihrad, der E-Scooter oder auch Car-Sharing. Andererseits kommen diese Alternativen nur schlecht auf dem Land an, wo der ÖPNV brach liegt. Dort muss der Baukasten der Mobilitätswende anders und modular genutzt werden, d.h. Kombinationen aus Rad- und Busverkehr für bestimmte Strecken oder auch Zusammenlegung von Nah- und Lieferverkehr in einem Bus. In der Diskussion wurde schnell klar: Sind die Ideen für 2039 nicht auch schon 2019 schnell umsetzbar? Auch die Frage der funktionierenden Bürger_innenbeteiligung blieb so virulent, wie die Kontroverse um die E-Mobilität. Ist diese wirklich langfristig oder liegt die Zukunft nicht in anderen Antrieben? Ist es eine Utopie oder eine Dystopie, wenn alle auf dem Land bald mit selbstfahrenden E-Autos unterwegs sind? Die Anreize müssten dahin gehen, entweder kein Auto oder wenigstens kein Zweitauto anzuschaffen und den Individualverkehr zu bündeln. Vorfahrtsparken und -straßen für Mitfahrer_innenautos wären ein guter Anfang. Zudem müsse der Radverkehr mithilfe von Schnellwegen attraktiver werden. Dafür bräuche es aber einer klarer Entscheidung, wie der Verkehrsraum aufgeteilt wird!

Gesund auf dem Dorf

Fachkräftemangel bei Ärzt_innen und Pflegepersonal - die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum war ein weiteres Thema, das in einer Werkstatt mit Alexander Lehmann von der Bundes-SGK bearbeitet wurde. Zweifel gab es noch in Bezug auf die Telemedizin, denn es blieben viele skeptisch, wie es um die Datensicherheit stehe. Dazu schlüge ein weiteres Problem zu Buche: der mangelnde Breitbandausbau, der digitalen Kontakt zu Ärzt_innen unmöglich mache. Wie es anders gehen könne, zeigten bereits einige Kommunen. So gäbe es in Hessen Multifunktionshäuser in Liegenschaften den Kreises, in denen sich Dienstleister_innen wie Medizinische Versorgungszentren und Hebammenpraxen ansiedeln können. Potential liege auch in der aufsuchenden Medizin, wenn Ärzt_innen ihre Patient_innen besuchen oder temporären Praxen eröffnen. Ärztegenossenschaften wie in Bitburg werden von Verwaltungen in einem Art Filialsystem beschäftigt, was den Ärzt_innen den Druck der Selbstständigkeit nimmt. Andere Kommunen investierten mit Stipendien in Medizinstudent_innen, die sich nach ihrem Studium dann dort niederlassen.

Unser Wald - Kommune und Forstwirtschaft

Der Wald mit seinen vielen Funktionen war Thema der dritten Werkstatt. "Er ist nicht nur ein ökonomischer und ökologischer Faktor, sondern stiftet auch regionale Identität", wie Nico Steinbach, MdL in Rheinland-Pfalz und landwirtschaftspolitischer Sprecher, betonte. Hitze, Sturm und Schädlinge haben ihm jedoch lange zugesetzt, weshalb eine Waldpolitik notwendig sei. Diese sollte nicht nur kommunal, sondern auch bundes- und europaweit gedacht und initiiert werden. Kommunal sei eine Bewirtschaftung notwendig, denn der Wald reguliere sich nicht mehr allein, nachdem hunderte Jahre in ihn eingegriffen wurde. Mithilfe von Drohnen könne beispielsweise kontrolliert werden, welche Bäume bereits von Schäden betroffen sind und rausgenommen werden müssen. Mit vielen best-practice-Beispielen und einigen Kontroversen im Gepäck setzten die Teilnehmenden abends ihre Diskussionen beim gemeinsamen Abendessen fort.

Ländliche Entwicklung als Querschnittsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen

Die Brücke von der Kommunal- zur Bundespolitik schlug am nächsten Tag Ralf Wolkenhauer, Leiter der Unterabteilung "Ländliche Entwicklung". "Ländliche Entwicklung - das ist keine Sektorpolitik, sondern Querschnittsaufgabe", leitete Wolkenhauer seinen Vortrag zu "Fördersysteme umgestalten, anpassen, (re)volutionieren!" ein. Aber welchen Einfluss soll der Bund auf genuine Landesaufgaben haben, die die Entwicklung antreiben? In der Gemeinsamen Agrarpolik (GAP) gebe es schon einige EU-Förderprogramme, insbesondere das LEADER-Netzwerk, die nun mehr auf Ziel- und Ergebnisorientierung fokussiert werden sollen. So soll die GAP vereinfacht und attraktiver für Kommunen werden. Wolkenhauer berichtete zudem aus der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse". Der Abschlussbericht sei eine Diskussionvorlage, nun käme es auf die Länder und kommunale Spitzenverbände an, sich dazu zu positionieren. Nur dann können Umsetzungen und Gesetze geplant werden. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts im Dezember 2019 wird zudem das Fördersystem neu gedacht. Augenmerk wird nun auf strukturschwache Regionen gelegt, wobei die Definition von "strukturschwach" noch aussteht und Indikatoren formuliert werden. Mit insgesamt 22 Programmen, die unter einem Dach gemanagt werden, soll den strukturschwachen Regionen in ganz Deutschland Unterstützung zukommen. Doch bei allen bundesweiten Förderprogrammen, die alle ihre Stärken und Schwächen haben, plädierte Wolkenhauer an die kommunale Eigeninitiave: "Es gibt beispielsweise gute Ideen für ein Leerstandskataster, das bei gemeinsamen Spaziergängen erstellt werden kann. Das geht aber nur vor Ort." Denn auch bliebe es dabei: "Gleichwertig heißt nicht gleich, jede Kommune bleibt einzigartig." Daher wünsche er sich auch die gleichwertigen Lebensverhältnisse als Staatsziel verankert.

Aufgeblähte Fördertöpfe

Mit seinem Vortrag hatte Wolkenhauer für reichlich Diskussionstoff gesorgt. Insbesondere die Förderprogramme lösten Debatten aus, denn sie stellten auch die Frage nach Gerechtigkeit. "Wie soll ich erklären, dass da ein Schloss mit Fördergeldern renoviert wird, während die Bürger_innen für die Erschließungskosten der Straßen zur Kasse gebeten werden?", fragte ein Teilnehmender. Kritisiert wurde dabei auch, wie bürokratisch aufgebläht die Fördertöpfe seien. Auch müssten die Rollen zwischen Bund, Ländern und Kommune immer wieder geklärt werden. Der Bund frage beispielsweise, wo finanzielle Unterschiede ausgeglichen werden müssen, die Kommunen müssen Rückmeldung geben. Eine besondere Wertschätzung bräuchten zudem die Ehrenamtlichen, die auf kommunaler Ebene in Vereinen und Freiwilliger Feuerwehr vieles leisten. Die Aufwandsentschädigung sei zu gering und es bräuchte finanzielle Anreize für Arbeitgeber_innen, Arbeitnehmer_innen für das Ehrenamt freizustellen. Da wäre eine Unterstützung seitens des Bundes wünschenswert.

Als Anne Haller die Diskussion gegen Mittag schloss, war zwar noch lange nicht alles gesagt. Dennoch blieb der Eindruck: Die Zukunft des ländlichen Raums kann gestaltet werden - in der Kommune, auf dem Land, in Kooperation mit dem Bund.

 

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